BGH II ZR 171/19
Gesellschafterausschluss bei fehlender Einlage

25.01.2021

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
04.08.2020
II ZR 171/19
NZG 2020, 1067

Leitsatz | BGH II ZR 171/19

Sofern ein Gesellschafter einer GmbH, seine Einlage trotz Fälligkeit nicht oder nicht vollständig erbracht hat, kann auch getrennt von einem Beschluss der Gesellschafterversammlung über die Verwertung seiner Geschäftsanteile ein Ausschluss aus der Gesellschaft beschlossen werden.

Die zeitlich getrennte Beschlussfassung bewirkt keine Verschlechterung mit Hinblick auf den Grundsatz der Kapitalaufbringung, wenn der Betrag bereits fällig gestellt ist, denn dann haftet der ausgeschlossene Gesellschafter für die Einzahlung auch nach Ausschluss weiter.

Sachverhalt | BGH II ZR 171/19

Die Revisionsklägerin richtet sich gegen die klagezusprechende Entscheidung des Berufungsgerichts.

Die Revisionsklägerin ist eine GmbH. Nebenintervenient der Revisionsklägerin ist der Gesellschafter A. Revisionsbeklagte und folglich Kläger im Rechtsstreit ist der Gesellschafter B.

Die Gesellschafter A und B sind die einzigen Gesellschafter der GmbH. Durch eine Kapitalerhöhung auf 200.000 Euro und bereits geleistete Einzahlungen der Gesellschafter hierauf bestanden abschließende Forderungen gegenüber dem Gesellschafter A auf Einzahlung von 51.000 Euro und gegen den Gesellschafter B auf Einzahlung von 49.000 Euro. Der Gesellschaftsvertrag enthielt in § 13 die Regelung, dass ein Gesellschafter durch Beschluss aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden kann, wenn er mit der Einzahlung des vertraglich geschuldeten Gesellschaftskapitals oder einer vertraglich vereinbarten Kapitalerhöhung ganz oder anteilig länger als drei Monate in Verzug ist und ungeachtet einer mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Ausschließung verbundenen nochmaligen Zahlungsaufforderung binnen eines weiteren Monats nicht leistet, wobei maßgeblicher Zeitpunkt für das Ausscheiden der Zeitpunkt der Zustellung des Ausschließungsbeschlusses sei. Nach Wahl der Gesellschaft hat der ausgeschlossene Gesellschafter die Einziehung des Geschäftsanteils zu dulden oder an einen Gesellschafter oder einen von der Gesellschaft bezeichneten Dritten zu veräußern oder abzutreten. Vertraglich vereinbarte Anfechtungsausschlussfrist beträgt zwei Monate ab Zugang des Ausschließungsbeschlusses.

Trotz Aufforderung erfolgte eine Einzahlung des ausstehenden Betrages durch den Kläger (Revisionsbeklagten) nicht, sodass mit Beschluss vom 04.03.2016 der Gesellschafterversammlung der Restbetrag von 49.000 Euro fällig gestellt und die Geschäftsführung zur Einforderung angewiesen worden ist. Hiergegen wendete sich der Kläger mit einer Anfechtungsklage, unterlag in erster Instanz und nahm die Berufung zurück, sodass die klageabweisende Entscheidung rechtskräftig wurde.

In der Folge forderte der Geschäftsführer der Beklagten mit Schreiben vom 04.03.2016 und erneut mit Schreiben vom 11.03.2016 unter Einhaltung des vertraglich vereinbarten Hinweises auf einen möglichen Ausschluss zur Zahlung innerhalb eines Monats auf.

Da die Frist ohne Einzahlung des Klägers verstrich, beschloss der Nebenintervenient (Gesellschafter A) in der Gesellschafterversammlung vom 22.09.2016 als allein teilnehmender Gesellschafter den Ausschluss des Klägers (Gesellschafter B).

Hiergegen wendete sich der Kläger mit einer Anfechtungsklage vor dem Landgericht, das zunächst die Klage abwies, ehe das Berufungsgericht der Klage stattgab. Die Beklagte und Revisionsklägerin richtet die Revision nun mehr gegen das klagezusprechende Berufungsurteil.

Entscheidung | BGH II ZR 171/19

Die Revision der Revisionsklägerin hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils unter Aufhebung des Berufungsurteils.

Das Revisionsgericht teilt nicht die Auffassung des Berufungsgerichts. Dieses hatte die Nichtigkeit des Ausschließungsbeschlusses vom 22.09.2016 mit der Begründung festgestellt, dass der Ausschließungsbeschluss zugleich mit der Entscheidung über das Schicksal des nicht voll eingezahlten Geschäftsanteils erfolgen müsse, da ansonsten der Grundsatz der Kapitalerhaltung nicht gewahrt werden könne. Durch einen alleinstehenden Ausschließungsbeschluss fehle es wenigstens vorübergehend an einem erforderlichen Schuldner für die vollständige Einzahlung des Geschäftsanteils, um dem Grundsatz der Kapitalerhaltung gerecht zu werden.

Nach Auffassung des BGH ist nicht zwingend erforderlich und geboten, dass zeitgleich mit dem Ausschließungsbeschluss auch der Beschluss der Verwertung des Geschäftsanteils erfolgen muss.

Ein zwingendes Erfordernis der zeitgleichen Beschlussfassung aus Gesetz ergibt sich nicht. Entgegen der Auffassung des Berufsgerichts stehe mangels erfolgter Einzahlung mit Beschlussfassung auch keine Konstellation eines möglichen Verstoßes gegen den Grundsatz der Kapitalerhaltung, sondern allenfalls ein Verstoß gegen den Grundsatz der Kapitalaufbringung im Raum. Allerdings liege hier in der konkreten Situation kein Verstoß gegen den Grundsatz der Kapitalaufbringung vor, weil die ausstehende Einlagenforderung bereits fällig gestellt worden ist.

Ganz grundsätzlich merkt der BGH nochmals an, dass es der ständigen Senatsrechtsprechung entspricht, dass bei vollständig eingezahlter Einlage einer Gleichzeitigkeit des Ausschließungsbeschlusses und des Verwertungsbeschlusses nicht bedarf. Es komme für die Wirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses bei volleingezahlter Einlage nicht auf den Verwertungsbeschluss an.

Hier ist die Einlage hinsichtlich der sich aus dem Kapitalerhöhungsbeschluss ergebenden Verpflichtung zur Leistung noch nicht erbracht, aber rechtskräftig fällig gestellt worden.

Bei nicht volleingezahlten Kapitaleinlagen gebietet das aus dem Grundsatz der Kapitalaufbringung abzuleitende Einziehungsverbot, dass die Ausschließung nicht vollzogen werden kann. Eine Zulässigkeit der Einziehung in dieser Situation würde konkret zu einer Befreiung von der Pflicht zur Einlage führen, was gegen § 19 Abs. 2 S. 1 GmbHG verstoßen würde. Hier tritt eine Befreiung von der Pflicht zur Einlage aber nicht ein. Denn die Einlage wurde bereits fällig gestellt, sodass der betroffene Gesellschafter sowohl nach Rechtsprechung des Senats als auch den überwiegenden Literaturstimmen auch nach Ausschließung für die Einlagenforderung hafte. Da sich die Haftung aus der Fälligkeit der Einlagenforderung ergibt, sei auch bei getrennten Beschlüssen die Forderung nicht schuldnerlos, womit kein Verstoß gegen den Grundsatz der Kapitalaufbringung vorliege. Nachteile, die durch den zeitlich späteren Verwertungsbeschluss für die Gesellschaft oder die Gesellschaftsgläubiger, denen der Schutzgedanke des Grundsatzes der Kapitalaufbringung gilt, entstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Viel mehr verbiete sich sogar mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen der Gesellschaft aber auch sämtlicher Gesellschafter, dass die offene Forderung möglichst einlagedeckend verwertet werden kann. Dem stünde allerdings bei einem zeitlichen Zwang entgegen, dass im Zeitpunkt des Ausschließungsbeschlusses nur selten ein bereits zur Beteiligung bereiter Dritter bereitstünde. Das Ziel der einlagedeckende Verwertung dient dabei 1) dem Interesse der Gesellschaft, nicht entstehende Differenzbeträge gegen einem mit dem Insolvenzrisiko behafteten ausgeschlossenen Gesellschafter geltend machen zu müssen, 2) dem Interesse der Gesellschaftsgläubiger, dass die Kapitaleinlage gesichert eingezahlt ist und 3) dem Interesse des ausgeschiedenen Gesellschafters, dessen Abfindungsanspruch durch die Veräußerung des Geschäftsanteils finanziert wird.

Der Ausschließungsbeschluss ist auch nicht deswegen nichtig, weil mangels Verwertungsbeschlusses der Wert des Geschäftsanteils noch nicht festgestellt worden ist. Nach der Regelung im Gesellschaftsvertrag ist der Ausschließungsbeschluss unabhängig von dem Abfindungsanspruch wirksam. Die Gesellschafterstellung lebt, unabhängig von der bereits erfolgten Einzahlung oder Teileinzahlung, nicht deswegen wieder auf, weil über die Verwertung nicht innerhalb einer bestimmten Frist entschieden worden ist.

Das durch den Revisionsbeklagten (Kläger) vorgebrachte Zurückbehaltungsrecht, dass die bereits eingezahlten Einlagen satzungsfremd ausgegeben worden seien, steht der Wirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses nicht entgegen, denn aus § 19 Abs. 2 S. 2 GmbHG ergibt sich zwar nur ein Aufrechnungsverbot. Der daraus abzuleitende Grundsatz der Kapitalaufbringung wäre, durch die Möglichkeit bei Einlageforderungen ein Zurückbehaltungsrecht geltend zu machen, aber gleich gefährdet, sodass das Zurückbehaltungsrecht durch den Kläger nicht geltend gemacht werden konnte.

Ebenfalls steht der Grundsatz der Kapitalerhaltung, ausgeprägt in § 30 Abs. 1 GmbHG insoweit nicht entgegen, als vorgebracht wird, dass aus dem freien Vermögen der Gesellschaft die Kapitalabfindung nicht beglichen werden könne. Der Gesellschaftsvertrag sieht hier die Möglichkeit der Veräußerung an einen Dritten oder Abtretung an einen der übrigen Gesellschafter vor. Soweit die Gegenleistung in Höhe des Abfindungsanspruchs vereinbart wird, sei dann nicht mehr die Gesellschaft, sondern der Erwerber Schuldner der Abfindung in Form des Kaufpreises. Da hier allerdings noch kein Verwertungsbeschluss getroffen worden ist, ist eine Entscheidung nicht erforderlich. Aufgrund der umfangreichen Regelungen im konkreten Gesellschaftsvertrag, der selbst bei Übernahme der Geschäftsanteile durch den verbliebenen Gesellschafter die Schuldnereigenschaft des Abfindungsanspruchs dem Gesellschafter und nicht der Gesellschaft zuweist, besteht hier nicht die Gefahr einer Verletzung von § 30 Abs. 1 GmbHG.

Praxishinweis | BGH II ZR 171/19

Der BGH gibt hier eine in sich schlüssige und für die Praxis zielführende Richtung vor, die die schutzwürdigen Interessen aller Beteiligten mit einbezieht. Dabei klärt er die in Literatur und Rechtsprechung eher selten diskutierte Konstellation der teilweise eingezahlten Einlage bei Fälligkeit in Kombination mit der Wirksamkeit eines Ausschließungsbeschlusses im Verhältnis zum für das Kapitalgesellschaftsrecht und den Rechtsverkehr immens wichtigen Grundsatz der Kapitalaufbringung.

Die Entscheidung wirft zwei Ratschläge auf, die Gesellschafter einer GmbH aber potentiell zukünftige Gesellschafter einer neu zu gründenden Gesellschaft beherzigen sollten. Erstens sollte bei Anbahnung eines Ausschlussbeschlusses bei teilweise eingezahlter Einlage dringend die Forderung ordnungsgemäß fällig gestellt und eingefordert werden, um die fortbestehende Fälligkeitshaftung für den auszuschließenden Gesellschafter zu generieren. Und darüber hinaus sollte zweitens bei Neugründung einer Gesellschaft stets auf ordentliche Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag hingewirkt werden, damit wie im vorliegenden Fall das Risiko einer Unwirksamkeit eines Ausschließungsbeschlusses wegen Verstoßes gegen § 30 Abs. 1 GmbHG ausgeschlossen werden kann.

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