23.03.2016
Notizen zur Rechtsprechung
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:
EuGH
10.12.2015
C 594/14
GWR 2016, 39
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft den Anwendungsbereich des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.05.2000 über Insolvenzver-fahren (EuInsVO) und die Vereinbarkeit von § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a. F. (=§ 64 Satz 1 GmbHG n. F.) mit Art. 49, 54 AEUV.
Die beklagte Direktorin einer englischen Limited mit Sitz in Deutschland wurde wegen Zahlungen, die sie zu Lasten der Gesellschaft nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleistet haben soll, vom klagenden Insolvenzverwalter in Anspruch genommen.
Der Kläger hatte in 1. und 2. Instanz Erfolg. Auch der BGH hielt die Klage für nach deutschem Recht begründet, da § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a. F. seinem Zweck nach auch auf die Direktorin einer Limited anwendbar sei.
Bislang ungeklärt war aber, ob Klagen vor einem deutschen Gericht, mit denen Ansprüche aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a. F. gegen Geschäftsführer von EU-Auslandsgesellschaften geltend gemacht werden, das deutsche Insolvenzrecht i. S. d. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO betreffen und ob Art. 49 und 54 AEUV der An-wendung des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a. F. auf Geschäftsführer von Gesell-schaften entgegenstehen, die nach dem Recht eines anderen EU-Mitgliedsstaates gegründet wurden, ihren tatsächlichen Verwaltungssitz aber in Deutschland haben. Der BGH setzte daher das Verfahren aus und legte dem EuGH seine Fragen zur Vorabentscheidung vor.
Nach dem EuGH unterfallen Klagen, die auf Bestimmungen wie § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a. F. gestützt werden, dem Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 1 EuInsVO. Es handelt sich hierbei um eine insolvenzrechtliche Norm, da der darauf gestützte Anspruch gegen den Geschäftsführer untrennbar mit dem Insolvenzverfahren verbunden ist und dessen Zwecken dient.
Die Anwendung des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a. F. ist auch mit Art. 49 und 54 AEUV vereinbar. Die Entscheidungen Überseering und Inspire Art stehen dem nicht entgegen. Bestimmungen wie § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. stellen nämlich die Rechtsfähigkeit und innere Verfassung von Gesellschaften, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedsstaat gegründet wurden, nicht in Frage, sondern setzen diese als notwendig voraus. Die Regelung betrifft weder die Gründung einer Gesellschaft noch ihre spätere Niederlassung und greift daher nicht in den Gewährleistungsbereich der Niederlassungsfreiheit ein.
In Übereinstimmung mit dem BGH und der schon bisher herrschenden Meinung in der Literatur versteht der EuGH § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a. F. nicht als gesellschaftsrechtliche, sondern als insolvenzrechtliche Vorschrift. Leitungsorgane ausländischer Gesellschaften, die der GmbH strukturell ähneln, können daher weiterhin auf Grundlage von § 64 Satz 1 GmbHG n. F. in Anspruch genommen werden.
Die Begründung des EuGH dafür, dass die Anwendung von § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a. F. auf EU-Auslandsgesellschaften mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist, beschränkt sich auf die Feststellung, dass dadurch weder Fragen der Gründung noch der späteren Niederlassung berührt werden. Ob daraus folgt, dass Sonderanknüpfungen für Scheinauslandsgesellschaften, die keinen dieser Aspekte betreffen, generell mit Art. 49, 54 AEUV vereinbar sind oder bloß eine Bereichsausnahme für insolvenzrechtliche Vorschriften geschaffen werden sollte, wird die Zukunft zeigen.