BVerfG 1 BvQ 15/20
Erfolgloser Eilantrag gegen Berliner Mietendeckel

23.09.2020

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BVerfG
10.03.2020
1 BvQ 15/20
NJW 2020, 1202

Leitsatz | BVerfG 1 BvQ 15/20

Die Nachteile, die sich aus einer vorläufigen Anwendung der Bußgeldvorschriften des am 23.02.2020 in Kraft getretenen Berliner Mietenbegrenzungsgesetzes vom 11.02.2020 ergeben, überwiegen in Ausmaß und Schwere die Nachteile einer vorläufigen Außerkraftsetzung der Bußgeldvorschriften nicht deutlich und erfüllen damit nicht die strengen Voraussetzungen für eine vorläufige Außerkraftsetzung eines Gesetzes.

(Leitsatz der Redaktion NJW)

Sachverhalt | BVerfG 1 BvQ 15/20

Die Antragssteller beabsichtigten in Berlin belegene Wohnungen und solche, die sich noch im Umbau befanden, zu vermieten.

Mit ihrem Eilantrag begehrten sie, diverse Vorschriften des am 23.02.2020 in Kraft getretenen Gesetzes zur Mietbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG BIn) bis zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vorläufig außer Kraft zu setzen.

Die in Rede stehenden Vorschriften legen fest, welche Verstöße gegen die im Gesetz normierten Verbote und Pflichten als Ordnungswidrigkeit geahndet werden können.

Die Antragssteller hielten die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung für erfüllt. Insbesondere wäre eine einzulegende Verfassungsbeschwerde begründet:

Art. 14 Abs. 1 GG schütze die Freiheit, aus der vertraglichen Überlassung des Eigentumsgegenstands zur Nutzung durch andere einen Ertrag zu ziehen. Hierin greife das MietenWoG BIn ohne Rechtfertigung ein. Es fehle schon ein formell verfassungsgemäßes Gesetz, denn die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz liege beim Bund, der sie mit den §§ 556 lit. d) ff., 557 ff., 558 ff. BGB vollständig ausgeschöpft habe. Auch vermittle Art. 70 Abs. 1 GG für die Länder nur die Kompetenz für das Recht der sozialen Wohnraumförderung, worunter das MietenWoG BIn gerade nicht subsumiert werden könne. Im Übrigen sei das Gesetz auch materiell verfassungswidrig: weder gebe es einen sachlichen Grund für die Regelungen, noch sei das Gesetz zur Zweckerreichung geeignet. Es sei auch nicht erforderlich, da sich der Preisanstieg ohnehin auf 2,4 % p.a. ermäßigt habe.

Die für den Eilantrag gebotene Folgenabwägung falle somit zu ihren Gunsten aus. Ohne die staatliche Sanktionierung hätten die Antragssteller die Möglichkeit, bis zur Entscheidung über die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde zunächst weiter die nach bisheriger Rechtslage gültigen Mieten zu vereinbaren.

Entscheidung | BVerfG 1 BvQ 15/20

Die dritte Kammer des Ersten Senats des BVerfG lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.

Es unterstrich zunächst seinen Prüfungsmaßstab gem. § 32 Abs. 1 BVerfGG. Hiernach hätten die Gründe die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, eine Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vorneherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet.

Letzteres lehnte das Gericht ab, da keine der beiden Konstellationen in diesem Fall einschlägig sei. Insbesondere die Frage, ob das Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz besitze, bezeichnete es jedenfalls als offen.

Somit entschied das Gericht über den Antrag nach Maßgabe einer Folgenabwägung. Es wog die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber denjenigen Nachteilen ab, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe.

Im Ergebnis fiel die Abwägung zugunsten einer Nichtaußerkraftsetzung des Gesetzes aus.

Das BVerfG räumte zwar ein, dass es sich bei den in Rede stehenden Vorschriften durch die Möglichkeit der Festlegung von hohen Geldbußen um äußerst empfindliche Belastungen für Vermieter handelt und sich hierdurch das Risiko von persönlichen Sanktionen in der Wahrnehmung des Eigentumsrechts entfaltet.

Allerdings unterliege die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit dem Opportunitätsprinzip – hiernach könne von der Verhängung eines Bußgeldes abgesehen werden, wenn erkennbar überforderte Vermieter beispielsweise lediglich fahrlässig handeln. Zudem stelle das Gesetz auf Kriterien ab, die den Vermietern insbesondere durch § 558 Abs. 2 BGB bereits bekannt seien. Nicht zuletzt gelte das Verbot des Forderns einer unzulässig hohen Miete erst ab dem 23.11.2020, da die Kappung der Bestandsmieten erst neun Monate nach Verkündung des Gesetzes in Kraft trete. Es bliebe demnach ausreichend Zeit, um sich mit den neuen Vorgaben vertraut zu machen.

Demgegenüber seien die Folgen im Falle des Außerkraftsetzens der Regelungen bei späterer Erfolglosigkeit der Verfassungsbeschwerde deutlich gewichtiger: Denn würde die begehrte Anordnung erlassen, nähme dies dem Gesetz faktisch die Wirksamkeit. Zwar blieben die Verbote und Pflichten des MietenWoG BIn bestehen. Allerdings entfiele der Druck für Vermieter, sich entsprechend dem Gesetz zu verhalten.

Praxishinweis | BVerfG 1 BvQ 15/20

Der Beschluss enttäuscht die Erwartungen all derjenigen, die sich durch die geschickte Antragsstellung erste Argumente des Bundesverfassungsgerichts zur umstrittenen Kompetenzfrage oder materiellen Verfassungsmäßigkeit des MietenWoG in Berlin erhofften. Das Bundesverfassungsgericht ließ die Frage jedoch ausdrücklich offen und nahm eine reine Folgenabwägung vor, die kaum Rückschlüsse auf die viel diskutierten Problemfelder zulässt. Denn hierbei handelt es sich weniger um einen bedeutungsschweren Schachzug, sondern vielmehr um reine juristische Subsumtion eines Sachverhalts, der den Anforderungen an den Prüfungsmaßstab des Gerichts für den Erlass einer einstweiligen Anordnung schlicht nicht gerecht wird. Somit bleibt sowohl für Mieter- als auch für Vermieterseite abzuwarten, wie das BVerfG in der Verfassungsbeschwerde selbst entscheiden wird.