KG 21 U 9/16
Kein Zugriff der Eltern auf den Facebook-Account ihres verstorbenen Kindes

19.01.2018

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

KG
31.05.2017
21 U 9/16
RNotZ 2017, 457 = ZEV 2017, 386

Leitsatz | KG 21 U 9/16

Nach dem Tod ihres minderjährigen Kindes haben die Eltern keinen Anspruch auf Zugang zu dessen Facebook-Account und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten. 

Sachverhalt | KG 21 U 9/16

Klägerin ist die Mutter eines im Alter von 15 Jahren verstorbenen Kindes, dessen Todesumstände ungeklärt sind. Die Verstorbene hatte einen Facebook-Account. Die Klägerin begehrte von der Beklagten, der Betreiberin des sozialen Netzwerkes, Zugang zu dem Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten. Nach dem Tod hatte die Beklagte das Benutzerkonto in den sog. Gedenkzustand versetzt, wodurch ein Zugriff auf das Konto nicht mehr möglich war. Die Klägerin war gesetzliche Vertreterin und ist neben dem Vater Erbe der Verstorbenen.

Das LG Berlin hatte die Beklagte verurteilt, der Erbengemeinschaft Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten der Verstorbenen zu gewähren, wogegen die Beklagte Berufung eingelegt hat.

Entscheidung | KG 21 U 9/16

Das KG entschied, dass die Berufung zulässig und begründet sei.

Zwar könnte grundsätzlich ein Anspruch aus § 1922 BGB bestehen, diesem stehe allerdings § 88 Abs. 3 TKG (Telekommunikationsgeheimnis) entgegen.

Möglich sei, dass das zwischen Erblasser und der Beklagten vereinbarte Accountverhältnis vererblich sei. Der Vermögensbegriff des § 1922 BGB erfasse neben geldwerten Rechtsbeziehungen auch vertragliche Verpflichtungen aus geschlossenen Verträgen. Dem stehen weder die Nutzungsbedingungen, noch das persönlichkeitsbezogene Wesen des Vertrages entgegen. Die Beklagte habe ebenso keine besondere Verschwiegenheitspflicht wie beispielsweise Ärzte oder Rechtsanwälte. Fraglich sei nur, ob den Erben der Zugang zu höchstpersönlichen Daten gewährt werden müsse, da nach h.M. dieses Recht nicht einmal den nächsten Angehörigen als Wahrnehmungsberechtigten des postmortalen Persönlichkeitsrechts zustehe. Die Frage ließ das KG offen, da der Zugang jedenfalls gegen das Telekommunika-tionsgeheimnis verstoßen würde.

Die Zugangseröffnung verstieße gegen die in § 88 Abs. 3 TKG geschützten Rechte der Kommunikationspartner. Damit liege für die Beklagte ein Fall rechtlicher Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 1 BGB vor. Die Beklagte sei Dienstanbieter i.S.d. Vorschriften des TKG, denn sie sei zwar selbst kein Telekommunikationsdienstanbieter, müsse sich die Signalübertragungsleistungen der Telekommunikationsunternehmen jedoch zurechnen lassen (so schon das VG Köln v. 11.11.2015 – 21 K 450/15). Selbst wenn man dies anders sehe, komme § 88 TKG über § 7 Abs. 2 S. 3 TMG zur Anwendung, weil die Beklagte zumindest Dienstanbieter von Telemedien sei. Das Zugänglichmachen des Accounts sei auch nicht erforderlich für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste der Beklagten. Dies ergebe sich aus der Gesamtbetrachtung, denn die Beklagte wolle lediglich Telekommunikationsdienste für den persönlichen Accountinhaber zu dessen Lebzeiten anbieten. Ein Anspruch aus § 1922 BGB reiche darüber hinaus nicht als gesetzliche Erlaubnis i.S.d. § 88 Abs. 3 S. 3 TKG, da sich dieser nicht ausdrücklich auf Telekommunikationsvorgänge bezieht. Schließlich lägen auch keine (mutmaßlichen) Einwilligungen der Telekommunikationspartner vor. Selbst der Hilfsantrag der Klägerin auf Zugang zum vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten unter Entfernung der Namen und personenbezogenen Daten könne nicht stattgegeben werden, weil vom Telekommunikationsgeheimnis ebenso der Inhalt der Kommunikation geschützt sei. Weitere Anspruchsgrundlagen wie der Zugang aufgrund der elterlichen Sorge gem. §§ 1626 ff. BGB oder ein Schadenersatzanspruch aus §§ 280 i.V.m. 1922 BGB scheiden laut KG ebenfalls aus.

Praxishinweis | KG 21 U 9/16

In der Literatur hatte das erstinstanzliche Urteil viel Zuspruch gefunden (Deusch, ZEV 2016, 189; Gloser, DNotZ 2016, 537; Knoop, NZFam 2016, 966). Das KG sah hier einen Fall von grundsätzlicher Bedeutung und ließ die Revision zum BGH, die bereits eingelegt wurde (Az. III ZR 183/17), zu. Die Entscheidung bleibt deshalb mit Spannung zu erwarten.

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