BGH XII ZB 560/18
Auswirkung fehlender Verwaltungsanweisungen auf die Wirksamkeit des Behindertentestaments

17.04.2020

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
24.07.2019
XII ZB 560/18
ZEV 2020, 41

Leitsatz | BGH XII ZB 560/18

Der Mangel an Verwaltungsanweisungen an den Testamentsvollstrecker in einem Behindertentestament führt nicht zur Sittenwidrigkeit, wenn Umfang und Zweck der dem Betroffenen zugedachten Vorteile nicht näher bestimmt werden.

Sachverhalt | BGH XII ZB 560/18

In einem notariell beurkundeten Testament von 2010 setzte der im Jahr 2014 verstorbene Vater (Erblasser – E) dreier Kinder seinen wegen einer psychischen Erkrankung seit 1998 einem Berufsbetreuer unterstellten Sohn B sowie dessen Schwester mit einer Behinderung zu 100% als Vorerben zu einem Anteil von je 18% an seinem Nachlass ein. Als Vollerbe des restlichen Anteils von 64% sowie als Nacherbe nach B und dessen Schwester wurde der verbleibende Sohn eingesetzt. Weiterhin bestimmte E bis zum jeweiligen Tode des B sowie dessen Schwester eine Dauertestamentsvollstreckung nach § 2209 BGB. Zudem wies er den Testamentsvollstrecker zur Ausführung der den Vorerben zustehenden Verwaltungsaufgaben an, ohne aber eine Verfügung über die Erbteile selbst zu gestatten. Der Erbteil des B hat einen Wert von etwa 32.456 €. Der als Nacherbe des B eingesetzte weitere Sohn verzichtete auf eine mündelsichere Anlage des Erbteils und gestattete dem Testamentsvollstrecker die jährliche Entnahme von „bis zu 2.500 €“ zur Steigerung der Lebensqualität des B.

Zunächst erfolgte die Zahlung der Betreuervergütung aus der Landeskasse. Daraufhin entschied das AG eine Rückerstattungspflicht an die Landeskasse iHv 3.432 €. B legte erfolglos Beschwerde beim LG ein. B wendet sich mit einer Rechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung des LG.

Entscheidung | BGH XII ZB 560/18

Der BGH erachtet die Rechtsbeschwerde als begründet. Der angegriffene Beschluss ist aufzuheben und die Festsetzung der Erstattung aufzuheben.

Zwar erkennt das LG in seiner ursprünglichen Entscheidung die Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Vorerben nach § 2211 BGB infolge der gleichzeitigen Anordnung einer Vorerbschaft sowie einer Dauertestamentsvollstreckung an. Allerdings erachtet das LG das Testament mangels konkreter Verwaltungsanweisungen des Erblassers an den Testamentsvollstrecker als sittenwidrig i.S.d. § 138 Abs.1 BGB. Das Testament diene nicht der Absicherung der beiden als Vorerben eingesetzten behinderten Kinder. Vielmehr ziele die fehlende Anordnung von Verwaltungsvorschriften allein darauf ab, den Zugriff der Sozialhilfe- und übrigen Leistungsträger auf den Nachlass zu verhindern.

Daran ändere auch der Verzicht des Nacherben auf eine mündelsichere Anlage des Nachlasses sowie die Gestattung der Entnahme von jährlich bis zu 2.500 € zur Steigerung der Lebensqualität des B nichts. Zumal der Erbteil des B das Schonvermögen von 5.000 € übersteige, sei der festgesetzte Betrag aus dem Vermögen des B an die Landeskassen zu leisten.

Der BGH erachtet diese Annahme als nicht zutreffend.

Zum einen könne die Staatskasse den Betreuten B aus der übergangenen Forderung nur dann in Anspruch nehmen, wenn dieser leistungsfähig i.S.d. § 1836c BGB sei. Eine mögliche Inanspruchnahme ist danach auf das Einkommen und das verwertbare Vermögen des Betreuten i.S.d. § 90 Abs.1 SGB XII zu beschränken. Aus der durch E testamentarisch angeordneten Testamentsvollstreckung folge eine Verfügungsbeschränkung des B gem. § 2211 BGB. Dem B stehe folglich kein verwertbares Vermögen zur Verfügung. Aus diesem Grund komme die Rückerstattung der Betreuervergütung aus seinem Nachlass nicht in Betracht.

Zum anderen sei die bisherige Rechtsprechung des BGH dahingehend eindeutig, dass Behindertentestamente mit gleichzeitiger Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft sowie einer Dauertestamentsvollstreckung nicht sittenwidrig i.S.d. § 138 Abs.1 BGB seien. Daran ändere auch die unzureichende Konkretisierung von Verwaltungsvorschriften nichts. Die Wirksamkeit testamentarischer Verfügungen sei nur dann zu versagen, wenn sich die Sittenwidrigkeit auf eine klare, deutlich umrissene Wertung des Gesetzgebers oder der allgemeinen Rechtsauffassung stützen könne. Die dem E unterstellte Absicht, mittels der testamentarischen Verfügung den Nachlass des B sichern und Zugriffe der Sozialhilfe- und anderer Leistungsträger verhindern zu wollen, sei hierfür nicht ausreichend. Auch die Annahme des LG, dem B würden aus der Vorerbschaft keine Vorteile zugutekommen, hält der Überprüfung nicht stand. Als Vorerbe sei B wahrer Erbe und damit Inhaber der sich aus dem Nachlass ergebenden Nachlasswerte. Zwar unterliege B mangels einer entsprechenden Befreiung gewissen Verfügungsbeschränkungen. Dennoch stünden ihm sämtliche Nutzungen der Vorerbschaft zu. Der Umfang der auszuzahlenden Nutzungen richte sich mangels testamentarischer Konkretisierung nach § 2216 Abs.1 BGB. Der Testamentsvollstrecker dürfe hiernach Erträge thesaurieren, müsse aber Nutzungen in einem Umfang an den Erben herausgeben, der für die Bestreitung seines Unterhalts erforderlich sei. Folglich kommen dem B als Vorerben Vorteile des Nachlasses zu Gute. Das Testament sei nicht sittenwidrig i.S.d. § 138 Abs.1 BGB.

Praxishinweis | BGH XII ZB 560/18

Bei der Ausgestaltung eines sog. Behindertentestaments insbesondere bei großen Nachlässen ist eine konkretisierende Ausgestaltung der Verwaltungsanweisungen durch den Erblasser zu empfehlen, um der Überprüfung der Wirksamkeit des Testaments aufgrund einer potenziellen Sittenwidrigkeit der testamentarischen Verfügung nach § 138 Abs.1 BGB zu entgehen.