LG Berlin 67 S 76/16
Mietminderung wegen Großbaustelle zulässig?

22.12.2017

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LG Berlin
16.06.2016
67 S 76/16
juris = IMR 2016, 321

Leitsatz | LG Berlin 67 S 76/16

1.    Auf die (Wohnraum-)Mietsache einwirkende erhebliche Bauimmissionen führen gem. § 536 Abs. I BGB zur Minderung der Miete.

2.     Die Minderung tritt auch dann ein, wenn zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses noch keine Beeinträchtigungen bestanden haben sollten und die nachträgliche Erhöhung der Immissionslast nicht vom Vermieter, sondern von einem Dritten zu verantworten ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob dem Vermieter gegenüber dem Veranlasser der Immissionen Abwehr- oder Entschädigungsansprüche (gem. § 906 BGB) zustehen. Für eine ergänzende Vertragsauslegung zu Lasten des Mieters ist dabei kein Raum.

3.     Auch wenn sich der Mieter bei Abschluss des Mietvertrags keine oder falsche Vorstellungen über die künftige Entwicklung des Umfelds gemacht hat, sind darauf beruhende spätere Gewährleistungsansprüche nicht gem. § 536 b S. 1 oder 2 BGB wegen vorsätzlicher Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Mangels bei Vertragsabschluss ausgeschlossen. Eine entsprechende Fehlvorstellung des Mieters begründet allenfalls den Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit, der zur Anwendung des § 536 b BGB nicht ausreicht. Das gilt auch dann, wenn sich zum Zeitpunkt der Anmietung neben der im Innenstadtbereich gelegenen Mietsache eine noch unbebaute Baulücke befindet.

Sachverhalt | LG Berlin 67 S 76/16

Klägerin ist eine Mieterin aus Berlin-Mitte, die im Jahr 2000 in eine Wohnung zog, die direkt neben eine mit Bäumen bewachsene Baulücke zog. 2013 begannen auf dem unbebauten Grundstück Bauarbeiten, welche bei der Mieterin zu einer Beeinträchtigung durch Bauemissionen wie Risse in der Zimmerwand, Lärm, Staub und Erschütterungen sowie wiederholte Warmwasserversorgungsausfälle führte. Die Klägerin machte im Folgenden eine Mietminderung von 20% der gezahlten Miete gegenüber ihrem Vermieter, dem Beklagten, geltend und zahlte die volle Miete nur noch unter Vorbehalt der Rückforderung. Der Beklagte wies die Mietminderung zurück, er habe vom Eigentümer des Nachbargrundstücks keinerlei Entschädigung nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB erhalten und solche Baumaßnahmen seien zudem in Großstädten üblich. Auch sah er die Mieterin als fahrlässig an, sie hätte bei ihrem Einzug aufgrund der Baulücke damit rechnen müssen, dass es zu derartigen Baumaßnahmen kommen könnte. 

Entscheidung | LG Berlin 67 S 76/16

Das LG Berlin folgte der Ansicht der Klägerin und verurteilte den Vermieter zur Rückzahlung der zu Unrecht erhaltenen Miete. Die Mietsache habe durch die erheblichen Bauemissionen – welche unstreitig vorgelegen haben – nicht dem vertragliche geschuldeten Zustand entsprochen und ein Mietmangel nach § 536 Abs. 1 BGB lag nach Ansicht des Gerichtes vor. Der übliche Mindeststandard war auch nicht durch eine Sollbeschaffenheitsvereinbarung zwischen Mieter und Vermieter unterschritten worden und da nach Sicht des LG Berlin die Bauemissionen dazu geeignet waren, Gesundheitsschäden bei der Mieterin hervorzurufen, sei der übliche Mindeststandard nicht gewahrt. Auf die Geeignetheit zur Gesundheitsbeeinträchtigung käme es jedoch gar nicht an, da bereits die erheblichen und dauerhaften Lärm-, Erschütterungs- und Staubimmissionen für eine 20% Mietminderung ausreichend gewesen wären. Derartige Emissionen seien selbst in Großstädten wie Berlin unüblich.

Nach Sicht des LG Berlin sei eine Mietminderung selbst dann zulässig, wenn dem Vermieter kein Anspruch auf Unterlassung oder Entschädigung vom Bauherren, der die Bauemissionen hervorbringenden Baustelle zustünden.

Eine Einschlägigkeit von § 536b BGB sah das Gericht ebenfalls nicht als gegeben an, die Mieterin habe keinesfalls grob fahrlässig gehandelt, allenfalls fahrlässig, da sie sich aufgrund der vorhandenen Baulücke keine Gedanken über künftig mögliche Bauvorhaben gemacht hatte.

Das LG Berlin hat die Revision zum BGH ausdrücklich nicht zugelassen.

Praxishinweis | LG Berlin 67 S 76/16

Lärmbelästigungen durch eine benachbarte Großbaustelle erlauben unter Umständen eine Mietminderung.

Der Vermieter muss auch dann für die Mangelfreiheit der Mietsache einstehen, wenn er den Mangel nicht abstellen kann und ihm keine Möglichkeit gegeben ist, die Mietminderung an den Verursacher des Mangels weiter zu geben.