BayVerfGH Vf-32-IX-20
Bayerischer Verfassungsgerichtshof stoppt Volksbegehren zum Mietenstopp

31.08.2020

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BayVerfGH
16.06.2020
Vf-32-IX-20
NZM 2020, 649

Leitsatz | BayVerfGH Vf-32-IX-20

  1. Der dem Volksbegehren zugrunde liegende Gesetzentwurf ist mit Bundesrecht offensichtlich unvereinbar, da dem Landesgesetzgeber nach Art. 72 Abs. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz fehlt. Bereits vorhandene bundesgesetzliche Normen versperren die Möglichkeit landesgesetzlicher Regelungen.
  2. Durch die in §§ 556 d ff. BGB enthaltenen Regelungen zur Miethöhe sowohl bei Mietbeginn (sog. Mietpreisbremse) als auch während eines laufenden Mietverhältnisses (sog. Kappungsgrenze) hat der Bundesgesetzgeber von der ihm nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zustehenden konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht erschöpfend Gebrauch gemacht. Für den Landesgesetzgeber ergeben sich auch aus den in § 556 d Abs. 2 und § 558 Abs. 3 BGB vorgesehenen Ermächtigungen der Landesregierungen zum Erlass von Rechtsverordnungen keine Abweichungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Festlegung der zulässigen Miethöhe.
  3. Auf die gemäß Art. 70 GG gegebene Zuständigkeit der Länder für Bereiche des Wohnungswesens kann der Gesetzentwurf des Volksbegehrens nicht gestützt werden, weil es an einem öffentlich-rechtlichen Gesamtkonzept fehlt. Die Mietpreisregelungen des Entwurfs stellen im Ergebnis nichts anderes dar als eine Verschärfung der geltenden Bestimmungen zur Mietpreisbremse und zur Kappungsgrenze

(auszugsw. Wiedergabe der amtl. Leitsätze)

Sachverhalt | BayVerfGH Vf-32-IX-20

Beim Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration wurde am 06.03.2020 beantragt, ein Volksbegehren unter dem Titel „#6 Jahre Mietenstopp“ zuzulassen.

Art. 2 des Gesetzesentwurfs enthielt das Verbot, in 162 bayerischen Gemeinden die Miete in laufenden Wohnungsmietverhältnissen zu erhöhen. Von dem Verbot waren grundsätzlich auch Staffel- und Indexmieten erfasst. Die Erhöhung war nach dem Entwurf ausnahmsweise zulässig, wenn die erhöhte Miete den Betrag von 80% der ortsüblichen Vergleichsmiete nicht übersteigt oder Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt werden.

Nach Art. 3 des Entwurfs sollte verboten werden, im Zuge der Neuvermietung einen Mietzins zu verlangen, der über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt.

Das Bayerische Innenministerium ließ das Volksbegehren nicht zu und führte so nach Art. 64 Abs. 1 BayLWG die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs herbei. Das Urteil wurde am 16.07.2020 verkündet.

Entscheidung | BayVerfGH Vf-32-IX-20

Der bayerische Verfassungsgerichtshof hielt die gesetzlichen Voraussetzungen der Zulassung des Volksbegehrens für nicht gegeben.

Das Gesetzesvorhaben sei mit Bundesrecht nicht vereinbar, da der Landesgesetzgeber keine Kompetenz zur Regelung der Miethöhen in beginnenden und laufenden Mietverhältnissen ausüben könne. Im Gegenteil habe der Bundesgesetzgeber durch die §§ 556d ff. BGB von der ihm zustehenden Regelungskompetenz auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts nach Art. 74 I GG bereits erschöpfend Gebrauch gemacht. Bestandteil der Zivilrechtsordnung in diesem Sinn seien insofern auch die Regelungen zum Abschluss von Mietverträgen über privat finanzierten Wohnraum, der auf dem freien Markt angeboten werde. Zwar komme der Sozialpflichtigkeit des Eigentums im Bereich des Wohnraummietrechts besondere Bedeutung zu. Dieser sei der Gesetzgeber jedoch durch die Regelungen des § 556d BGB (Mietpreisbremse) und in § 558 BGB (Kappungsgrenze) ausreichend gerecht geworden, da sie Elemente des sozialen Mieterschutzes darstellen.

Die Zuständigkeit der Länder für das Wohnungswesen könne im Übrigen auch nicht auf Art. 70 Abs. 1 GG gestützt werden. Zwar liege das Wohnungswesen aus historischen Gründen in der ausschließlichen Zuständigkeit der Länder. Es handele sich dabei auch um das Recht der sozialen Wohnraumförderung. Allerdings setze eine Mietpreisregelung auf dieser Grundlage eine Einbettung in ein öffentlich-rechtliches Gesamtkonzept voraus, woran es hier fehle. Denn der Gesetzentwurf sehe kein Regelungsregime vor, bei dem Wohnungsbestände einer öffentlich-rechtlichen Bindung unterworfen werden.

Praxishinweis | BayVerfGH Vf-32-IX-20

Das mit Spannung erwartete Urteil lässt vor dem Hintergrund der Verfahren zum Berliner Mietendeckel erste Rückschlüsse auf die gerichtliche Beurteilung der umstrittenen Kompetenzfrage auf diesem Gebiet zu. Das Gericht setzte sich zwar nicht mit der materiellen Verfassungsmäßigkeit des Mietenstopps auseinander und betonte insofern, dass für die Entscheidung nicht maßgeblich gewesen sei, wie die Vorschriften rechts- und sozialpolitisch zu bewerten seien. Dies wird in naher Zukunft möglicherweise Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, bzw. des Verfassungsgerichtshofs in Berlin sein. Dennoch stellt das Urteil einen wichtigen Beitrag im rechtlichen und - vor dem Hintergrund der Bundestagswahl 2021 – politischen Diskurs dar.