OLG Frankfurt am Main 20 W 98/18
Sittenwidrigkeit einer Besuchspflicht als Bedingung für Erbeinsetzung

07.10.2019

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Frankfurt am Main
05.02.2019
20 W 98/18
ZEV 2019, 212

Leitsatz | OLG Frankfurt am Main 20 W 98/18

Setzt ein Erblasser erbrechtliche Vermögensvorteile als Druckmittel für zu Lebzeiten durchzuführende Besuche seiner Enkelkinder ein, ist eine an die Besuchspflicht geknüpfte bedingte Erbeinsetzung der Enkel sittenwidrig und damit nichtig. Die Enkel sind unter Berücksichtigung des hypothetischen Willens des Erblassers auch ohne Erfüllung der Besuchspflicht Miterben.

Sachverhalt | OLG Frankfurt am Main 20 W 98/18

Die Beschwerdeführer sind die Enkel des Erblassers. Sie wenden sich gegen den Beschluss des Nachlassgerichts, der die letzte Ehefrau des Erblassers und einen Sohn des Erblassers aus früherer Ehe durch den Erbschein als je hälftige Miterben ausweist. Dem Erbschein liegt das handschriftlich geschriebene und von dem Erblasser unterschriebene Testament vom 20.09.2014 zugrunde. Dieses beinhaltete, dass die Ehefrau und der Sohn aus früherer Ehe je 25 % erhalten sollte. 50 % der 250.000 bis 300.000 Euro sollten die Enkel zu gleichen Teilen bekommen, wenn sie ihren Großvater regelmäßig, d.h. mindestens 6-mal im Jahr, besuchen. Wenn das der Fall war, sollte das Nachlassgericht bis zu ihrem 21. Lebensjahr das Geld auf einem Sperrkonto verwahren. Sollten die Enkel ihrer Besuchspflicht nicht nachgekommen sein, hatte der Erblasser eine Aufteilung der restlichen 50 % zwischen der Ehefrau und dem Sohn aus früherer Ehe vorgesehen.

Entscheidung | OLG Frankfurt am Main 20 W 98/18

Die von E aufgestellte aufschiebende Bedingung, die die Erbenstellung der Enkel von der Erfüllung einer Besuchspflicht abhängig macht, sei sittenwidrig und damit nichtig nach §§ 134, 138 BGB. Zwar gewährleiste die von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Testierfreiheit eines Erblassers, dass es ihm grundsätzlich möglich sein müsse, die Erbfolge nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Die Sittenwidrigkeit einer Bedingung könne nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen angenommen werden. Ein solcher Ausnahmefall sei gegeben, wenn die Bedingung unter Berücksichtigung der höchstpersönlichen und wirtschaftlichen Umstände die Entschließungsfreiheit des Zuwendungsempfängers unzumutbar unter Druck setze und durch die in Aussicht gestellten Vermögensvorteile Verhaltensweisen bewirkt werden sollen, die regelmäßig eine freie, innere Überzeugung des Handelnden voraussetze. Entscheidend seien die Umstände des Einzelfalles. Ein unbilliger Versuch der Einflussnahme scheide aus, wenn der Erblasser den Bedachten vor der bedingten Zuwendung nicht informiere, dass er Ereignisse vor dem Erbfall zur Bedingung mache.

Zwar sei nichts gegen den Wunsch des Erblassers einzuwenden, seine Enkelkinder in regelmäßigen Abständen bei sich zu Hause zu sehen. Jedoch habe der Erblasser hier seine Enkelkinder durch Inaussichtstellen einer Erbenstellung, die nur bei zwingender Erfüllung der Besuchsbedingung eintreten würde, die wiederum von der Mitwirkungsbereitschaft ihrer Eltern abhängen würde, dem Druck ausgesetzt, die Bedingung zur Erlangung eines Vermögensvorteils zu erfüllen. Der zu erlangende Vermögensvorteil sei bei einem Gesamtvermögen von 250.000 bis 300.000 Euro geeignet gewesen, die Entscheidung über die Besuchsfrage zu beeinflussen. Dass die Enkel der Drucksituation durch ein Einwirken der Eltern nur mittelbar ausgesetzt seien oder die Enkelkinder den Erblasser tatsächlich auch ohne die Bedingung im Testament gern regelmäßig besucht hätten, sei für die Beurteilung unerheblich. Dafür, dass der Erblasser eine Drucksituation schaffen wollte, spreche, dass er dem Vater der Enkelkinder das Testament mit einer „Vollstreckungsandrohung“ übersandte.

Aufgrund des hypothetischen Erblasserwillens ergebe sich eine Miterbenstellung der Enkelkinder. Für die Ermittlung des hypothetischen Willens sei zu fragen, ob der Erblasser, wenn er von der Unwirksamkeit der Besuchsbedingung gewusst hätte, im Zeitpunkt der Testamentserrichtung gewollt hätte, dass eine Erbeinsetzung seiner Enkelkinder aufrecht erhalten bleibe. Dafür spreche, dass die Enkelkinder für den Erblasser eine derartige Bedeutung hatten, dass er diese unter Enterbung seines eigenen Sohnes, wenn auch verknüpft mit einer unwirksamen Besuchsbedingung, mit der gleichen Erbquote wie seine Ehefrau und seinen weiteren Sohn bedachte. Der Inhalt der Besuchsbedingung zeige zudem, wie viel dem Erblasser an einer persönlichen Beziehung zu den Enkelkindern gelegen habe. Zudem habe der Erblasser vom Schutz der Enkelkinder ausgehen können, indem er die Erbeinsetzung damit verbunden habe, dass das Nachlassgericht bis zu deren 21. Lebensjahr das Geld auf einem Sperrkonto verwahren solle. Von der Fortgeltung dieser Bestimmung sei auszugehen. Diese Regelung lege auch nahe, dass für den Vater der Enkelkinder in keinem Fall eine faktische Verfügungsmöglichkeit bestehen solle.

Kein Anhalt sei für eine Aufteilung der restlichen 50 % des Geldes auf die Ehefrau und den anderen Sohn gegeben, obwohl im Testament geregelt war, dass dies eintrete, wenn die eingeforderten Besuche nicht stattfinden sollten. Diese Regelung sollte vielmehr beim Vater der Enkelkinder Druck erzeugen, die Besuche durchzusetzen, da ansonsten sein Stamm in jedem Fall nicht bedacht werde. Die vom Erblasser vorgenommene Erbaufteilung zwischen der Ehefrau und den beiden Nachfolgestämmen habe sich bereits dem Ansatz nach im widerrufenen Erbvertrag gezeigt. Anhaltspunkte für ein Abweichen der Aufteilung des Erbes auf alle „Familienteile“ seien nicht gegeben.

Praxishinweis | OLG Frankfurt am Main 20 W 98/18

Im vorliegenden Fall kam es für die Bewertung der Unzumutbarkeit des Drucks maßgeblich auf die Situation des Minderjährigen an. Einerseits könnte das Kind gezwungen sein, zwischen der Loyalität zu den Eltern oder dem Erblasser zu wählen. Andererseits könnten die Eltern rein tatsächlich die Besuche und damit den Anfall der Erbschaft unterbinden. Die Minderjährigkeit gibt daher hier für die Frage der Sittenwidrigkeit den entscheidenden Ausschlag. Aus gestalterischer Sicht ist bei testamentarischen Besuchsbedingungen künftig erhöhte Vorsicht geboten. Generell ausgeschlossen sind sie aber nicht.