BVerfG 2 BvF 1/20, 2 BvL 5/20, 2 BvL 4/20
Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin („Berliner Mietendeckel“) nichtig

15.04.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BVerfG
25.03.2021
2 BvF 1/20, 2 BvL 5/20, 2 BvL 4/20
http://www.bverfg.de/e/fs20210325_2bvf000120.html

Leitsatz | BVerfG 2 BvF 1/20, 2 BvL 5/20, 2 BvL 4/20

  1. Das Grundgesetz enthält – von der Ausnahme des Art. 109 Abs. 4 GG abgesehen – eine vollständige Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten entweder auf den Bund oder die Länder. Doppelzuständigkeiten sind den Kompetenznormen fremd und wären mit ihrer Abgrenzungsfunktion unvereinbar. Das Grundgesetz grenzt die Gesetzgebungskompetenzen insbesondere mit Hilfe der in den Art. 73 und Art. 74 GG enthaltenen Kataloge durchweg alternativ voneinander ab.
  2. Regelungen zur Miethöhe für frei finanzierten Wohnraum, der auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten werden kann (ungebundener Wohnraum), fallen als Teil des sozialen Mietrechts in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG.
  3. Mit den §§ 556 bis 561 BGB hat der Bundesgesetzgeber von der konkurrierenden Zuständigkeit für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts abschließend Gebrauch gemacht.

Sachverhalt | BVerfG 2 BvF 1/20, 2 BvL 5/20, 2 BvL 4/20

Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln - „Berliner Mietendeckel“) trat – mit Ausnahme des § 5 MietenWoG Bln – am 23. Februar 2020 in Kraft. Es besteht für die von seinem Anwendungsbereich erfassten Wohnungen im Wesentlichen aus drei Regelungskomplexen: einem Mietenstopp, der eine Miete verbietet, die die am 18. Juni 2019 (Stichtag) wirksam vereinbarte Miete überschreitet (vgl. §§ 1, 3 MietenWoG Bln), einer lageunabhängigen Mietobergrenze bei Wiedervermietungen (vgl. §§ 1, 4 MietenWoG Bln), wobei gebäude- und ausstattungsbezogene Zuschläge sowie bestimmte Modernisierungsumlagen erlaubt sind (vergleiche §§ 1, 4 in Verbindung mit §§ 6, 7 MietenWoG), sowie einem gesetzlichen Verbot überhöhter Mieten (vergleiche §§ 1, 5 MietenWoG Bln). Auf Neubauten, die ab dem 1. Januar 2014 erstmalig bezugsfertig wurden, finden die Vorschriften des MietenWoG Bln dagegen keine Anwendung.

Die Antragsteller im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (2 BvF 1/20) – 284 Abgeordnete des Deutschen Bundestages der Fraktionen von CDU/CSU und FDP – halten das MietenWoG Bln für unvereinbar mit der grundgesetzlichen Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen (Art. 70 ff. GG). Die beiden Richtervorlagen (2 BvL 4/20 und 2 BvL 5/20) betreffen die Vereinbarkeit von § 3 MietenWoG Bln mit dem Grundgesetz.

Entscheidung | BVerfG 2 BvF 1/20, 2 BvL 5/20, 2 BvL 4/20

Das MietenWoG Bln ist mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig.

Regelungen zur Miethöhe für ungebundenen Wohnraum fallen nämlich als Teil des sozialen Mietrechts in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, da das Recht der Mietverhältnisse seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1. Januar 1900 in den §§ 535 ff. BGB geregelt und – ungeachtet zahlreicher Änderungen – ein essentieller Bestandteil des bürgerlichen Rechts ist. Das gilt auch für die Mietverhältnisse über Wohnungen (§ 549 BGB). Der Mietvertrag ist das Ergebnis privatautonomer Entscheidungen der Vertragsparteien. Das gilt selbst dann, wenn die privatautonom begründeten Rechte und Pflichten durch den Gesetzgeber näher ausgestaltet oder begrenzt werden.

Andere Kompetenztitel, namentlich Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG („Recht der Wirtschaft“) oder Art. 70 Abs. 1 GG, scheiden als Grundlage für den Erlass des MietenWoG Bln aus. Insbesondere kann das Land Berlin seine Gesetzgebungsbefugnis nicht aus dem ehemaligen Kompetenztitel „Wohnungswesen“ herleiten. Zwar wurde das „Wohnungswesen“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG a.F.) mit der Föderalismusreform I im Jahr 2006 aus dem Katalog der konkurrierenden Gesetzgebungstitel gestrichen und damit den Ländern zugeteilt. Jedoch etablierte sich damit vollends die Unterscheidung zwischen frei finanziertem und öffentlich-rechtlich gefördertem Wohnraum, wobei lediglich Letzteres unter den Begriff des „Wohnungswesens“ zu subsumieren ist. Der Kompetenztitel für das Wohnungswesen umfasst vor allem die Mietpreisbindung staatlich geförderter Wohnungen, die Wohnraumbewirtschaftung, die Wohnungsbauförderung und den sozialen Wohnungsbau, einschließlich Subventionen und deren Rückabwicklung.

Macht der Bund von der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch, verlieren die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG das Recht zur Gesetzgebung in dem Zeitpunkt („solange“) und in dem Umfang („soweit“), in dem der Bund die Gesetzgebungskompetenz zulässigerweise in Anspruch nimmt (sogenannte Sperrwirkung). Soweit die Sperrwirkung reicht, entfällt die Gesetzgebungskompetenz der Länder. Sie verhindert für die Zukunft den Erlass neuer Landesgesetze und entzieht in der Vergangenheit erlassenen Landesgesetzen die Kompetenzgrundlage, sodass sie nichtig sind beziehungsweise werden. Die Sperrwirkung setzt voraus, dass bundes- und landesgesetzliche Regelung denselben Gegenstand betreffen. In sachlich-inhaltlicher Hinsicht reicht sie so weit, wie der Bundesgesetzgeber eine erschöpfende, also lückenlose und abschließende Regelung getroffen hat beziehungsweise treffen wollte.

Der „Berliner Mietendeckel“ und die bundesgesetzliche „Mietpreisbremse“ gemäß §§ 556d ff. BGB regeln im Wesentlichen denselben Gegenstand, nämlich den Schutz des Mieters vor überhöhten Mieten für ungebundenen Wohnraum. Das MietenWoG Bln verengt dabei allerdings die durch die bundesrechtlichen Regelungen belassenen Spielräume der Parteien des Mietvertrags und führt ein paralleles Mietpreisrecht auf Landesebene mit statischen und marktunabhängigen Festlegungen ein; es statuiert gesetzliche Verbote im Sinne von § 134 BGB, die die Privatautonomie beim Abschluss von Mietverträgen über Wohnraum über das nach den §§ 556 ff. BGB erlaubte Maß hinaus begrenzen. Das MietenWoG Bln modifiziert somit die durch das Bundesrecht angeordneten Rechtsfolgen und verschiebt die von diesem vorgenommene Austarierung der beteiligten Interessen.

So verbietet § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 MietenWoG Bln die nach § 557 Abs. 1 BGB zulässige Mieterhöhung im laufenden Mietverhältnis beziehungsweise für Neuvermietungen. Durch § 3 Abs. 1 Satz 2 MietenWoG Bln sind die nach den §§ 557a, 557b BGB zulässigen Staffel- oder Indexmieten auf die zum Stichtag geschuldete Miete eingefroren. § 7 MietenWoG Bln reduziert die mieterhöhungsrelevanten Modernisierungsmaßnahmen auf einen Katalog, der enger ist als die Maßnahmen nach § 555b Nr. 1, Nr. 3 bis 6 BGB, und begrenzt die zulässige Mieterhöhung nach Modernisierungsmaßnahmen stärker als § 559 Abs. 1 BGB. Der Anwendungsbereich der Mietpreisregulierung wird durch das MietenWoG Bln ausgeweitet, nach Bundesrecht zulässige Mieterhöhungen werden ebenso wie danach zulässige Vereinbarungen über die Miethöhe bei Mietbeginn verboten. So wird durch die Mietobergrenzen des § 6 Abs. 1 bis Abs. 3 MietenWoG Bln die Vereinbarung einer 110 % der ortsüblichen Vergleichsmiete betragenden Miete – auch in den Fällen des § 4 MietenWoG Bln – entgegen § 556d Abs. 1 BGB ausgeschlossen.

Mit den §§ 556 bis 561 BGB hat der Bundesgesetzgeber von der konkurrierenden Zuständigkeit für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts abschließend Gebrauch gemacht. Schon Regelungsintensität und Regelungsdichte der bundesgesetzlichen Vorschriften legen nahe, dass es sich bei den §§ 556 ff. BGB um eine umfassende und abschließende Regelung handelt. Die §§ 556 ff. BGB enthalten zudem keine Regelungsvorbehalte, Öffnungsklauseln oder Ermächtigungsvorschriften, die den Ländern den Erlass eigener oder abweichender mietpreisrechtlicher Vorschriften ermöglichen würden. Das ausdifferenzierte Regelungssystem und der Zusammenhang mit dem Kündigungsschutzrecht machen vielmehr deutlich, dass der Bundesgesetzgeber eine abschließende Regelung treffen wollte. Spätestens mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz vom 21. April 2015 („Mietpreisbremse“) hat der Bund die Bemessung der höchstens zulässigen Miete für ungebundenen Wohnraum abschließend geregelt.

Die Beschränkungen des MietenWoG Bln treten neben das Regelungsregime der „Mietpreisbremse“ gemäß §§ 556d ff. BGB. Da die §§ 556 ff. BGB die Miethöhe für ungebundenen Wohnraum jedoch abschließend regeln, fehlt dem Land Berlin insoweit die Gesetzgebungskompetenz.

Praxishinweis | BVerfG 2 BvF 1/20, 2 BvL 5/20, 2 BvL 4/20

In praktischer Hinsicht bedeutet die Entscheidung für den Berliner Mieter nichts Gutes. Gleichsam bringt die Entscheidung auch für den Vermieter Schwierigkeiten mit sich. Es ist absehbar, dass Vermieter losgelöst von den Beschränkungen des „Berliner Mietendeckels“ wieder höhere Mieten verlangen werden. Freilich ist dies nur bis zu den durch die „Mietpreisbremse“ geregelten Grenzen möglich. Denn Beschränkungen der Miethöhe für ungebundenen Wohnraum bestimmen sich in Berlin nun wieder vorrangig nach der in den §§ 556d ff. BGB geregelten „Mietpreisbremse“.

Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 28.10.2020 – 1 BvR 972/2) schon im letzten Jahr entschieden, dass im Falle der Verfassungswidrigkeit des „Berliner Mietendeckels“ Vermieter Mietbeträge rückwirkend verlangen können, soweit die - nach dem Berliner Mietendeckel überhöhten - Mietbeträge vertraglich festgehalten wurden. Fehlt es an dieser mietvertraglichen Grundlage, scheint das rückwirkende Verlangen mit dem Argument, der Vermieter habe im Vertrauen an die Mietpreisbeschränkung die vertragliche Fixierung eines überhöhten Mietzinses unterlassen, nicht durchsetzbar.

Letztlich ist es nicht unwahrscheinlich, dass viele Vermieter infolge des Berliner Mietendeckels finanzielle Einbußen hinnehmen müssen, da es einigen Mietern in Angesicht der derzeitigen Umstände schwer fallen wird die rückständigen Mieten auszugleichen. Nach bisheriger Rechtsprechung, die sich aller Voraussicht nach auch nicht ändern wird, können die Vermieter nicht das Land Berlin in Anspruch nehmen. Erst Anfang diesen Jahres hat der BGH den Grundsatz bestätigt, dass der Staat nicht für legislatives Unrecht haftet (BGH, Urteil vom 28.01.2021 – III ZR 25/20). Das Gericht verwehrte Mietern, die infolge der Unwirksamkeit der Hessischen Mietenbegrenzungsverordnung vom 17. November 2015 eine höhere Miete zu entrichten hatten, einen Amtshaftungsanspruch gegen das Land Hessen.