BGH II ZR 10/19
Abfindungsforderung des Gesellschafters in der Insolvenz

08.04.2020

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
28.01.2020
II ZR 10/19
ZIP 2020, 511

Leitsatz | BGH II ZR 10/19

  1. Die Abfindungsforderung eines vor der Insolvenz ausgeschiedenen Gesellschafters einer GmbH & Co. KG, deren Auszahlung gegen das Kapitalerhaltungsgebot der §§ 30, 31 GmbHG analog verstoßen würde, ist erst bei der Schlussverteilung nach § 199 InsO zu berücksichtigen.
  2. § 30 Abs. 1 GmbHG steht einer Auszahlung der Abfindungsforderung auch dann entgegen, wenn die Abfindung zum Zeitpunkt des Ausscheidens und auch noch ein Jahr danach aus dem freien Vermögen der Gesellschaft hätte bedient werden können. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist insoweit nicht entsprechend anwendbar.

Sachverhalt | BGH II ZR 10/19

Der Kläger war an der Insolvenzschuldnerin, einer GmbH & Co. KG, mit einer Kommanditeinlage von 500.000 DM beteiligt. Die Komplementär-GmbH hielt keine eigenen Anteile an der KG. Am Stammkapital der GmbH von 50.000 DM war der Kläger zur Hälfte beteiligt. Der Geschäftsanteil des Klägers an der GmbH wurde schließlich eingezogen, was nach dem Gesellschaftsvertrag der Insolvenzschuldnerin zugleich den Ausschluss aus der Insolvenzschuldnerin zur Folge hatte.

Der Gesellschaftsvertrag der Insolvenzschuldnerin sah vor, dass die zu verzinsende Abfindungsforderung in 10 gleichen Jahresraten ab dem Ende des auf den Ausschluss folgenden Geschäftsjahres zu zahlen ist. Während des Berufungsverfahrens, in dem der Kläger noch die Abfindungsforderungen sowohl gegen die GmbH als auch die Insolvenzschuldnerin geltend gemacht hatte, wurde das Insolvenzverfahren über die GmbH und die Insolvenzschuldnerin mit dem Beklagten als jeweiligen Insolvenzverwalter eröffnet, weswegen der Kläger seine Klage auf Feststellung der Abfindungsforderungen zur Tabelle umgestellte. Mit der Revision hat sich der Kläger nur noch gegen die Einordnung seiner Abfindungsforderung gegen die Insolvenzschuldnerin als nachträgliche Insolvenzforderung im Sinne von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO gewendet.

Entscheidung | BGH II ZR 10/19

Die Abfindungsforderung des Klägers gegen die Insolvenzschuldnerin sei weder eine einfache noch eine nachrangige Insolvenzforderung. Die Abfindungsforderung sei vielmehr erst bei der Schlussverteilung zu berücksichtigen, wenn ihre Auszahlung gegen §§ 30, 31 GmbHG analog verstoßen würde, was hier der Fall sei.

Es sei umstritten, ob und inwieweit bei der insolvenzrechtlichen Einordnung des Abfindungsanspruchs eines bereits vor der Insolvenzeröffnung aus der Gesellschaft ausgeschiedenen Gesellschafters haftungs- oder kapitalerhaltungsrechtliche Bindungen der Forderungen zu berücksichtigen seien. Unabhängig hiervon werde im Schrifttum der Abfindungsanspruch überwiegend als einfache Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO eingeordnet, es sei denn, der Anspruch werde gestundet, dann wandele dieser sich in eine nachrangige Insolvenzforderung gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Für die jeweiligen Rechtsformen werde zur Berücksichtigung solcher Bindungen Unterschiedliches vertreten, wobei das KG entschieden habe, dass es auf den Zeitpunkt des Ausscheidens ankomme. Danach soll es sich bei der Abfindungsforderung nur dann um eine nachrangige Insolvenzforderung gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO handeln, wenn der Gesellschafter im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder danach aus der GmbH ausgeschieden sei, analog § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO, andernfalls sei die Abfindungsforderung nicht mehr als nachträgliche Insolvenzforderung anzusehen und ein Verstoß gegen §§ 30 Abs. 1, 34 Abs. 3 GmbHG unbeachtlich.

Der BGH klärt diese Frage dahingehend, dass haftungs- und kapitalerhaltungsrechtliche Bindungen zu berücksichtigen seien.

Der Abfindungsanspruch nehme eine Zwischenstellung zwischen Mitgliedsrechten und Drittgläubigerrechten ein. Mitgliedschaftliche Rechte wie die Rückforderung von Einlagen würden keine Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO darstellen, da die Einlage haftendes Kapital der Gesellschaft darstelle und der Gesellschafter insoweit auf die Verteilung eines Überschusses nach § 199 InsO verwiesen sei. Dagegen stellen Drittgläubigerrechte, die den Gesellschafter unabhängig von seiner Mitgliedschaft aus einem Schuldverhältnis zustehen, (ggf. nachrangige) Insolvenzforderungen dar. Bei dem Abfindungsanspruch handele es sich um ein Gläubigerrecht, das sich dadurch auszeichnet, dass es trotz Lösung von der Mitgliedschaft gesellschaftsrechtlichen Bindungen unterliegen kann. Demgemäß sei es auch unerheblich, dass der vor der Insolvenz ausgeschiedene Gesellschafter nicht mehr Beteiligter im Sinne von § 199 InsO sei, da die Abfindungsforderung eben weiterhin gesellschaftsrechtlich gebunden sei.

Wie dieser Bindung Rechnung zu tragen sei, würde von der Gesellschaftsform abhängen. Im Fall der GmbH & Co. KG seien sowohl die für die KG geltenden Haftungsregeln der §§ 171 ff. HGB zu berücksichtigen als auch die bei der GmbH & Co. KG für Auszahlungen der KG an den Gesellschafter analog anzuwendenden Kapitalerhaltungsregeln der §§ 30, 31 GmbHG.

Der Abfindungsanspruch des Klägers als Kommanditisten unterliege insofern der Nachhaftung nach § 171 Abs. 1 1. HS. HGB, als die Auszahlung der Abfindung eine haftungsschädliche Einlagenrückgewähr nach § 172 Abs. 4 HGB darstelle. Nach §§ 160, 161 Abs. 1 HGB greife diese Haftung aber nur gegenüber Altgläubigern, d.h. für vor dem Ausscheiden begründete Verbindlichkeiten, wenn die Forderung innerhalb von 5 Jahren nach seinem Ausscheiden fällig geworden und fristwahrend geltend gemacht werde. Deswegen habe der Kommanditist mit seinem Abfindungsanspruch bis zur vollständigen Befriedigung der Altgläubiger diesen gegenüber zurückzustehen, gegenüber Neugläubigern sei er dagegen gleichrangig zu befriedigen.

Daneben sei auch bei der Auszahlung einer Abfindung an den Kommanditisten einer GmbH & Co. KG die Kapitalerhaltungsregel des § 30 Abs. 1 GmbHG zu beachten, da auch Leistungen aus dem Vermögen der KG das Stammkapital der Komplementär-GmbH betreffen können. Das sei vor allem bei kapitalmäßiger Beteiligung, aber auch ohne eine solche kraft der persönlichen Haftung der Komplementär-GmbH der Fall, die für die Verbindlichkeiten der KG hafte und deshalb Passivposten bilden müsse, die zu einer Unterbilanz führen können. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob eine Unterbilanz herbeigeführt oder vertieft werde, sei, wie allgemein bei §§ 30, 31 GmbHG, auch bei der Abfindung der der Auszahlung. Darüber hinaus müsse der Zahlungsempfänger bei Begründung seines Anspruchs Gesellschafter gewesen sein, nicht dagegen noch bei der Auszahlung.

Unerheblich sei, dass der Kläger bereits seit mehreren Jahren aus der GmbH und der Insolvenzschuldnerin ausgeschieden sein. Insofern sei auch nicht die Rechtsprechung des BGH auf Gesellschafterdarlehen bei ausgeschiedenen Gesellschaftern anwendbar, die nur dann von einer nachrangigen Insolvenzforderung gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ausgehe, wenn der Gesellschafter noch innerhalb der Anfechtungsfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO Gesellschafter gewesen sei. Denn es sei zwischen Eigenkapital und eigenkapitalersetzendem Fremdkapital zu unterscheiden. Gegen eine zeitliche Beschränkung würde die besondere Bedeutung des Eigenkapitals als haftendes Grundkapital sprechen. Dementsprechend habe auch der Einwand, dass der Gesellschafter mit seinem Ausscheiden jeden Einfluss auf die Gesellschaft verliere, keinen Bestand. Auch den ausgeschiedenen Gesellschafter treffe nämlich im Rahmen von §§ 34 Abs. 3, 31 Abs. 1 GmbHG immer noch eine Finanzierungsverantwortung.

Insgesamt sei der ausgeschiedene Gesellschafter daher erst bei der Verteilung des Überschusses im Rahmen der Schlussverteilung nach § 199 InsO zu berücksichtigen, da das Gebot der Erhaltung des Stammkapitals sämtliche, und damit auch die nachrangigen, Insolvenzgläubiger schütze.

Praxishinweis | BGH II ZR 10/19

Diese Entscheidung des BGH ist an Bedeutung für die Beratungspraxis bei Abfindungsforderungen nicht zu unterschätzen. Im Fall musste der BGH zur Frage, ob die Zahlungserstreckung von im Ergebnis 11 Jahren für die Abfindung, wirksam ist, keine Stellung nehmen. Lange Stundungsvereinbarungen sind nun aber erst recht auch mit Blick auf die Behandlung der Abfindung in der Insolvenz der Gesellschaft zu überdenken.