BGH II ZR 392/17
Vertretung der AG durch Aufsichtsrat bei Vertrag mit Ein-Personen-Gesellschaft eines Vorstandsmitglieds

07.05.2019

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
15.01.2019
II ZR 392/17
ZIP 2019, 564

Leitsatz | BGH II ZR 392/17

Der Aufsichtsrat vertritt die Aktiengesellschaft nicht nur bei Rechtsgeschäften, die mit einem Vorstandsmitglied selbst geschlossen werden, sondern auch bei Rechtsgeschäften mit einer Gesellschaft, deren alleiniger Gesellschafter ein Vorstandsmitglied ist.

Sachverhalt | BGH II ZR 392/17

Die klagende AG schloss mit der Beklagten einen „Geschäftsanteilskauf- und Übertragungsvertrag“ über deren Geschäftsanteile an einer GmbH. Dabei wurde die AG durch einen Bevollmächtigten ihres Vorstands vertreten. Nach der Präambel des Vertrages sollte der Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Beklagten eine Führungsposition bei der Klägerin übernehmen. Die Abtretung der Geschäftsanteile war nach den vertraglichen Vereinbarungen u.a. durch den Abschluss von Vorstandsdienstverträgen aufschiebend bedingt, die ihrerseits wiederum nur bei fristgemäßer Zahlung des Basiskaufpreises in Kraft treten sollten. Anschließend fand eine Aufsichtsratssitzung der Klägerin statt, in der der alleinige Gesellschafter zum Vorstand der Klägerin bestellt und ein Vorstandsdienstvertrag unterschrieben wurde. Die Klägerin verlangt nun wegen Nichtigkeit des Anteilskaufvertrages aufgrund eines Verstoßes gegen § 112 Satz 1 AktG die Rückzahlung des Kaufpreises.

Entscheidung | BGH II ZR 392/17

Der BGH musste darüber entscheiden, ob § 112 Satz 1 AktG auch anwendbar ist, wenn bei Rechtsgeschäften mit einer Gesellschaft, deren alleiniger Gesellschafter ein Vorstandsmitglied ist. Im Urteil sprach sich der BGH für eine Anwendbarkeit der Vorschrift aus. Aus den Gesetzesmaterialien ergeben sich zwar weder Anhaltspunkte für noch gegen eine erweiternde Auslegung des Begriffs des „Vorstandsmitglieds“ i.S.v. § 112 AktG. Auch nach der Systematik spreche § 112 Satz 1 AktG als Ausnahme der ausschließlichen Vertretungsmacht des Vorstands (§ 78 I AktG) für eine enge Auslegung der Vorschrift, schließe ihre Erweiterung über den Wortlaut hinaus auf Fälle, die in ihren Schutzbereich fallen, aber nicht grundsätzlich aus. Vielmehr spreche der Schutzzweck der Norm für eine entsprechende Erweiterung des Anwendungsbereichs. Andernfalls wäre einer Umgehung des von § 112 Satz 1 AktG bezweckten Schutzes der Interessen der Gesellschaft durch Einschaltung einer Ein-Personen-Gesellschaft eines Vorstandsmitgliedes Tür und Tor geöffnet. Zwar entstehe bei der Erweiterung des Anwendungsbereichs der Vorschrift ein Widerspruch zu § 111 IV 1 AktG, da dem Aufsichtsrat danach keine Maßnahmen der Geschäftsführung übertragen werden können. Dieser Widerspruch sei aber in § 112 Satz 1 AktG angelegt und in Abwägung mit dessen Schutzzweck hinzunehmen.

Unerheblich sei für die Anwendbarkeit der Norm, ob die Bestellung zum Vorstand zeitlich vor oder nach Beurkundung des Geschäftsanteilskaufvertrages erfolge. Insoweit sei der Wortlaut des § 112 Satz 1 AktG zu eng. Vielmehr sei der Aufsichtsrat nicht nur gegenüber amtierenden Vorstandsmitgliedern zur Vertretung befugt, sondern auch gegenüber Personen, die erst künftig zum Vorstand bestellt werden. Dies gelte zumindest für Rechtsgeschäfte, die im Vorfeld der beabsichtigen Bestellung erfolgen und mit dieser in Zusammenhang stehen. Ohne Einbeziehung dieser Fallvariante wäre auch hier eine Umgehung des durch § 112 Satz 1 AktG bezweckten Schutzes durch eine andere zeitliche Abfolge von Abschluss des Rechtsgeschäfts und der Bestellung zum Vorstand möglich. Eine ggf. im Einzelfall bestehende Unsicherheit, ob ein Rechtsgeschäft vor der Bestellung zum Vorstand bereits unter § 112 Satz 1 AktG zu fassen ist oder nicht, sei dagegen hinzunehmen.

Praxishinweis | BGH II ZR 392/17

Mit diesem Urteil schließt sich der BGH der in der Literatur vertretenen überwiegenden Ansicht an, dass § 112 Satz 1 AktG bei Rechtsgeschäften mit einem Dritten entsprechend anwendbar ist, wenn zwischen diesem und einem Vorstandsmitglied eine wirtschaftliche Identität besteht. Weiterhin ungeklärt bleibt hingegen die Frage, ob § 112 Satz 1 AktG ebenso anwendbar ist, wenn das Vorstandsmitglied nicht Alleingesellschafter der anderen Gesellschaft ist, sondern nur maßgeblichen Einfluss in ihr hat. Aus Gründen der Rechtssicherheit spricht sich in diesen Fällen die wohl herrschende Meinung gegen eine entsprechende Anwendung der Norm aus.

Hinsichtlich der verbleibenden Rechtsunsicherheit sollten sich die Parteien eines potentiell in den Anwendungsbereich des § 112 Satz 1 AktG fallenden Rechtsgeschäfts nicht auf nachträgliche Genehmigungsmöglichkeiten verlassen, sondern im Zweifel eine Doppelvertretung anwenden.