BGH II ZR 342/14
Persönliche Haftung der Gesellschafter für den Abfindungsanspruch des ausgeschiedenen Mitgesellschafters

21.10.2016

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
10.05.2016
II ZR 342/14
ZIP 2016, 1160

Leitsatz | BGH II ZR 342/14

1. Eine persönliche Haftung der Gesellschafter wird weder durch Einziehungsbeschluss der Gesellschafter begründet noch durch Verweigerung der Abfindungszahlung nach Fälligkeit mit Verweis auf § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG, noch wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abfindung oder danach über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wird oder Insolvenzreife besteht und die Antragstellung nicht treuwidrig verzögert wird.

2. Eine persönliche Haftung der Gesellschafter entsteht nach dem Senatsurteil vom 24.01.2012 (BGH II ZR 109/11) erst bei treuwidrigem Verhalten, indem die Gesellschaft fortgesetzt und auf Maßnahmen zur Befriedung des ausgeschiedenen Gesellschafters verzichtet wird. Die Gesellschafter haften bei treuwidrigem Verhalten auch dann, wenn die Einziehung mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters erfolgte.


Sachverhalt | BGH II ZR 342/14

Der Kläger und Dr. R waren mit je 25.000 € Gründungsgesellschafter und Geschäftsführer der e-GmbH. Im Gesellschaftsvertrag ist vorgesehen, dass Geschäftsanteile mit Zustimmung der betroffenen Gesellschafter eingezogen werden können. Weiter heißt es im Vertrag, mit Zugang des Einziehungsbeschlusses scheide der betroffene Gesellschafter aus der Gesellschaft aus. Weiter soll die Abfindung in drei gleichen Jahresraten zu zahlen sein, beginnend sechs Monate nach dem Stichtag des Ausscheidens.

Nachdem Dr. R seinen Geschäftsanteil schenkweise zu je einem Viertel auf seine Söhne, die Beklagten, übertragen hatte, beschloss die Gesellschafterversammlung am 30.06.2008 mit Zustimmung des Klägers, dessen Geschäftsanteil einzuziehen und ihm als Abfindung je 300.000 € zum 01.08.2008, 01.02.2009 und 01.08.2009 zu zahlen. In einem "Vergleich" vom selben Tage, an dem alle Gesellschafter beteiligt waren, wurden weitere Einzelheiten festgelegt. So sollten die Beklagten zu 1) und 2) ihre Geschäftsanteile an den Kläger verpfänden. Der Kläger sollte berechtigt sein, die verpfändeten Geschäftsanteile zu verwerten, wenn die Gesellschaft mit einer Abfindungsrate einen Monat in Verzug geraten würde. Die Einziehung sollte erst mit Zahlung der ersten Rate und der notariell beurkundeten Verpfändung der Geschäftsanteile wirksam werden. Die Beklagten verpflichteten sich, bis zur vollständigen Zahlung der Abfindung keine Gewinnausschüttungen vorzunehmen und ihre Geschäftsführergehälter um nicht mehr als 20 Prozent zu erhöhen.

Dem Kläger wurden die ersten beiden Abfindungsraten ausgezahlt. Hinsichtlich der dritten Rate teilte ihm die Gesellschaft am 31.07.2009 mit, wegen einer bilanziellen Überschuldung zur Zahlung nicht in der Lage zu sein. Auf Eigenantrag vom 26.01.2010 wurde am 16.03.2010 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet. Der Kläger verlangt von den Beklagten als Gesamtschuldner Zahlung der letzten Abfindungsrate i.H.v. 300.000 € nebst Zinsen.

Das LG wie die Klage ab. Das OLG gab der Klage teilweise statt und verurteilte die Beklagten unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von je 75.000 € nebst Zinsen. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil insoweit auf, als dass zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist und verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Entscheidung | BGH II ZR 342/14

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Die Erklärung der Gesellschaft vom 31.07.2009 gegenüber dem Kläger, dass die dritte Rate der Abfindung wegen einer bilanziellen Überschuldung gem. § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG nicht gezahlt werden könne, hat entgegen der Auffassung des OLG als solche noch nicht zu einem Zahlungsanspruch des Klägers gegen die Beklagten geführt.
Der Senat hat zwar mit seinem Urteil vom 24.01.2012 (II ZR 109/11) klargestellt, dass die Einziehung grundsätzlich unabhängig von der Zahlung der Abfindung wirksam ist und dass die übrigen Gesellschafter, sollte die Gesellschaft die Abfindung wegen der Sperre aus § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG nicht zahlen können, zur anteiligen Zahlung der Abfindung persönlich verpflichtet sein können. Die persönliche Haftung der Gesellschafter entsteht aber weder bereits mit der Fassung des Einziehungsbeschlusses noch allein aufgrund des Umstands, dass die Gesellschaft später zum Zeitpunkt der Fälligkeit gem. § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG an der Zahlung der Abfindung gehindert ist oder sie jedenfalls unter Berufung auf dieses Hindernis verweigert.

Liegen die genannten Voraussetzungen für die Annahme eines treuwidrigen Verhaltens vor, so haften die Gesellschafter auch dann nach den Grundsätzen des Senatsurteils vom 24.01.2012 (II ZR 109/11), wenn die Einziehung nicht wie in jenem Fall gegen den Willen des betroffenen Gesellschafters, sondern wie hier mit seiner Zustimmung erfolgt. Der Haftungsgrund, dass die Gesellschafter weiterwirtschaften, sich den Wert des eingezogenen Geschäftsanteils einverleiben und nicht für eine angemessene Entschädigung sorgen oder absichtlich für eine bilanzielle Überschuldung sorgen, ist bei einer Einziehung mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters der gleiche wie bei einer Zwangseinziehung.

Eine Haftung der Gesellschafter kommt andererseits nicht ohne weiteres in Betracht, wenn zwar (wie vom Kläger behauptet) objektiv genügend Geld für die Abfindungszahlung durch die Gesellschaft vorhanden ist, die Gesellschaft das aber anders sieht oder aus sonstigen Gründen die Abfindung nicht zahlt. Entgegen der Auffassung des OLG ist insoweit kein Erst-recht-Schluss geboten. Dass die Gesellschaft nicht zahlt, obwohl sie nach § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG zahlen dürfte, bedeutet noch nicht, dass die Gesellschafter sich treuwidrig verhalten. Der Streit um die Zahlung der Abfindung kann unterschiedliche Gründe haben. Insoweit liegt das Risiko, dass die Gesellschaft die Abfindung nicht freiwillig zahlt, bei dem Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen worden ist. Er muss seinen Anspruch gegen die Gesellschaft ggf. mit gerichtlicher Hilfe durchsetzen.

Eine Haftung der verbleibenden Gesellschafter entsteht grundsätzlich auch dann nicht zwingend, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abfindung oder danach über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wird oder die Gesellschaft jedenfalls insolvenzreif wird, so dass gem. § 15a InsO Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werden muss, und die Antragstellung nicht treuwidrig verzögert wird. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt zur Auflösung der Gesellschaft, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, so dass schon aus diesem Grund eine treuwidrige Fortsetzung der Gesellschaft durch die übrigen Gesellschafter ausscheidet. Nach alldem durfte das OLG der Klage nicht in dem zugesprochenen Umfang stattgeben. Es wird im zweiten Rechtsgang die erforderlichen Feststellungen bezüglich des von den Gesellschaftern getroffenen Vergleiches vom 30.6.2008 zu treffen haben, die im Wege der allgemeinen Vertragsauslegung nicht vom BGH vorgenommen werden können.

Praxishinweis | BGH II ZR 342/14

Wenn eine gestundete Abfindung für den ausscheidenden Gesellschafter vereinbart wurde, so trägt dieser stets das Risiko, dass ein Unternehmen aus irgendeinem Grund nicht zahlt. Ein Unternehmen ist dazu berechtigt, die Abfindungszahlung zu verweigern, wenn sie mit Verweis auf § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG daran gehindert ist. Solange die verbleibenden Gesellschafter sich nicht treuwidrig verhalten, haften diese auch nicht persönlich für den Abfindungsanspruch. Daher sollte sich der ausscheidende Gesellschafter bereits vor der Aushandlung einer Abfindung einen Überblick über die Liquidität des Unternehmens verschaffen und sich gegebenenfalls überdenken, ob eine Stundung dieser sinnvoll erscheint. Wenn der Gesellschafter seine Abfindungsrate nicht mit Fälligkeit erhält, so sollte er schnellstmöglich Klage einreichen, um seinen Anspruch noch vor einer möglichen Insolvenz des Unternehmens durchsetzen zu können.

Der BGH hat weiterhin festgestellt, dass eine Abrede der Gesellschafter über den Zeitpunkt der Wirksamkeit der Einbeziehung zulässig ist.

Angesichts der dargelegten Grenzen der persönlichen Haftung von GmbH-Gesellschaftern, ist es auch zu empfehlen, eine individuell-schuldrechtliche Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern hinsichtlich der subsidiären Haftung für Abfindungsansprüche bei Ausfall der Gesellschaft zu vereinbaren. Eine solche Vereinbarung ist nach Ansicht des BGH zulässig und kann je nach vereinbarten Sicherungsmittel ein geeigneter Weg zur Durchsetzung des Abfindungsanspruches sein. Ein Blick in den Gesellschaftervertrag ist in jedem Fall zu empfehlen.