BGH II ZR 364/18
Keine analoge Anwendung des § 179a AktG

15.04.2019

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
08.01.2019
II ZR 364/18
juris

Leitsatz | BGH II ZR 364/18

  1. § 179a AktG ist auf die GmbH nicht analog anwendbar.
  2. Die Verpflichtung zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens einer GmbH ist ein besonders bedeutsames Geschäft, zu dessen Vornahme der Geschäftsführer einen zustimmenden Beschluss der Gesellschafterversammlung herbeiführen muss, selbst wenn der Gesellschaftsvertrag einen entsprechenden Zustimmungsvorbehalt nicht enthält.
  3. Missachtet der Geschäftsführer bei der Verpflichtung zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens einer GmbH einen im Gesellschaftsvertrag geregelten oder aus der besonderen Bedeutsamkeit des Geschäfts abgeleiteten Zustimmungsvorbehalt der Gesellschafterversammlung, kann der Vertragspartner der GmbH aus dem formal durch die Vertretungsmacht des Geschäftsführers gedeckten Geschäft keine vertraglichen Rechte oder Einwendungen herleiten, wenn er den Missbrauch der Vertretungsmacht kennt oder er sich ihm geradezu aufdrängen muss, selbst wenn das Geschäft der Gesellschaft nicht zum Nachteil gereicht.

Sachverhalt | BGH II ZR 364/18

Die zwei Gesellschafter einer GmbH (Klägerin) beschlossen die Gesellschaft zu liquidieren. Es bestand auch Einigkeit darüber, dass das zur Gesellschaft gehörige Grundstück, welches das wesentliche Betriebsvermögen darstellte, später veräußert werden sollte. Beide Gesellschafter wurden sodann zu alleinvertretungsberechtigten Liquidatoren bestellt.

Gesellschafter 1 verkaufte das Grundstück unter Widerspruch des Gesellschafters 2, der selbst Interesse am Erwerb hatte, an den Beklagten. Zugunsten des Beklagten wurde in das Grundbuch eine Auflassungsvormerkung eingetragen. Die Klägerin verlangte vom Beklagten Zustimmung zur Löschung der Auflassungsvormerkung, denn Gesellschafter 2 ist der Ansicht, dass das Geschäft der Zustimmung beider Gesellschafter bedurft hätte.

Das OLG Brandenburg (Urt. v. 29.03.2018 – 5 U 18/16, GmbHR 2019, 183 m. Anm. Wachter) verneinte den Anspruch aus § 894 BGB auf Bewilligung der Löschung der Auflassungsvormer-kung, da das Grundbuch nicht unrichtig sei. Der geschlossene Kaufvertrag sei nicht unwirksam. Zumindest sei § 179a Abs. 1 AktG in der Liquidation der Gesellschaft nicht analog anwendbar. Außerdem sei weder ein Missbrauch der Vertretungsmacht noch ein kollusives Zusammenwirken bewiesen.

Entscheidung | BGH II ZR 364/18

Der BGH hob das Berufungsgericht auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. Zutreffend sei jedoch das OLG davon ausgegangen, dass § 179a AktG hier nicht analog anzuwenden sei. Der BGH ist jedoch der Ansicht, dass § 179a AktG grundsätzlich nicht auf die GmbH analog angewendet werden könne. Es fehle insoweit an einer vergleichbaren Interessenlage.

Die Gesellschafter einer GmbH hätten eine wesentlich stärkere Einflussmöglichkeit auf die Geschäftsführung als die Aktionäre einer Aktiengesellschaft. Die Gesellschafter bestellen den Geschäftsführer und haben auch die Befugnis ihn wieder abzuberufen sowie zu kündigen. Ihnen stehe auch das Weisungsrecht an den Geschäftsführer und ein umfassendes Prüfungs- und Überwachungsrecht zu. Im Aktienrecht können die Aktionäre dagegen nur sehr beschränkt Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen. Darüber hinaus haben die Aktionäre nur ein eingeschränktes Fragerecht in der Hauptversammlung und können weder schriftliche Auskunft verlangen noch in die Vertragsunterlagen Einsicht nehmen. Den GmbH-Gesellschaftern stehe demgegenüber ein individuelles umfassendes Informationsrecht zu. Die GmbH-Gesellschafter seien somit weniger schutzbedürftig.

Außerdem stehen den Gesellschaftern andere Instrumente vor Alleingängen der Geschäftsführung zur Seite. Bei besonders bedeutsamen Geschäften, wie der Verpflichtung zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens, müsse der Geschäftsführer selbst ohne entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelung gem. § 49 Abs. 2 GmbHG einen Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung herbeiführen. Hierdurch sei auch der Minderheitsgesellschafter geschützt, da er einen solchen Beschluss gerichtlich überprüfen lassen könne. Grundsätzlich habe ein Verstoß dagegen zwar nicht die gleiche Wirkung wie bei § 179a AktG, aber bei einem Missbrauch der Vertretungsmacht könne der Vertragspartner, wenn er davon wisse oder es sich ihm hätte aufdrängen müssen, keine vertraglichen Rechte oder Einwendungen aus dem Geschäft geltend machen. In diesem Fall sei die Willenserklärung des Geschäftsführers unwirksam. Zu prüfen sei dies anhand der Umstände des Einzelfalles. In der Regel müsse sich dem Vertragspartner bei der Übertragung des gesamten Unternehmens oder wie im vorliegenden Fall einer Immobilie, die das wesentliche Betriebsvermögen darstelle, aufdrängen, dass der Geschäftsführer ohne Zustimmungsbeschluss seine Vertretungsmacht überschreite. Es reiche insoweit nicht aus, wenn sich der Vertragspartner darauf berufe, nichts von der fehlenden Zustimmung gewusst zu haben. In diesen Fällen obliege dem Vertragspartner eine Erkundigungspflicht. Der gute Glaube könne zudem zerstört werden, wenn der Vertragspartner erfahren würde, dass die Gesellschafter nicht mit dem Geschäft einverstanden seien. Sei dem Vertragspartner im Ergebnis nichts vorzuwerfen, bliebe immer noch die Möglichkeit Schadenersatzansprüche gegen den Geschäftsführer geltend zu machen.

Bei der Aktiengesellschaft gehe man darüber hinaus zu Recht davon aus, dass ein Vertrag zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens zwingend eines Hauptversammlungsbeschlusses bedürfe, da dieser ansonsten (schwebend) unwirksam sei. Dies sei eine systemfremde Beschränkung der Vertretungsmacht im Außenverhältnis, da im Handelsrecht grundsätzlich das Prinzip der unbeschränkten Vertretungsmacht nach außen gelte (§ 37 Abs. 2 GmbHG, §§ 50 Abs. 1, 126 Abs. 2 HGB, § 82 Abs. 1 AktG, § 27 Abs. 2 GenG). Damit werde eine Rechtsunsicherheit hervorgerufen. Beispielhaft führt der BGH einen Immobilienkaufvertrag an. Die Vormerkung hätte keine Sicherungswirkung mehr, es könne auch keine Heilung gem. § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB eintreten und es bestehe schließlich ein Rückabwicklungsanspruch. Außerdem würden weitere Haftungsrisiken, insbesondere für Notare, dadurch geschaffen werden.

Im Ergebnis führe deshalb die Interessenabwägung zwischen dem Schutz der Gesellschafterinteressen und dem Schutz des redlichen Rechtsverkehrs dazu, dass Letzterer überwiege.

Nicht stand hielt jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, dass ein Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Gesellschafter 1 nicht bewiesen sei. Für Liquidatoren gelten die gleichen Grundsätze wie für die Geschäftsführer, denn auch bei einer aufgelösten Gesellschaft blieben die Befugnisse der Gesellschafterversammlung weitestgehend bestehen. Der Gesellschafter 1 sei aufgrund des Widerspruch des anderen Gesellschafters und dessen Eigeninteresse an der Immobilie verpflichtet gewesen, vor Abschluss des Geschäfts einen zustimmenden Gesellschafterbeschluss herbeizuführen. Inwieweit der Beklagte davon Kenntnis gehabt habe bzw. sich dem Beklagten dies hätte aufdrängen müssen, habe das Berufungsgericht nochmals zu prüfen.

Praxishinweis | BGH II ZR 364/18

Überraschend und entgegen der vorherrschenden Meinung erklärt der BGH, dass § 179a AktG nicht entsprechend auf die GmbH anwendbar ist. Noch 1995 (vgl. nachstehend) hatte der gleiche Senat unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung § 179a AktG sogar für die Personengesellschaften für anwendbar erklärt. Diese Rechtsprechung gibt er auf, ohne dies klar zu sagen. Bei der Personengesellschaft hätte man mit den gleichen Argumenten, wie sie jetzt bei der GmbH verwandt werden, auch seinerzeit § 179a AktG für unanwendbar erklären müssen.

Der Schutz der Gesellschafter einer GmbH, die nicht an der Geschäftsführung beteiligt sind, wird mit dieser Entscheidung massiv eingeschränkt. Dies ist im Vergleich zur Aktiengesellschaft nicht unbedenklich, da dort immerhin der Aufsichtsrat den Vorstand kontrolliert und eigentlich das Interesse der Gesellschafter an den Vermögenswerten der Gesellschaft deutlich höher ist als das der Aktionäre, die eigentlich nur kapitalistisch beteiligt sind.

Diese grundlegende Entscheidung des Senats bedeutet aber nicht, dass bei einer Veräußerung von wesentlichen Vermögensbestandteilen kein Zustimmungsbeschluss mehr erforderlich ist. Die Geschäftsführung bedarf bei außergewöhnlichen Geschäften trotzdem der Zustimmung der Gesellschafter. Es genügt nunmehr grundsätzlich eine einfache Mehrheit und der Beschluss muss wohl auch nicht beurkundet werden. Außerdem ist das Rechtsgeschäft unwirksam, wenn der Vertragspartner erkennt oder erkennen muss, dass der Geschäftsführer hier nicht ohne Zustimmung der Gesellschafter handeln darf.

Obwohl der BGH dies nicht ausdrücklich erklärt, ändert er damit wohl seine Rechtsprechung allerdings auch in Bezug auf Personengesellschaften, bei welchen er in der Vergangenheit § 179a AktG mehrfach für anwendbar erklärt und darin einen grundsätzlichen Rechtsgedanken gesehen hatte (vgl. u.a. BGH v. 09.01.1995 - II ZR 24/94, ZIP 1995, 278). Es ist folglich davon auszugehen, dass § 179a AktG in seiner Anwendung nur noch auf die Aktiengesellschaft, KGaA und SE beschränkt ist.

Die Praxis sollte unbedingt bei einem Geschäft, welches offensichtlich das gesamte Vermögen oder wesentliche Teile des Vermögens der Gesellschaft betrifft, zuvor einen zustimmenden Gesellschafterbeschluss einzuholen.