BGH XII ZB 61/16
Anforderungen an eine Betreuungsvollmacht und eine Patientenverfügung

26.10.2016

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
06.07.2016
XII ZB 61/16
BWNotZ 2016, 114

Leitsatz | BGH XII ZB 61/16

1. Die schriftliche Äußerung, „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zu wünschen, enthält für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung notwendige Behandlungsentscheidung des Betroffenen. Die insoweit erforderliche Konkretisierung kann aber gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifische Krankheiten oder Behandlungsmethoden erfolgen.

2. Eine nach § 1904 Abs. 5 BGB erstellte Vorsorgevollmacht muss im Vollmachtstext hinreichend klar umschreiben, dass sie sich auf die in § 1904 Abs. 1 und Abs. 2 BGB genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, diese zu unterlassen oder am Betroffenen vornehmen zu lassen. Hierzu muss aus der Vollmacht zudem klar hervorgehen, dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann.

Sachverhalt | BGH XII ZB 61/16

Die E erlitt im Jahr 2011 einen Hirnschlag und verlor infolge epileptischer Anfälle im Frühjahr 2013 auch ihre Fähigkeit zur verbalen Kommunikation. 2003 hatte sie eine schriftliche Patientenverfügung unterzeichnet und darüber hinaus in derselben Urkunde einer ihrer drei volljährigen Töchter (T1) Vollmacht für den Fall erteilt, dass sie außerstande sein sollte, ihren Willen zu bilden oder zu äußern. Diese Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht erneuerte sie im Jahr 2011 wortgleich. In einer notariellen Urkunde aus dem Jahr 2003 hatte sich die E darüber hinaus gegenseitig mit ihrem Ehemann Generalvollmacht erteilt und die T1 auch als Ersatzbevollmächtigten benannt.

Die Patientenverfügung enthielt den Passus, dass für den Fall, das bei einer Krankheit oder einem Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibe, "lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben" sollten. Sie war weiterhin so gefasst, dass die E der T1 aufgab, ihren Willen im Sinne dieser Patientenverfügung einzubringen und vorzutragen, so dass dieser bei von den Ärzten berücksichtigt werden konnte.

Die Vollmachten berechtigten die T1 auch zur Vertretung in Fragen der medizinischen Versorgung und Behandlung. Laut Vollmachtstext konnte die T1 "in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, in eine Heilbehandlung oder in die Durchführung eines ärztlichen Eingriffs einwilligen, die Einwilligung hierzu verweigern oder zurücknehmen." Außerdem war der Vollmacht die Befugnis zu entnehmen, dass die T1 über den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen entscheiden könne. Die E hatte darüber hinaus niedergelegt, dass sie im Fall einer zum Tode führenden Erkrankung kein Wert auf lebensverlängernde Maßnahmen lege, wenn feststehe, dass eine Besserung des Zustands nicht erwartet werden könne.

Nachdem die E ihre Fähigkeit zur verbalen Kommunikation verloren hatte, verlangte eine der nicht bevollmächtigten Töchter (NBT) von der T1, dass sie ihre Vollmacht ausübe und die Abschaltung der lebensverlängernden Maßnahmen verlange. Die T1 sah im Einvernehmen mit dem behandelnden Arzt einen solchen Willen der E nicht für gegeben und verweigerte daher eine solche Vollmachtsausübung. Die NBT verlangte daher die Bestellung eines Kontrollbetreuers, da sie den durch die Vollmachten und Patientenverfügung geäußerten Willen der E nicht gewahrt sah.

Das Amtsgericht hatte zunächst diesen Antrag zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der NBT hat das Landgericht die Kontrollbetreuung angeordnet. Hiergegen wendete sich die T1 mit der Rechtsbeschwerde an den BGH.

Entscheidung | BGH XII ZB 61/16

Der BGH hat der Rechtsbeschwerde stattgegeben und die Sache zur erneuten Verhandlung dem Landgericht zurückverwiesen. Die Voraussetzungen für die Einsetzung eines Kontrollbetreuers seien wegen der vorhandenen Übereinstimmung zwischen Arzt und der T1 nicht gegeben. In seiner Entscheidung verdeutlicht der BGH die grundsätzlichen Anforderungen an eine wirksame Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht nach § 1904 Abs. 5 BGB.

Patientenverfügung

Eine Patientenverfügung muss demnach eine bestimmte Behandlungsentscheidung hinreichend konkret darlegen. Enthält diese lediglich den Passus „keine lebenserhaltenden Maßnahmen zu wünschen“ oder „würdevoll zu sterben“, äußert sich hierin, jedenfalls für sich genommen, kein hinreichend konkreter Behandlungswunsch des Verfügenden in einer bestimmten Situation. Es fehlt dabei an hinreichender Bestimmtheit des Behandlungswunsches.

Eine Patientenverfügung kann nur dann unmittelbare Bindungswirkung entfalten, wenn dieser ein konkreter Wille über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden kann. Der BGH erkennt auch, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dabei nicht überspannt werden dürfen. Ausreichend ist daher, wenn der Betroffene umschreibend äußert, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation für sich wünscht. Eine insoweit erforderliche Konkretisierung kann dabei durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen. Der Betroffene müsse dementsprechend seine eigene Patientenbiografie nicht vorausahnen.

Im vorliegenden Fall war zusätzlich nicht erkennbar, dass die E ihren Willen ausdrücklich festgelegt wissen wollte, weil sie in der Patientenverfügung dargelegt hatte, dass ihr Wille durch die Ärzte lediglich berücksichtigt werden solle. Damit geht gerade keine bestimmte Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in ärztliche Maßnahmen einher.

Vorsorgevollmacht

Voraussetzungen einer wirksamen Vorsorgevollmacht nach § 1904 Abs. 5 BGB ist neben der Schriftform der Vollmacht, dass diese inhaltlich § 1904 Abs. 5 S. 2 BGB genügt. Danach ist einem Bevollmächtigten das Recht, in die Untersuchung des Gesundheitszustandes, in eine Heilbehandlung oder in einen ärztlichen Eingriff bei Vorliegen der in § 1904 Abs. 1 und 2 BGB benannten Gefahrensituation einzuwilligen, nicht einzuwilligen oder eine Einwilligung des Betroffenen zu widerrufen, nur gegeben, wenn die Vollmacht die Maßnahmen ausdrücklich umfasst. Die qualifizierte Gefahrensituation besteht dabei einerseits darin, dass die ärztlichen Maßnahmen mit der begründeten Gefahr des Todes oder dem Eintritt eines schweren oder länger dauernden gesundheitlichen Schadens einhergehen (§ 1904 Abs. 1 BGB). Andererseits besteht sie darin, dass es um die Unterlassung oder Beendigung von lebenserhaltenden Maßnahmen geht (§ 1904 Abs. 2 BGB).
Die Vorsorgevollmacht muss dabei nicht den Wortlaut der Paragraphen ausdrücklich wiedergeben. Der Gesetzgeber verfolgte mit der Formulierung in § 1904 Abs. 5 BGB den Zweck, dass sich der Vollmachtgeber der besonderen Tragweite der Vollmacht bewusst wird, die es dem Bevollmächtigten erlaubt, buchstäblich über Tod oder Leben zu entscheiden. Nicht ausreichend ist daher allein der Verweis in der Vollmacht auf die gesetzlichen Bestimmungen, weil damit dem Schutz des Vollmachtgebers nicht hinreichend Rechnung getragen wird.

Der Text muss vielmehr umschreibend die im Gesetz genannten Maßnahmen aufführen und klar darstellen, dass die Entscheidungskompetenz des Bevollmächtigten sich auf diese Maßnahmen bezieht. Darüber hinaus muss aus der Vollmacht auch deutlich hervorgehen, dass sich der Vollmachtgeber bewusst ist, dass diese Entscheidungskompetenz für eine bestimmte qualifizierte Gefahrenlage eingeräumt wird. Dritten muss aus dem Vollmachtstext ersichtlich sein, dass es dem Willen des Betroffenen entspricht, dem Bevollmächtigten gerade in diesen Situationen eine Entscheidungsbefugnis zu übertragen.

In der vorliegenden Entscheidung kam es auf die inhaltliche Bestimmtheit der Vorsorgevollmacht, die wohl den Maßstäben des BGH nicht genügt hätte, jedoch nicht an, weil die T1 sich zusammen mit den Ärzten für eine Fortführung der lebenserhaltenden Maßnahmen ausgesprochen hatte. Eine solche Entscheidung tangiert jedoch gerade nicht die in § 1904 Abs. 1 und Abs. 2 BGB genannten Situationen.

Praxishinweis | BGH XII ZB 61/16

Die Entscheidung verdeutlicht, dass der Willen des Betroffenen in einer Vollmacht oder einer Patientenverfügung umfangreicher Konkretisierung bedarf. Der Betroffene wird zu einem noch bewussteren Umgang mit den von ihm verfügten Erklärungen gezwungen. Gerade weil die Patientenverfügung und die Vorsorgevollmacht auch ohne notarielle Begleitung erstellt werden können, entspricht dieser bewusste Umgang dem Ziel des Gesetzgebers.

Deutlich wird, dass in regelmäßigen Abständen die Erklärungen wegen des medizinischen Fortschrittes angepasst und überprüft werden müssen, damit eine sonst möglicherweise notwendige Auslegung des Willens des Betroffenen vermieden wird.

Im Ergebnis ist nach diesem Urteil anzuraten, eine Patientenverfügung oder eine Vorsorgevollmacht nur mit kompetenter juristischer Beratung zu erstellen.