BGH NotZ(Brfg) 1/19
Befreiung des Notars von der Verschwiegenheitspflicht zum Inhalt eines Testaments

05.05.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
20.07.2020
NotZ(Brfg) 1/19
NJW 2021, 316

Leitsatz | BGH NotZ(Brfg) 1/19

  1. Im Rahmen des § 18 Abs. 2 Hs. 2 BNotO hat die Aufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob der verstorbene Beteiligte, wenn er noch lebte, bei verständiger Würdigung der Sachlage die Befreiung erteilen würde oder ob unabhängig hiervon durch den Todesfall das Interesse an einer weiteren Geheimhaltung entfallen ist.
  2. Dabei ist nur über die auf einen bestimmten tatsächlichen Vorgang bezogene Befreiung des Notars von der Verschwiegenheitspflicht zu entscheiden, aber nicht (auch nicht nur mittelbar) darüber, ob überhaupt und wie der bei einer stattgebenden Entscheidung von seiner Verschwiegenheitspflicht entbundene Notar dem Antragsteller die erstrebte Information zu verschaffen hat.
  3. Mit dem Tod entfällt das Interesse des Erblassers an der Geheimhaltung seines letzten Willens den gesetzlichen Erben gegenüber insoweit, als der letzte Wille diese betrifft. Denn um die Verwirklichung des letzten Willens sicherzustellen, müssen insbesondere über die Erbeinsetzung der testamentarischen Erben und die damit verbundene Enterbung der gesetzlichen Erben auch Letztere informiert werden.

Sachverhalt | BGH NotZ(Brfg) 1/19

Im Streit stand die Befreiung eines Notars von seiner beruflichen Verschwiegenheitspflicht.

Der Erblasser E hatte im Jahr 2012 mit seiner zweiten Ehefrau ein durch den Notar T beurkundetes und anschließend beim Nachlassgericht verwahrtes gemeinschaftliches Testament aufgesetzt, in dem er seine Kinder aus zweiter Ehe zu Erben des Letztversterbenden einsetzte.

Die zweite Ehefrau verstarb 2015, der Erblasser im Jahr 2016.

Der Kläger, Sohn des Erblassers aus erster Ehe, erfuhr erst aufgrund der Testamentseröffnung im Februar 2016 von seiner Enterbung. Daraufhin begehrte er Einsicht in die Akten des Notars. Diese wurde ihm jedoch auf unter Verweis auf die notarielle Verschwiegenheitspflicht verwehrt.

Daher beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Entbindung des Notars von seiner Verschwiegenheitspflicht gem. § 18 Abs. 2 BNotO. Zur Begründung trug er vor, dass er zur Überprüfung der Echtheit und zum Ausschluss von Manipulationen das beim Nachlassgericht eingereichte Original mit der beim Notar befindlichen Ablichtung vergleichen wolle. Aufgrund des äußeren Erscheinungsbilds des Originals bestünden Anzeichen dafür, dass Seiten des Originals ausgetauscht worden seien.

Der Antrag wurde abgelehnt. Eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht komme nicht in Betracht, da nicht ersichtlich sei, dass dies angesichts der rein spekulativen Manipulationsvermutungen dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entspreche.

Der Kläger erhob somit Klage und beantragte die Aufhebung des Ablehnungsbescheids des Beklagten sowie die Verpflichtung des Beklagten zur Entbindung des Notars T von seiner notariellen Schweigepflicht „zwecks Einsichtnahme in das notarielle Testament des Vaters des Klägers vom … – UR-Nr. …“.

Die Klage wurde abgewiesen.

Entscheidung | BGH NotZ(Brfg) 1/19

Die zulässige Berufung des Klägers hatte hingegen weitgehend Erfolg.

Im Rahmen des § 18 Abs. 2 Hs. 2 BNotO sei nur über die auf einen bestimmten tatsächlichen Vorgang bezogene Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht zu entscheiden, die Aufsichtsbehörde sei jedoch nicht dazu befugt, vom Notar „praktisch grenzenlos“ jede Art von Auskünften zu erlangen (vgl. Senat, DNotZ 2003, 780, 782).

Es komme somit nicht darauf an, ob der Kläger ein berechtigtes Interesse daran hat, die Abschrift des notariellen Testaments einzusehen, um so einen Abgleich mit dem Original-Testament vorzunehmen.

Die Klage sei überwiegend begründet.

Gem. § 18 Abs. 2 BNotO kann der Notar grundsätzlich von seiner Schweigepflicht befreit werden. Ist ein Beteiligter verstorben, so kann die Befreiung an dessen Stelle nach § 18 Abs. 2 Hs. 2 BNotO durch die Aufsichtsbehörde erteilt werden.

Hierbei habe die Aufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob der verstorbene Beteiligte, wenn er noch lebte, bei verständiger Würdigung der Sachlage die Befreiung erteilen würde oder ob unabhängig hiervon durch den Todesfall das Interesse an einer weiteren Geheimhaltung entfallen ist (Fortführung der Rspr. des Senats, DNotZ 2003, 780, 781). Im letzteren Fall müsse jedoch festgestellt werden, wem gegenüber und hinsichtlich welcher Tatsachen das Geheimhaltungsinteresse des verstorbenen Beteiligten entfallen ist.

In dem zu entscheidenden Fall sei das Geheimhaltungsinteresse des Erblassers gegenüber dem Kläger als dessen gesetzlichen Erben insoweit entfallen, als der letzte Wille ihn betrifft. Dies gelte auch für das auf die letztwillige Verfügung ihres Ehemanns bezogene Geheimhaltungsinteresse der vorverstorbenen zweiten Ehefrau als weitere Beteiligte.

Der Umstand, dass der Kläger mit dem Testament enterbt wurde, stehe dem nicht entgegen. Denn um die Verwirklichung des letzten Willens sicherzustellen, müssen insbesondere enterbte gesetzliche Erben über die Erbeinsetzung testamentarischer Erben und die damit verbundene Enterbung informiert werden.

Das Geheimhaltungsinteresse des Erblassers sei nicht nur in Bezug auf das zum Nachlassgericht gegebene Original des Testaments entfallen, sondern auch in Bezug auf die beim Notar verbliebene Abschrift. Da aus Sicht der testierenden Ehegatten der Inhalt beider Dokumente notwendig identisch ist, ist kein Grund ersichtlich, die Geheimhaltungspflicht hinsichtlich der Abschrift anders zu beurteilen als hinsichtlich des Originals. Dies gelte auch im Falle einer Manipulationsvermutung, denn dann wäre der „wahre“ letzte Wille der Ehegatten aus der Abschrift ersichtlich.

Schließlich sei die vom Kläger zur Begründung seines Begehrens angeführte Manipulationsvermutung für die Beurteilung des Geheimhaltungsinteresses unerheblich und damit kein Grund für eine Befreiung von der notariellen Schweigepflicht nach § 18 Abs. 1 BNotO.

Der BGH entschied im Ergebnis, dass der Beklagte dazu verpflichtet war, den Notar von der Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich des Inhalts der den Kläger betreffenden letztwilligen Verfügung des Erblassers, wie er sich aus der beim Notar befindlichen Abschrift des notariellen Testaments vom … - UR-Nr. … ergibt, zu befreien.

Hinsichtlich des übrigen Inhalts könne jedoch nicht von einem Wegfall des Geheimhaltungsinteresses ausgegangen werden. In diesem Umfang waren die Klage und die Berufung daher unbegründet.

Praxishinweis | BGH NotZ(Brfg) 1/19

Zwar hat der BGH dem Kläger im Ergebnis Recht gegeben, jedoch wurde dabei die Frage des Umfangs eines eventuellen Auskunftsanspruchs bei Befreiung des Notars von seiner Verschwiegenheitspflicht ausdrücklich offengelassen.

Ein Anspruch aus § 51 Abs. 3 BeurkG scheidet für Erbanwärter regelmäßig aus. Auch aus § 2314 BGB lässt sich kein Auskunftsanspruch gegen den Notar herleiten. In Betracht kommt allenfalls ein zivilrechtlicher Auskunftsanspruch nach § 242 BGB.