OLG Hamm 10 U 18/18
Unwirksamkeit eines Pflichtteilsverzichtsvertrages

07.10.2020

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Hamm
19.02.2019
10 U 18/18
RNotZ 2020, 394

Leitsatz | OLG Hamm 10 U 18/18

Ein Pflichtteilsverzicht der Ehefrau in einem Ehe- und Erbvertrag kann durch Eintritt einer wirksamen auflösenden Bedingung in einem späteren Vertrag unwirksam sein.

(amtl. Leitsatz)

Sachverhalt | OLG Hamm 10 U 18/18

Die Klägerin war die zweite Ehefrau des Erblassers, aus dessen erster Ehe die Beklagte als einziges Kind hervorging. Mit der Stufenklage begehrte sie unter anderem Zahlung aus Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen.

Der Erblasser und die Klägerin schlossen zunächst einen Gütertrennungsvertrag, mit dem sie für ihre Ehe den Güterstand der Gütertrennung vereinbarten, wechselseitig auf alle Erb-, Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche verzichteten, den Versorgungsausgleich im Falle der Scheidung ausschlossen und für den Fall der Scheidung den gegenseitigen und vollständigen Verzicht auf die Gewährung nachehelichen Unterhalts erklärten. Die Parteien versicherten, in geeigneten Vermögens- und Einkommensverhältnissen zu leben und fügten im Übrigen eine salvatorische Klausel in die Vereinbarung. Tatsächlich verfügte der Erblasser über erhebliches Grundvermögen während die Klägerin kein nennenswertes eigenes Vermögen hatte.

Im Mai 2005 unterzeichnete der Erblasser einen als Vorlage für ein eigenhändiges Testament gefertigten Entwurf, nach dessen Inhalt die Beklagte zur Alleinerbin bestimmt und der Klägerin eine von den Eheleuten bewohnte Villa sowie lebenslange Zahlungen zugewendet werden sollten. Eine formgerechte Umsetzung dieses Testaments erfolgte nicht.

Im März 2007 übertrug der Erblasser der Klägerin als „ehebedingte Zuwendung“ eine in der Nähe der ehelichen Villa gelegene Eigentumswohnung.

Im Mai 2010 widerrief der Erblasser sämtliche von ihm bis dahin getroffene letztwillige Verfügungen mit der Anmerkung ihm sei bewusst, dass damit die gesetzliche Erbfolge eintrete, was vorbehaltlich einer Neuregelung gewollt sei.

Im August 2010 setzte der Erblasser die Beklagte als Alleinerbin ein und enterbte die Klägerin ausdrücklich. Nach einer Entziehungskur zog er zurück in die gemeinsame Ehewohnung, wo er bis zu seinem Tod lebte.

Im Oktober 2010 ließen der Erblasser und die Beklagte eine als „Ehevertragsänderung“ bezeichnete Vereinbarung notariell beurkunden. Dort hieß es in Ziffer III: „Der im Ausgangsvertrag vereinbarte Erb- und Pflichtteilsverzicht einschließlich des Verzichts auf Pflichtteilsergänzungansprüche bleiben grundsätzlich aufrechterhalten. Dieser steht aber ab sofort unter der auflösenden Bedingung, dass der Erblasser seiner hiermit eingegangenen Verpflichtung nicht nachkommt, mindestens per Vermächtnis die Klägerin im Umfange ihres Pflichtteilsrechts erbrechtlich zu bedenken, wobei Einigkeit besteht, dass ein solches Vermächtnis nur zu Lebzeiten an Frau X von seinen Erben auszuzahlen ist. Mit dem Ableben von Frau X entfällt jeglicher Vermächtnisanspruch, sofern noch nicht ausgekehrt.“

Mit der Klage hat die Klägerin die Beklagte im Wege des Stufenantrags zunächst auf Auskunft über den realen und fiktiven Nachlassbestand durch Vorlage eins notariellen Verzeichnisses einschließlich Vorlage von Wertgutachten bezüglich der zum Nachlass gehörenden Immobilien in Anspruch genommen.

Entscheidung | OLG Hamm 10 U 18/18

Die zulässige Berufung der Beklagten blieb vor dem OLG ohne Erfolg.

Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin Pflichtteilsberechtigte ist. Das Pflichtteilsrecht sei nicht aufgrund des in der notariellen Urkunde vom Oktober 2010 erklärten Pflichtteilsverzichts ausgeschlossen, da die dort wirksam vereinbarte auflösende Bedingung gem. § 158 Abs. 2 BGB eingetreten sei.

1. Eine mögliche Unwirksamkeit der Vereinbarungen über den Unterhaltsverzicht und den Ausschluss des Versorgungsausgleichs berührten die Wirksamkeit des vereinbarten Pflichtteilsverzicht nach Auffassung des Gerichts zunächst nicht, da die für Eheverträge geltende Inhaltskontrolle einschließlich der Rechtsprechung zu Unterhaltsverzichten nicht ohne weiteres auf den Erb- und Pflichtteilsverzicht übertragbar sei. Beim Pflichtteilsverzicht handele es sich um ein abstraktes Verfügungsgeschäft, dem nach dem Gesetz keine besonderen Grenzen gesetzt seien und das im Grundsatz auch nicht an eine Abfindung gekoppelt sei. Auch habe der Pflichtteil des Ehegatten im Grundsatz keine Unterhaltsfunktion. Für Umstände, die das Verdikt der anwendbaren Sittenwidrigkeit begründen, gäbe es zudem keine Anhaltspunkte. Auch wäre bei unterstellter Unwirksamkeit des Unterhaltsverzichts keine Gesamtnichtigkeit des Vertrages einschließlich der Regelung zum Pflichtteilsverzicht nach den Grundsätzen des § 139 BGB festzustellen. Dies gelte schon aufgrund der unterschiedlichen Zielrichtung von Unterhalts- und Pflichtteilsverzicht. Zudem sei die salvatorische Klausel des Vertrages zu berücksichtigen.

2. Der Pflichtteilsverzicht sei allerdings unwirksam, da die wirksam vereinbarte auflösende Bedingung eingetreten sei. Insbesondere sei diese nicht wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Einschränkung der Testierfreiheit gem. § 2302 BG nichtig.

Zwar enthalte die Vereinbarung auch eine schuldrechtliche Verpflichtung des Erblassers zur Errichtung einer Verfügung von Todes wegen. Diese sei wegen eines Verstoßes gegen § 2302 BGB auch unwirksam, gleichzeitig aber von der daneben vereinbarten auflösenden Bedingung für den Pflichtteilsverzicht zu unterscheiden. Letztere stelle ihrerseits keinen Verstoß gegen das Verbot der Einschränkung der Testierfreiheit dar. Es sei aus den Gesamtumständen nicht ersichtlich, dass die vereinbarte auflösende Bedingung nach dem Willen der Vertragsparteien mit der zugleich vereinbarten schuldrechtlichen Verpflichtung des Erblassers zur Errichtung einer letztwilligen Verfügung dergestalt verbunden sein sollte, dass diese beiden Vertragsbestandteile miteinander stehen und fallen sollten, weshalb auch für die Annahme einer Nichtigkeit der vereinbarten Bedingung nach §139 BGB kein Raum sei.

Durch die Unwirksamkeit der eingegangenen Verpflichtung einer Verfügung von Todes wegen werde jedoch die - davon zu unterscheidende Vereinbarung - der auflösenden Bedingung für den Pflichtteilsverzicht nicht berührt. Insbesondere vermöge die Auffassung der Beklagten, aufgrund der Unwirksamkeit der schuldrechtlichen Verpflichtung zur Errichtung der Verfügung von Todes wegen sei der Eintritt der vereinbarten auflösenden Bedingung von vorneherein unmöglich gewesen, nicht zu überzeugen. Denn es sei nicht ersichtlich, dass nach dem tatsächlichen Willen der Vertragsparteien die Wirksamkeit der schuldrechtlichen Verpflichtung Voraussetzung der Bedingung selbst sein sollte. Gemäß §§ 133, 157 BGB sei bei der Auslegung nicht allein am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern der wirkliche Wille der Parteien nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zu erforschen. Diese Auslegung ergebe hier, dass die auflösende Bedingung nach dem Willen der Parteien dann eintreten sollte, wenn der Erblasser die Klägerin bis zum Eintritt des Erbfalles nicht in der beschriebenen Weise erbrechtlich bedenkt, und zwar unabhängig davon, ob er hierzu schuldrechtlich verpflichtet war oder nicht. Denn nach der erkennbaren Interessenlage bestünde kein Anhalt dafür, dass die Parteien die auflösende Bedingung ohne die unwirksame schuldrechtliche Verpflichtung zur Errichtung des Vermächtnisses nicht vereinbart hätten.

Auch für sich betrachtet sei aber die Vereinbarung eines Pflichtteilsverzichts unter der Bedingung einer Errichtung einer Verfügung von Todes wegen unbedenklich. Dies gelte unabhängig davon, ob es sich um eine auflösende oder aufschiebende Bedingung handele. Denn es bestünde Einigkeit, dass eine Zuwendung wirksam an die Bedingung geknüpft werden kann, dass der Empfänger seinerseits jemanden letztwillig bedenkt. Hierdurch werde nämlich lediglich die Zuwendung begrenzt, nicht aber die Testierfreiheit. So sei es auch hier: die Zuwendung liege in der Erklärung des Pflichtteilsverzichts. Der Umstand, dass dieser Pflichtteilsverzicht mit der Vereinbarung vom Oktober 2010 nachträglich unter die auflösende Bedingung gestellt wurde, begrenze den Pflichtteilsverzicht, nicht jedoch die Testierfreiheit des Erblassers.

Praxishinweis | OLG Hamm 10 U 18/18

Das Gericht nimmt in seiner Entscheidung eine Grenzziehung zwischen § 2302 BGB und rechtsgeschäftlich vereinbarten Bedingungen vor. Zu beachten ist insofern, dass eine durch notariellen Vertrag vereinbarte Bedingung nicht die Testierfreiheit des Erblassers als solche beschränkt, sondern nur die Zuwendung in Form des Pflichtteilsverzichts. Im vorliegenden Fall berührte deshalb die hypothetische (weil unwirksame) Verpflichtung zur Errichtung einer Verfügung von Todes wegen die Bedingung für den Pflichtteilsverzicht nicht.