OLG Saarbrücken 5 U 19/13
Sittenwidrigkeit einer Wiederverheiratungsklausel, nach der der gesamte Nachlass vermächtnisweise herauszugeben ist

21.01.2016

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Saarbrücken
15.10.2014
5 U 19/13
ZErb 297, 2015

Leitsatz | OLG Saarbrücken 5 U 19/13

Eine letztwillige Verfügung, die den überlebenden Ehegatten für den Fall der Wiederverheiratung mit einem Vermächtnis zugunsten der Abkömmlinge des Erstversterbenden in Höhe des Wertes des Nachlasses des Erstversterbenden belastet, ist nichtig. Die ergänzende Testamentsauslegung kann in einem solchen Fall jedoch einen Vermächtnisanspruch in einer Höhe ergeben, der dem überlebenden Ehegatten einen Nachlasswert in Höhe des Pflichtteils überlässt. (amtlicher Leitsatz)

Sachverhalt | OLG Saarbrücken 5 U 19/13

Die Kläger sind die leiblichen Kinder des Beklagten und dessen 1982 verstorbener Ehefrau. Diese hatten 1968 einen Erbvertrag geschlossen, der folgende Wiederverheiratungsklauseln enthielt:

„2. Sollte der Überlebende sich wieder verheiraten, so hat er an die etwaigen Abkömmlinge des Erstverstorbenen als Vermächtnisse Geldbeträge heraus zu bezahlen, die gleich sind dem Werte des Nachlasses des Erstverstorbenen unter Berücksichtigung der ausgleichungspflichtigen Vorausempfänge.“

Im Juni 1998 heiratete der verwitwete Beklagte seine aktuelle Ehefrau.

Die Kläger verlangen ein dem Erbvertrag entsprechendes Geldvermächtnis während der Beklagte die Klausel als sittenwidrig nach § 138 BGB ansieht.


Entscheidung | OLG Saarbrücken 5 U 19/13

Der Klage wird teilweise stattgegeben.

Die streitgegenständliche Klausel erfüllt den Tatbestand der Sittenwidrigkeit und steht im Widerspruch zum „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“.

Grundsätzlich sind die Erblasser zwar nicht an das Anstandsgefühl der Gesellschaft in Ihren testamentarischen Regelungen gebunden, allerdings wird die Testierfreiheit durch den Art. 6 GG eingegrenzt (vgl. dazu Hohenzollern-Entscheidung BVerfG). Danach muss dem Erben eine freie Eheschließung möglich sein, ohne durch die Regelungen des Erblassers in seiner Entscheidungsfreiheit in erheblichem Maße eingeschränkt zu werden.

Im vorliegenden Fall ist der überlebende Ehegatte durch die auflösende Bedingung der Wiederverheiratungsklausel dazu verpflichtet den gesamten Nachlass als Geldvermächtnis an die Abkömmlinge herauszugeben. Durch diese Klausel bleibt dem Überlebenden nicht einmal ein Erbteil in Höhe des Pflichtteils, den er bei einer Erbausschlagung hätte verlangen können. Dieses ist ihm durch die vorangegangene Annahme der Erbschaft allerdings verwehrt (§1943 BGB). Das OLG sieht darin eine wirtschaftlich nicht tolerierbare Druckausübung hinsichtlich des überlebenden Ehegatten.

Es besteht weiter auch kein anerkennenswertes Interesse des Erblassers, das die Einschränkung rechtfertigen könnte. Durch die fehlende Schlusserbeneinsetzung, war die Absicherung der Abkömmlinge nicht das Hauptinteresse des Erblassers, sondern vielmehr die über den Tod hinaus gehende Kontrolle des überlebenden Ehegatten.

Das OLG Saarbrücken kommt im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu dem Schluss, dass die Beteiligten wohl mit Kenntnis der Sittenwidrigkeit der Klausel den generellen Grundgedanken der wirtschaftlichen Schädigung des Anderen bei Wiederheirat beibehalten hätten. Somit ist die Klausel als aufschiebend bedingte Vermächtnislösung über den gesamten Nachlass mit Abzug des fiktiven Pflichtteils zu verstehen.

Praxishinweis | OLG Saarbrücken 5 U 19/13

In seiner abstrakten Auffassung des Hohenzollern-Urteils beweist das OLG Saarbrücken sowohl Fingerspitzengfühl als auch im Ergebnis das richtige Augenmaß im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung. Die Frage nach der Gesamt- oder Teilnichtigkeit des Erbvertrages ist strittig. Richtigerweise beurteilt das OLG die getroffenen Regelungen i.V.m. der Sittenwidrigkeit als teilnichtig gem. §§ 139, 2085 BGB. Die Gesamtnichtigkeit eines Erbvertrages liegt dann vor, wenn die sittenwidrige Klausel die Erbenstellung bedingt. Im vorliegenden Fall bedingt die Klausel jedoch nicht die Erbenstellung, sondern den Vermächtniseintritt. Dadurch handelt es sich nicht um eine untrennbar mit den übrigen Verfügungen getroffene Klausel.

Für die Praxis kann nur zu einer Wiederverheiratungsklausel, beschränkt auf den hypothetischen Pflichtteil geraten werden. Weitergehende Einschränkungen sind nach neuester Rechtsprechung sittenwidrig gem. § 138 BGB i.V.m. Art. 6 GG.