OLG Dresden 8 U 2611/19
Anfechtungsfrist und Erkundigungspflicht des GmbH-Gesellschafters bei fehlender Kenntnis vom Beschluss

10.12.2020

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Dresden
28.05.2020
8 U 2611/19
NZG 2020, 867

Leitsatz | OLG Dresden 8 U 2611/19

  1. Für Gesellschafter, die nicht an der Gesellschaftsversammlung teilgenommen haben, beginnt die Frist zur Anfechtung von Beschlüssen erst mit Kenntnis vom Inhalt des Beschlusses.
  2. Unabhängig von der Kenntnis beginnt die Frist jedoch auch, wenn der Gesellschafter im Nachgang der Gesellschafterversammlung gegen seine Pflicht zur Erkundigung verstößt.

Sachverhalt | OLG Dresden 8 U 2611/19

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines Zwangsabtretungsbeschlusses der Beklagten. Die Beklagte lud zur Gesellschafterversammlung, die wegen des Nichterscheinens eines (insolventen) Gesellschafters nicht beschlussfähig war. Zur zweiten (beschlussfähigen) Gesellschafterversammlung am 13.12.2018 mit gleichen Tagesordnungspunkten erschien der Gesellschafter erneut nicht.

Der Gesellschaftsvertrag sieht vor, dass Beschlüsse der Gesellschafterversammlung mit einer Mehrheit von mehr als 75 % der abgegebenen Stimmen gefasst werden, soweit gesetzlich kein höherer Wert vorgeschrieben ist. Für den Fall der Insolvenz eines Gesellschafters sieht der Gesellschaftsvertrag der Beklagten die Möglichkeit der Einziehung der Geschäftsanteile des insolventen Gesellschafters vor. Spezifisch regelt § 16 des Gesellschaftsvertrages die Einziehungsvergütung. Zudem sieht § 8 vor, dass Gesellschafterversammlungen mit einer Frist von mindestens zwei Wochen unter Angabe der Tagesordnung einzuberufen sind. Beschlussfähigkeit ist gegeben, wenn alle Gesellschafter anwesend oder vertreten sind. Sofern keine beschlussfähige Gesellschafterversammlung zustande gekommen ist, kann auf Verlangen eines Gesellschafters oder der Geschäftsführung eine neue Gesellschafterversammlung mit derselben Tagesordnung innerhalb von sechs Wochen einberufen werden, die dann unabhängig von der Höhe des vertretenen Kapitals nach ausdrücklichem Hinweis beschlussfähig ist.

Bei der zweiten nunmehr beschlussfähigen Gesellschafterversammlung (am 13.10.2018) kamen die übrigen Gesellschafter überein, den Abwesenden nicht vollständig aus der Gesellschaft auszuschließen, sondern die Beteiligung von 40% auf 12% herabsetzen zu wollen, um den Rangrücktritt eines Gesellschafterdarlehens (iHv. 13 Millionen Euro, aus einem Gesellschafterdarlehensvertrag vom 01.03.2011) zu sichern. Daraufhin fassten sie den Einziehungsbeschluss, einen Teil der Anteile der F-GmbH statt der Einziehung an einen Dritten abzutreten.

Am 10.01.2019 übermittelte die Beklagte das Protokoll an den Kläger, den Insolvenzverwalter des Gesellschafters. Am 11.02.2019 hat der Kläger Anfechtungsklage gegen den Beschluss erhoben. Dabei richtet sich der Kläger insoweit gegen den Beschluss, als dass der Gesellschaftsvertrag rechtswidrig sei, da die Mitgesellschafter gegen die gesellschaftliche Treuepflicht verstoßen hätten, indem der Anteil des Klägers nicht vollständig, sondern gezielt unter die Sperrminorität von 25% eingezogen aber über der Grenze von 10% des § 39 Abs. 5 InsO belassen worden sei.

Das Landgericht Leipzig hat erstinstanzlich der Klage stattgegeben. Demnach beginne aufgrund der Anwendbarkeit des § 246 Abs. 1 AktG die Monatsfrist zur Anfechtung mit Kenntnis vom Beschlussinhalt. Mit Einreichung der Klage am 11.02.2019 sei die Frist unter Beachtung von § 167 ZPO gewahrt. Die Klage sei auch begründet, da der Gesellschaftsvertrag seinem Wortlaut nach, den Gesellschaftsanteil bei der Einziehung einheitlich im Singular ausweise, sodass nur die einheitliche Einziehung möglich sei. Zudem sei auch der Wortlaut zur Möglichkeit der Zwangsabtretung auf das „Ganz- oder gar-nicht-Prinzip“ ausgerichtet. Mit Blick auf den Schutzzweck von § 34 Abs. 2 GmbHG sei der Gesellschafter vor Einbüßen der Beteiligung auf andere, als im Gesellschaftsvertrag vereinbarte Art und Weise zu schützen, sodass auch eine Teilzwangsabtretung als „minus“ zur Vollabtretung hier nicht in Betracht komme.

Die Beklagte richtet sich mit Ihrer Berufung gegen das Urteil des LG Leipzig. Dabei rügt die Beklagte insbesondere, dass das LG Leipzig verkannt habe, dass die Anfechtungsfrist versäumt worden sei. Die Frist habe mit Beschlussfassung begonnen zu laufen. § 246 AktG käme bei der GmbH lediglich eine Leitbildfunktion zu. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Monatsfrist nicht mit Beschlussfassung, sondern nach Ablauf eines Zeitraumes von zwei Wochen beginne, in denen der abwesende, anfechtende Gesellschafter seiner Pflicht zur Erkundigung nachkommen müsse, wäre im konkreten Fall die Anfechtungsfrist verstrichen. Ferner verkenne das LG, dass die Regelungen des Gesellschaftsvertrages eine Teilabtretung explizit zuließen und die teilweise Zwangsabtretung zudem als milderes Mittel zur vollständigen Zwangsabtretung die Interessen aller Beteiligten am besten in Ausgleich bringe. Die Satzungsregelungen sollten gerade die Interessen der Gesellschaft schützen und die Möglichkeit schaffen, den Einfluss des insolventen Gesellschafters auf das Geschäft der GmbH zu vermindern und zugleich den Rang von Gesellschafterdarlehen zu erhalten.

Der Kläger sieht die Frist des § 246 Abs. 1 AktG analog gewahrt, da es nach seiner Auffassung lediglich auf die Kenntnis vom Inhalt des Beschlusses ankäme. Eine Erkundigungspflicht sei abzulehnen, da die Gesellschaft das Protokoll jederzeit ungefragt hätte übersenden können. Dies sei nach der ersten Gesellschafterversammlung elektronische wenige Tage nach der Versammlung erfolgt. Zudem sei im konkreten Fall nicht gegen eine mögliche Erkundigungspflicht verstoßen worden, weil der Kläger von vornherein mit einer vollständigen Zwangsabtretung, wie in der Tagesordnung, durch Wortlaut in TOP 1, wonach „die Geschäftsanteile Nrn. 3-10002“ zwangsabgetreten werden sollten, ausgewiesen, einverstanden gewesen ist. Er richte sich ja nunmehr auch lediglich gegen eine unzulässige Teilabtretung. Mit dieser habe er aber nicht rechnen müssen, sodass es keinen Anlass zur Erkundigung gegeben habe.

Die Beteiligten brachten in weiteren Schriftsätzen weitergehende Argumentationen vor.

Entscheidung | OLG Dresden 8 U 2611/19

Der Berufung wird stattgegeben.

Der Beschluss der Gesellschafterversammlung ist nicht nichtig. Weder habe der Kläger Nichtigkeitsgründe vorgebracht, noch seien solche für das OLG Dresden aus § 241 AktG analog ersichtlich.

Die Frist zur Anfechtung des Beschlusses habe der Kläger verpasst. Durch Verstreichen der Frist zur Anfechtung ist der Beschluss bereits vor Anhängigkeit der Klage endgültig wirksam geworden.

Mangels gesellschaftsvertraglicher Regelung der Anfechtungsfrist gegen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung ist auf die durch ständige Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil vom 15.06.1998 - II ZR 40/97; BGH, Urteil vom 14.03.2005 - II ZR 153/03; BGH, Urteil vom 18.04. 2005 - II ZR 151/03) anerkannte Anwendung des § 246 Abs. 1 AktG mit Einhaltung der Monatsfrist auch bei Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse einer Gesellschafterversammlung einer GmbH zurückzugreifen.

Eine vom BGH in älterer Entscheidung in Betracht gezogene Ausnahme von der starren Monatsfrist aufgrund von Unzumutbarkeit für den GmbH-Gesellschafter, weil es sich um komplexe rechtliche Fragen bei den Erfolgsaussichten der Klage handelt, ist hier nicht einschlägig. Zu berücksichtigen ist zwar, dass die unterschiedlichen rechtlichen Auffassungen vor Beschlussfassung noch nicht ersichtlich gewesen sind. Allerdings handelt es sich bei dem klagenden Insolvenzverwalter um einen Rechtsanwalt, von dem erwartet werden könne, dass die rechtlichen Fragen der Beschlussfassung auch unter Berücksichtigung Ihrer Komplexität in der Monatsfrist hätten erarbeitet werden können.

Bisher nicht höchstrichterlich geklärt ist die Frage, ob der Lauf der Anfechtungsfrist nach § 246 Abs. 1 AktG analog mit Erlass des Beschlusses oder mit Bekanntgabe an den nicht anwesenden oder vertretenen Gesellschafter beginnt. Dies kann nach Auffassung des Senats zwar dahinstehen, weil jedenfalls aufgrund einer Verletzung der Erkundigungspflicht die Anfechtungsfrist versäumt worden ist.

Zum Streitstand führt das OLG Dresden dennoch wie folgt erläuternd aus.

So sei nach der ersten Auffassung (Im Urteil angeführt: OLG Schleswig, Urt. v. 29.01.1998 – 5 O 125/96; Scholz/KarstenSchmidt, GmbHG, 12. Aufl., § 45 Rn. 145; Wiegand-Schneider in MHdB GesR, Band 7, 5. Aufl., Rn. 43 zu § 39; BeckOK GmbHG/Leinekugel, 43. Ed., Rn. 172 in Anh. zu § 47; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., § 246 AktG Rn. 4; MüKoGmbHG/Wertenbruch, nach § 47 Rn. 302 Fn. 937; Michalski, GmbHG, 3. Aufl., Anh. zu § 47 Rn. 469) mit dem Argument der Rechtssicherheit Beginn der Anfechtungsfrist immer der Erlass des Beschlusses. Argumentativ führt der Senat hier aus, dass ein erhöhtes Maß an Rechtssicherheit geschaffen werden würde. Verpasse der Gesellschafter auch die zweite anberaumte Gesellschafterversammlung, so sei der Fristbeginn mit Erlass des Beschlusses auch nicht unangemessen. Demnach wäre Fristbeginn im vorliegenden Sachverhalt die Beschlussfassung am 13.12.2018 gewesen, sodass die Einreichung der Anfechtungsklage beim LG Leipzig am 11.02.2019 nicht fristwahrend erfolgt wäre.

Nach der entgegenstehenden Auffassung (Im Urteil angeführt: OLG Hamm, NZG 2003, 630; OLG Hamm, NJW-RR 2001, 108; OLG Hamm, RNotZ 2016, 188; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 20. Aufl., § 47 Rn. 62; Fleischer, GmbHR 2013, 1289 [1295]; Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 47 GmbHG Rn. 7; Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl., § 47 Rn. 153; Wicke, GmbHG, 3. Aufl., Rn. 19 im Anh. zu § 47; Roth/Altmeppen, GmbHG, 9. Aufl., Rn. 96 im Anh. zu § 47) ist der Schutz des Gesellschafters, der nicht an der Gesellschaftsversammlung teilnehmen kann, hoch anzusetzen. Insofern sei Anfechtungsfristbeginn erst bei Kenntnis vom Beschluss anzusehen. Allerdings treffe den Abwesenden zwingend eine Erkundigungspflicht, bei dessen Verstreichen die Frist dennoch zu laufen beginne. Demnach wäre hier der Kläger in der Verpflichtung gewesen, sich innerhalb einer angemessenen Frist von zwei Wochen über das Ergebnis der Beschlussfassung zu informieren. Da dies nicht erfolgte, sei aber auch nach dieser Auffassung die Anfechtungsfrist bereits vor Einreichung der Anfechtungsklage verstrichen.

Nach Auffassung des entscheidenden Senats liegt im konkreten Fall auch keine derart komplexe Rechtskonstellation oder andere besondere Umstände, dass eine Verlängerung der Monatsfrist in anderer Hinsicht geboten sei.

Entgegen der Auffassung es Klägers sei es nicht zu einer gänzlich anderen, als in den Tagesordnungspunkten ausgewiesenen, Entscheidungslage gekommen. Sie entspreche auch den Anforderungen an § 51 Abs. 2 GmbHG. Nicht von Bedeutung ist, dass die Abstimmung über die Zwangsabtretung in zwei Teilschritten erfolgte, denn letztlich ist über die in der Einladung ausgewiesenen Geschäftsanteile entschieden worden. Zudem müsse der Beschlussantrag nicht zwingend im Wortlaut in der Tagesordnung angekündigt werden. Für den Schutz der Gesellschafter sei es ausreichend, dass der Beschlussantrag einen sachlichen Bezug zu einem Tagesordnungspunkt habe. Geringfügige Abweichungen in der ordnungsgemäß einberufenen Gesellschafterversammlung lägen im Risikobereich des fernbleibenden Gesellschafters.

In jedem Fall habe der Kläger als Insolvenzverwalter dahingehend gegen seine Verpflichtung zur Interessenwahrnehmung verstoßen, dass er keine Erkundigungen hinsichtlich der gefassten Beschlüsse eingeholt habe. Diese Verpflichtung sei nicht von einer grundsätzlichen Hinnahme des Abstimmungsergebnisses abhängig.

Praxishinweis | OLG Dresden 8 U 2611/19

Das OLG Dresden lässt hier offen, ob der Wortlaut der gesellschaftsvertraglichen Regelungen eine teilweise Zwangsabtretung (wie vorgenommen) zulässt. Leider führt die Entscheidung des Senats auch keine hinreichende Klarstellung der Rechtsprechung zu der Frage, ob mit dem Argument der Rechtssicherheit die Anfechtungsfrist nach § 246 Abs. 1 AktG analog in jedem Fall mit Erlass des Beschlusses beginnt. Es kam hier schlichtweg nicht darauf an, da nach beiden stark vertretenen Auffassungen die Frist zur Anfechtung versäumt worden ist. Letztlich kann mit Entscheidung des OLG Dresden lediglich ausgeschlossen werden, dass eine ausufernde Verzögerung der Wirksamkeit des Beschlusses aufgrund der fehlenden Kenntnis des abwesenden Gesellschafters entsteht. Jedenfalls nach angemessener Erkundigungsfrist beginnt die Frist zur Anfechtung auch bei Nichtkenntnis. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH (II ZR 101/20) grundsätzliche Ausführungen tätigen wird. Jedenfalls ist zukünftig in die Beratungen einzubeziehen, dass spätestens Verstreichen der Frist von zwei Wochen unabhängig von der Kenntnis vom Inhalt des Beschlusses die Anfechtungsfrist zu laufen beginnt.