BGH II ZR 211/19
Legitimationswirkung der Gesellschafterliste

22.02.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
10.11.2020
II ZR 211/19
NZG 2021, 117

Leitsatz | BGH II ZR 211/19

Eine GmbH ist durch die negative Legitimationswirkung der Gesellschafterliste nicht gehindert, einen nach einem möglicherweise fehlgeschlagenen Einziehungsversuch aus der Gesellschafterliste entfernten, aber materiell bestehenden Geschäftsanteil aus einem in der Person des materiell berechtigten Gesellschafters liegenden wichtigen Grund einzuziehen.

Sachverhalt | BGH II ZR 211/19

Der Kläger war Gesellschafter der beklagten GmbH. Im Jahr 2015 und erneut im Jahr 2016 beschloss die Gesellschafterversammlung der Beklagten die zwangsweise Einziehung des Geschäftsanteils des Klägers aus wichtigem Grund. Dementsprechend reichte die Beklagte verschiedene korrigierte Gesellschafterlisten zum Handelsregister ein. Auf eine erste Klage stellte das OLG Brandenburg 2019 die Nichtigkeit der gefassten Einziehungsbeschlüsse fest. Zwischenzeitlich beschloss im Oktober 2017 die Gesellschafterversammlung, zu der auch der Kläger geladen war, erneut die Einziehung des Geschäftsanteils des Klägers, weil dieser gepfändet worden war. Am Tag der Beschlussfassung enthielt die Gesellschaferliste den Kläger nicht mehr. Der Einziehungsbeschluss wurde dem Kläger am Tag der Versammlung bekannt gegeben. Das LG hat auf die zweite Klage die Nichtigkeit des erneuten Einziehungsbeschlusses festgestellt. Das LG ging davon aus, dass der erneute Einziehungsbeschluss der Beklagten vom Oktober 2017 ins Leere gegangen sei, da die Einziehung einen nach der aktuell im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste nicht existenten Geschäftsanteil betraf. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen. Mit ihrer vom BGH zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Entscheidung | BGH II ZR 211/19

Die Revision hatte Erfolg. Nach Auffassung des BGH ist eine GmbH nicht gehindert, nach einem möglicherweise fehlgeschlagenen Einziehungsversuch einen Geschäftsanteil erneut einzuziehen, sofern diese Einziehung vorsorglich für den Fall erfolgt, dass die vorangegangene Einziehung unwirksam ist. Dass der Gesellschafter zwischenzeitlich zu Unrecht aus der Gesellschafterliste entfernt wurde, ist unerheblich, da der Bestand der Gesellschafterliste auf die materielle Gesellschafterstellung keine Auswirkung hat und hiervon getrennt betrachtet werden muss.

Die Gesellschafterliste begründet lediglich eine formale Gesellschafterstellung, die gemäß § 16 GmbHG das Rechtsverhältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft mit Rechten und Pflichten definiert. Der in der Gesellschafterliste eingetragene Gesellschafter ist gegenüber der Gesellschaft zur Ausübung von Gesellschafterrechten berechtigt und haftet ihr gegenüber für die Erfüllung der mitgliedschaftlichen Pflichten (positive Legitimationswirkung). Liegt keine Eintragung vor, bestehen diese Rechte und Pflichten nicht (negative Legitimationswirkung). Dementsprechend können die materielle und formale Rechtslage betreffend die Inhaberschaft eines Geschäftsanteils entkoppelt sein. Vor diesem Hintergrund geht eine Einziehung betreffend eines nicht in der Gesellschafterliste eingetragenen Gesellschafters nicht ins Leere, weil es nicht auf die Gesellschafterliste ankommt. Die Einziehung eines Gesellschaftsanteils setzt mit anderen Worten keine Eintragung in der Gesellschafterliste voraus. Mithin muss vor der Einziehung auch keine Wiederaufnahme in die Gesellschafterliste erfolgen, da dieser widersprüchlich und bloße Förmelei wäre.

Praxishinweis | BGH II ZR 211/19

Aus Sicht der Gesellschaft sollte nach Fassung eines Einziehungsbeschlusses unverzüglich eine neue Gesellschafterliste zum Handelsregister eingereicht werden, die den betroffenen Gesellschafter nicht mehr als Gesellschafter ausweist, damit die positive Legitimationswirkung beseitigt wird. Ferner kann die Gesellschaft gemäß der vorliegend besprochenen Entscheidung die Einziehung jederzeit vorsorglich erneut beschließen, wenn Zweifel an der Wirksamkeit der zunächst beschlossenen Einziehung bestehen. Dem Gesellschafter steht im Falle der Einziehung der Klageweg und bei der Änderung der Gesellschafterliste der einstweilige Rechtsschutz offen.