KG 23 U 112/11
Gesellschafterabfindung und § 30 GmbHG in der Insolvenz

21.01.2016

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

KG
09.03.2015
23 U 112/11
ZIP 2015, 937

Leitsatz | KG 23 U 112/11

  1. Ein ausgeschiedener Gesellschafter einer GmbH haftet für nach seinem Ausscheiden eintretenden Kapitalverluste grundsätzlich nicht und kann einem Gesellschafter zeitlich nicht unbegrenzt gleichgestellt werden.
  2. Wenn der Abfindungsanspruch eines Gesellschafters zum Zeitpunkt des Ausscheidens und auch noch ein Jahr danach aus dem freien Vermögen der Gesellschaft hätte bedient werden können, kann sich die Gesellschaft nach Ablauf dieses Zeitraums nicht mehr darauf berufen, dass § 30 I 1 GmbHG Auszahlungen zu Lasten des Stammkapitals an die Gesellschafter verbietet.

Sachverhalt | KG 23 U 112/11

Im Jahr 2004 klagte ein Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil bereits 1997 eingezogen war, in erster Instanz erfolgreich vor dem LG-Berlin auf Zahlung der ersten Abfindungsrate gegen die Schuldnerin (GmbH). Auf die Berufung des Insolvenzverwalters hatte das KG die Klage des Gesellschafters aufgrund des Auszahlungsverbotes aus § 30 I GmbHG zurückgewiesen. Laut KG fallen Abfindungen auch unter das Auszahlungsverbot, folglich wurde das erstinstanzliche Urteil entsprechend abgeändert (KG Urt. v. 18.01.2010 – 23 U 129/09).

Im erstinstanzlichen Prozess um die zweite Rate (LG-Berlin v. 17.05.2006 – 100 O 4/06) wurde die Schuldnerin von den Beklagten als Prozessbevollmächtigte verteidigt und dazu verurteilt die zweite Rate nebst Zinsen zu zahlen. Die Beklagten haben sich hierbei nicht auf das Auszahlungsverbot aus § 30 GmbHG bezogen. Die hierauf erfolgte Berufung wurde von den Beklagten aufgrund zwischenzeitlich gestelltem Insolvenzantrags zurückgenommen.

In dem fehlenden Hinweis auf das Auszahlungsverbot aus § 30 I GmbHG und der Rücknahme der Berufung sieht der nunmehr klagende Insolvenzverwalter eine anwaltliche Pflichtverletzung. Er wirft den Beklagten vor, die GmbH im vorherigen Prozess schlecht verteidigt zu haben. Der Schaden bestehe darin, dass die Insolvenzmasse nunmehr mit einer rechtskräftig titulierten Forderung belastet sei, obwohl die Klage bei richtiger Verteidigung unter dem Hinweis auf § 30 GmbHG hätte endgültig abgewiesen werden müssen.

Entscheidung | KG 23 U 112/11

Das KG hat die Klage des Insolvenzverwalters insgesamt abgewiesen und damit seine eigene Rechtsprechung gewandelt. Nach der Begründung des Gerichtes könne die Klage in zweifacher Hinsicht keinen Erfolg haben. Zum einen kann die Klage aufgrund § 30 GmbHG nicht endgültig, sondern lediglich als „derzeit unbegründet“ abgewiesen werden, da für die Beurteilung des Vermögensstatus der Gesellschaft bei Zahlungen in Zusammenhang mit § 30 GmbHG nur die gegenwärtige Sachlage, jedoch nicht zukünftige Entwicklungen zugrunde gelegt werden können. Zum anderen bestand gutachterlich geprüft für den Zeitpunkt der zweiten Rate kein Auszahlungsverbot mehr. Die Beklagten handelten im Vorprozess somit nicht pflichtwidrig, indem sie sich nicht auf § 30 GmbHG beriefen. Denn dieser Einwand hätte bei richtiger Entscheidung auch nicht zur endgültigen Abweisung der Klage geführt.

Noch im Jahr 2010 hat derselbe Senat dem Insolvenzverwalter im Prozess um die erste Abfindungsrate unter Verweis auf § 30 I GmbHG zum Sieg verholfen. Der Senat hat im Anschluss an die damals herrschende Ansicht die Meinung vertreten, dass das Auszahlungsverbot des § 30 I GmbHG auch für Abfindungen ausgeschiedener Gesellschafter gelte und auch im Insolvenzverfahren zu beachten sei. Jedoch sei diese Rechtsprechung durch neuere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs überholt. Hiernach fallen diese Zahlungen unabhängig von der dann bestehenden Vermögenslage der Gesellschaft nur dann unter die Beschränkungen der Eigenkapitalersatzregeln, wenn die Krise der Gesellschaft schon zum Zeitpunkt des Ausscheidens bestanden habe. Für Verschlechterungen danach hafte der ausgeschiedene Gesellschafter nicht (BGH, Urt. v. 24.09.2013 – BGH II ZR 39/12).

Wenn aber der Darlehensrückzahlungsanspruch eines ausgeschiedenen Gesellschafters im Insolvenzverfahren nur dann als nachrangig zu behandeln ist, wenn der Gesellschafter im letzten Jahr vor Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag ausgeschieden ist, dann müsse dies erst recht auch für seinen Abfindungsanspruch gelten. Wenn dieser zum Zeitpunkt des Ausscheidens und auch noch ein Jahr danach aus freiem Vermögen der Gesellschaft hätte bedient werden können, könne sich die Gesellschaft nach Ablauf dieses Zeitraums (jetzt) nicht mehr darauf berufen, dass § 30 I 1 GmbHG Auszahlungen zulasten des Stammkapitals an Gesellschafter verbietet. Da die Zahlung der zweiten Abfindungsrate weit außerhalb dieses Zeitraumes verlangt worden war, hätte der Einwand des § 30 GmbHG im vorigen Prozess auch nicht erfolgversprechend entgegengehalten werden können.

Praxishinweis | KG 23 U 112/11

Der vorliegende Fall sorgt für mehr Klarheit bei Abfindungszahlungen von ausgeschiedenen Gesellschaftern und das in diesem Zusammenhang stehende Ende der Gesellschafterstellung und deren Folgen für die Abfindung im Lichte der Kapitalerhaltung aus § 30 GmbHG bei sich anschließender Insolvenz. Die Gesellschafterstellung und das damit verbundene Auszahlungsrisiko wird auf ein Jahr nach Ausscheiden des Gesellschafters begrenzt, da er gerade durch das Ausscheiden aus der Gesellschaft seine Gesellschafterstellung aufgibt. Ausgeschiedene Gesellschafter und ihre Berater werden die Entscheidungen begrüßen, Insolvenzverwalter und deren Gläubiger nicht. Inwieweit diese Auffassung des KG-Berlin allerdings vom 9. Zivilsenat des BGH geteilt wird, bleibt offen.