BGH II ZR 63/14
Entlastung bei Rechtsirrtum des Vorstands über Vertretungskompetenz

03.06.2016

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
28.04.2015
II ZR 63/14
BeckRS 2015, 10533

Leitsatz | BGH II ZR 63/14

1. Der Abschluss des die Vergütung eines Vorstandsmitglieds betreffenden Vertrags fällt auch dann in die Zuständigkeit des Aufsichtsrats, wenn er von der Gesellschaft nicht mit dem Vorstandsmitglied selbst, sondern einem Dritten abgeschlossen wird und mit dem Dritten eine Vergütung für die Vorstandstätigkeit vereinbart wird. Das gilt auch, wenn ein Vorstandsmitglied nur vorübergehend tätig werden soll.

2. Eine Entlastung auf Grund eines Rechtsirrtums verlangt nicht, dass ein Prüfauftrag ausdrücklich für eine bestimmte Rechtsfrage erteilt wird, sondern nur, dass die Prüfung aus der Sicht des nicht fachkundigen Organs die zweifelhafte Frage umfasst.

Sachverhalt | BGH II ZR 63/14

Der Beklagte war Vorstandsmitglied der klagenden AG und zugleich alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der X-GmbH. Die Klägerin, vertreten durch zwei andere Vorstandsmitglieder, schloss mit der X-GmbH, vertreten durch den Beklagten, einen Vertrag über die Erbringung von Beratungsleistungen. Dieser Vertrag regelte auch die Vergütung der GmbH für die Vorstandstätigkeit des Beklagten. Ein eigenständiger Vorstandsdienstvertrag bestand zwischen Klägerin und Beklagten dagegen nicht. Eine Zustimmung des Aufsichtsrats zum Vertragsabschluss wurde nicht erteilt. Bei der Beschlussfassung des Vorstands über den Beratungsvertrag enthielt sich der Beklagte seiner Stimme.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage Feststellung der Schadensersatzverpflichtung des Beklagten wegen Verletzung seiner organschaftlichen Pflichten durch Abschluss des Beratervertrags. Vor dem Landgericht war sie erfolgreich. Die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Dagegen ging der Beklagte in Revision.

Entscheidung | BGH II ZR 63/14

Der BGH hat das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Der Beklagte hat zwar im Zusammenhang mit dem Abschluss des Beratungsvertrags die ihm nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG obliegenden Pflichten verletzt, da er die aktienrechtliche Kompetenzverteilung missachtet hat. Denn der Vertrag mit der X-GmbH enthält auch Regelungen zur Vorstandsvergütung und fällt aus diesem Grund in den Kompetenzbereich des Aufsichtsrats, §§ 84 Abs. 1 Satz 5, 87, 112 AktG. Der Beklagte hätte daher darauf hinwirken müssen, dass die Zuständigkeit des Aufsichtsrats gewahrt bleibt. Durch das Unterlassen entsprechender Bemühungen hat er seine Pflichten als Vorstandsmitglied verletzt.

Doch kann nach den getroffenen Feststellungen ein Verschulden des Beklagten nicht bejaht werden. Dieser hatte sich nämlich auf die zuvor eingeholte anwaltliche Auskunft verlassen, dass die Zuständigkeit für den betreffenden Vertragsschluss beim Vorstand liege. Dass die diesbezügliche Stellungnahme der beauftragen Anwaltskanzlei keine Aussagen zu § 112 AktG enthielt, ändert daran nichts. Insbesondere musste der juristisch nicht vorgebildete Beklagte nicht erkennen, dass das betreffende Gutachten nur Fragen der Zustimmungsbedürftigkeit, nicht aber der Vertretungsmacht behandelt. Er konnte sich vielmehr darauf verlassen, dass der nach den tatsächlichen Gegebenheiten naheliegende § 112 AktG in die Prüfung miteinbezogen wurde. Dies gilt auch dann, wenn sich der Prüfungsauftrag nicht ausdrücklich auf die Klärung dieser Frage erstreckt hat, da von einem nicht rechtskundigen Auftraggeber nicht erwartet werden kann, dass er bestimmte Rechtsfragen formuliert. Irrelevant ist schließlich, dass der Beklagte durch einen Blick in einen aktienrechtlichen Standardkommentar hätte erkennen können, dass nach überwiegender Ansicht keine Vertretungskompetenz des Vorstands bestand. Denn die vom Vorstand durchzuführende Plausibilitätsprüfung bezüglich eingeholter Rechtsauskünfte erstreckt sich nicht auf rechtliche Fragen.

Praxishinweis | BGH II ZR 63/14

Obwohl der Beklagte als Kommunikationswissenschaftler keine juristischen Vorkenntnisse aufwies, hätte er nach Ansicht der Berufungsinstanz erkennen müssen, dass sich die Stellungnahme der beauftragten Rechtsanwaltskanzlei auf die Prüfung der satzungsmäßigen Zustimmungserfordernisse beschränkte und keine Aussage zur gesetzlichen Kompetenzordnung enthielt. Der BGH hat diese überzogenen Anforderungen des OLG Saarbrücken revidiert und festgestellt, dass es bei den bisher höchstrichterlich festgelegten Maßstäben bleibt. Damit genügt eine Plausibilitätskontrolle des Vorstands, die sich darauf beschränkt, zu überprüfen, ob dem Berater nach dem Inhalt der Auskunft alle erforderlichen Informationen zur Verfügung standen, er die Informationen verarbeitet hat und alle sich in der Sache für einen Rechtsunkundigen aufdrängenden Fragen widerspruchsfrei beantwortet wurden.

Die zwischen dem OLG Saarbrücken und dem OLG München umstrittene Frage, ob § 112 Satz 1 AktG bei wirtschaftlicher Identität eines Vorstandsmitglieds mit dem Vertragspartner der AG anwendbar ist, konnte der BGH (leider) offenlassen. Bis zu einer endgültigen höchstrichterlichen Klärung empfiehlt es sich für die Praxis, den Abschluss entsprechender Geschäfte an die Zustimmung des Aufsichtsrats zu binden.