BGH IX ZR 231/19
Anspruch auf Altersruhegeld keine Forderung aus darlehensgleicher Handlung (i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5)

20.01.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
22.10.2020
IX ZR 231/19
ZIP 2020, 2409

Leitsatz | BGH IX ZR 231/19

Ansprüche eines Gesellschafters auf Zahlung eines Altersruhegeldes aus einer betrieblichen Altersversorgung stellen keine Forderungen aus Rechtshandlungen dar, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen.

Sachverhalt | BGH IX ZR 231/19

Die Schuldnerin ist eine GmbH. Sie erteilte ihrem Geschäftsführer (G) mit Vereinbarung vom 05.01.1993 Versorgungszusage. Seit 2004 hält G 20% der Geschäftsanteile. Seit 2003 zahlte die Schuldnerin an ihn eine monatliche Betriebsrente. Sie stellte die Zahlungen im April 2015 ein. Am 02.12.2015 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet. Der Kläger ist nach § 14 Abs. 1 BetrAVG gesetzlicher Träger der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung. Er gewährte G die Leistungen aus der Versorgungszusage mit Bescheid vom 12.08.2016.

Der Kläger meldete eine Forderung i.H.v. 55.208 EUR (aus übergegangenen Ansprüchen des Versorgungsberechtigten G) zur Tabelle an. Der Beklagte (bestritt und) wendete die Nachrangigkeit der Forderung gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ein.

Der Kläger beantragt die Forderung zur Insolvenztabelle feststellen zu lassen. Das AG gab der Klage statt, das LG hat auf die Berufung des Verwalters die Klage abgewiesen.

Entscheidung | BGH IX ZR 231/19

Die Revision zum BGH hat Erfolg. Die Ansprüche auf Altersruhegeld sind nach Ansicht des IX. Zivilsenats keine darlehensgleiche Forderungen. Damit greift § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht ein und es handelt sich nicht um nachrangige Insolvenzforderungen.

Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO werden Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens im Rang nach den übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger befriedigt. Ausnahmen sind in § 39 Abs. 4 Satz 2 (Sanierungsprivileg) und 5 (Kleinbeteiligungsprivileg) InsO geregelt. Ein Gesellschafterdarlehen liegt vor, wenn der Gesellschafter dem Schuldner einen Geldbetrag in einer vereinbarten Höhe zur Verfügung stellt (§ 488 Abs. 1 Satz 1 BGB) und der Schuldner verpflichtet ist, das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuzahlen (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Dauer der Kreditgewähr sei irrelevant, von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO werden auch kurzfristige Überbrückungskredite erfasst (ganz h.M.; a.A. Bitter, in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, Anh. § 64 Rn. 60 ff.).

Gleiches gilt gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO für Forderungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen. Die Darlehensgleichheit kann sich aus der Vergleichbarkeit des Darlehensgebers mit einem Gesellschafter ergeben (personelle Erstreckung des Anwendungsbereichs von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) oder aber aus einem Vergleich der Forderung mit einem Darlehen (sachliche Erstreckung des Anwendungsbereichs von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Der IX. Zivilsenat nimmt die aktuelle Entscheidung zum Anlass, ausführlich die bereits von ihm entschiedenen Grundsätze zur sachlichen Erstreckung des personellen Anwendungsbereichs von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO darzustellen.

Entscheidend sei, ob eine Rechtshandlung vorliegt, mit welcher der Gesellschafter temporär Liquidität verschafft. Das sei der Fall für jede Forderung eines Gesellschafters auf Rückzahlung eines von ihm aus seinem Vermögen der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Geldbetrags, wenn ein solcher Rückzahlungsanspruch durchgängig seit der Überlassung des Geldes bestand und sich Gesellschafter und Gesellschaft von vorneherein einig waren, dass die Gesellschaft das Geld zurückzuzahlen hat (BGH ZIP 2019, 1675).

Eine Forderung kann darlehensgleich zu qualifizieren sein, wenn der Gesellschafter einen fälligen Anspruch (darlehensfremder Art) nicht gegen die Gesellschaft geltend macht (BGH ZIP 2019, 1675). Die rechtliche oder faktische Stundung einer darlehensfremder Forderung entspricht bei wirtschaftlicher Betrachtung einem Vereinbarungsdarlehen, bei dem eine ursprünglich auf einem anderen Rechtsgrund beruhende Forderung künftig als Darlehen geschuldet wird (BGH ZIP 2019, 1675). Alle aus Austauchgeschäften mit der Gesellschaft herrührenden Geldforderungen eines Gesellschafters können daher wirtschaftliche einem Darlehen entsprechen. Der Entstehungsgrund ist irrelevant.

Im Falle eines echten Leistungsaustauschs Zug-um-Zug (§ 320 BGB) scheidet eine darlehensgleiche Forderung aus. Wird die Gegenleistung der Gesellschaft jedoch gestreckt (wenn also die Voraussetzungen eines Bargeschäfts nach § 142 InsO nicht vorliegen), kommt es darauf an, ob die zeitliche Streckung des Leistungsaustauschs zwischen Gesellschaft und Gesellschafter nach der Vertragsgestaltung oder der tatsächlichen Handhabung in einer Gesamtschau den Schluss auf eine Kreditgewährung rechtfertigt (BGH ZIP 2019, 1675). Das beurteilt sich danach, ob die Rechtshandlung dazu führt, dass die Forderung des Gesellschafters eine dem typischen Charakter entsprechende Finanzierungsfunktion hat. Eine geringe Überschreitung der marktüblichen oder vereinbarten Zahlungsfrist genügt danach nicht. In der Regel ist die Darlehensgleichheit anzunehmen, wenn eine Forderung aus einem Austauschgeschäft länger als drei Monate stehen gelassen wird. Unterhalb dieser Schwelle bedarf es im Rahmen der Gesamtschau weiterer Indizien.

Eine sachwidrige Ungleichbehandlung im Vergleich zu kurzfristigen Überbrückungskrediten liege nicht vor, weil die bei einem Zufluss von Geldmitteln die Finanzierungsfunktion ohne weiteres eintrete, bei nicht sofortiger Zahlung bei Austauschgeschäften dagegen nicht. Auch wenn ein Warenkredit gleiche Wirkungen wie ein Geldkredit haben kann, weisen sie sachliche Unterschiede auf, die keine schematische Gleichbehandlung erfordern. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ziele darauf ab, die Regelung über Darlehen auf vergleichbare Sachverhalte zu erstrecken, nicht jedoch darauf, jedes Gesellschaftergeschäft zu erfassen.

Nach diesen Maßstäben lehnt der IX. Zivilsenat es ab, den Anspruch auf Altersruhegeld (mit einer Ansicht in der Literatur (Jacoby, Beilage ZIP 2016, 35; Bitter, in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, Anh. § 64 Rn. 211) unter den Rechtsbegriff der einem wirtschaftlich einem Darlehen gleichgestellten Forderung und damit unter § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zu subsumieren.

Das betriebliche Altersruhegeld habe nicht nur Versorgungs-, sondern auch Entgeltcharakter und sei damit auch Gegenleistung aus einem Dienst- und Arbeitsvertrag. Der Leistung des Versorgungsschuldners stehe als Gegenleistung die von dem anderen Teil erbrachte und weiterhin erwartete Betriebstreue gegenüber. Stehen gelassene Gehaltsansprüche eines Gesellschafters können wirtschaftlich einem Darlehen entsprechen (St. Rspr., BGHZ 180, 38).

Allein der Entgeltcharakter des Altersruhegeldes begründe noch nicht die für die Darlehensgleichheit entscheidende Finanzierungsfunktion. Bei der Zusage eines im Versorgungsfall zu zahlenden Altersruhegeldes gehe es nicht darum, temporär die Liquidität der Gesellschaft zu verbessern, sondern dem Arbeitnehmer zusätzlich zum Lohn eine Altersabsicherung zu verschaffen. Bei der Vergütung der im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses gehaltenen Betriebstreue, die zusätzlich oder als Teil der üblichen Dienst- oder Arbeitsvergütung gezahlt wird, handele es sich um eine verkehrsübliche Gestaltung eines Austauschverhältnisses. Die zeitliche Streckung zwischen der Betriebstreue und den Versorgungszahlungen enthalte daher für sich genommen keine wirtschaftlich einem Darlehen gleichgestellte Leistung der Gesellschaft. Weiterhin fehle es schon deshalb an einer Vergleichbarkeit mit der Gewährung eines Darlehens nach § 488 BGB, weil zum Zeitpunkt der Erteilung der Zusage eines Altersruhegeldes unklar ist, ob und in welchem Umfang der Gesellschafter tatsächlich Leistungen erhalten wird.

Praxishinweis | BGH IX ZR 231/19

Der IX. Zivilsenat nimmt die aktuelle Entscheidung zum Anlass, ausführlich die Grundsätze zur sachlichen Erstreckung des personellen Anwendungsbereichs von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO darzustellen und zu präzisieren, insbesondere im Hinblick auf die Bedeutung der Finanzierungsfunktion im Rahmen der Bewertung einer Forderung als Darlehensgleich. Das ist für jeden Insolvenzrechtler und auch für die Praxis erfreulich.