BGH IX ZR 279/13
Kein Anspruch des Insolvenzverwalters auf unentgeltliche Nutzung von Betriebsanlagen, die der Gesellschafter seiner Gesellschaft vermietet hat

24.04.2015

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
29.01.2015
IX ZR 279/13
DB 2015, 796

Leitsatz | BGH IX ZR 279/13

Nach Wegfall des Eigenkapitalersatzrechtes besteht kein Anspruch des Insolvenzverwalters auf unentgeltliche Nutzung von Betriebsanlagen, die der Gesellschafter seiner Gesellschaft vermietet

Sachverhalt | BGH IX ZR 279/13

Die Klägerin – eine GbR, bestehend aus 2 Geschäftsführern der Komplementärin der späteren Insolvenzschuldnerin – hatte der Insolvenzschuldnerin durch Geschäftsraummietvertrag vom Januar 2009 Lagerhallen, Büroräume, Lagerflächen und Maschinen vermietet. Die Miete wurde bis April 2010 durch die Insolvenzschuldnerin beglichen. Der Beklagte wurde nachfolgend zunächst als vorläufiger Insolvenzverwalter und mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens im September 2010 als Insolvenzverwalter für die Insolvenzschuldnerin bestellt. Der Beklagte kündigte das Mietverhältnis durch Schreiben vom 27.09.2010 zum nächst möglichen Zeitpunkt. Bis zum 08.08.2011 verblieben jedoch noch im Geschäftsbetrieb der Schuldnerin hergestellte Produkte sowie Rohstoffe in den angemieteten Räumlichkeiten. Die Klägerin nimmt nunmehr den Beklagten für den Zeitraum vom 22.09.2010 bis 31.12.2010 auf Mietzinszahlung und darüber hinaus für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis 08.08.2011 auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung in Anspruch. Der Beklagte, der die Geschäftsführer der Komplementärin persönlich und nicht die Klägerin als Vermieter der Schuldnerin ansieht, da diese den Mietvertrag unterschrieben hatten, hat gegen die Klageforderung hilfsweise mit Ansprüchen aus Insolvenzanfechtung hinsichtlich der von der Schuldnerin an die Klägerin im Zeitraum von Dez. 2009 bis April 2010 gezahlten Mieten aufgerechnet.

Das LG hatte der – nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Beklagten – auf Feststellung eines Masseanspruchs gerichteten Klage teilweise stattgegeben und eine Forderung der Klägerin festgestellt. Auf die Berufung des Beklagten hat das OLG die Klage unter Berücksichtigung der Hilfsaufrechnung abgewiesen. Dagegen richten sich die Revision der Klägerin und des Beklagten.

Entscheidung | BGH IX ZR 279/13

Der BGH bestätigt zunächst die Entscheidung des Berufungsgerichtes insoweit, als das Mietverhältnis zwischen der Klägerin und der Insolvenzschuldnerin zustande gekommen sei, auch wenn der Vertrag die beiden Geschäftsführer der Komplementärin persönlich als Vermieter ausweist. Entscheidend sei insoweit, dass der Wille der Vertragsschließenden darauf gerichtet war, einen Mietvertrag zwischen der Klägerin und der Schuldnerin zu begründen.

Dieser Mietvertrag habe gemäß § 108 Abs. 1 S. 1 InsO auch über die Insolvenzeröffnung hinweg, bis zur kündigungsbedingten Beendigung zum 31.12.2010, mit Wirkung für die Insolvenzmasse bestanden. § 108 Abs. 1 S. 1 InsO sei dabei vorliegend nicht nur auf die unbeweglichen Gegenstände oder Räume anzuwenden, sondern auch auf die beweglichen Gegenstände und somit auf den gesamten Mietvertrag, da die Vermietung der unbeweglichen Gegenstände den Schwerpunkt des Vertrages ausmache.

Entgegen der Argumentation des Beklagten, bei den nach Verfahrenseröffnung zugunsten der Klägerin begründeten Mieten handele es sich um nachrangige Forderungen i. S. v. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, vertritt der BGH den Standpunkt, es handele sich auf Grund des nach Insolvenzeröffnung fortbestehenden Mietverhältnisses um Masseverbindlichkeiten, deren Höhe sich nach der vereinbarten Miete richte. Den Auslegungsversuchen des Beklagten zu § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, einen Anspruch des Insolvenzverwalters auf unentgeltliche Gebrauchsüberlassung herzuleiten, tritt der BGH mit der Argumentation entgegen, ein solcher Anspruch des Insolvenzverwalters bezüglich seitens des Gesellschafters überlassener Betriebsmittel sei abweichend von dem früheren Eigenkapitalersatzrecht auf der Grundlage des durch das MoMiG vom 23.10.2008 neu gestalteten Rechts nicht mehr anzuerkennen. Die Gesetzesänderungen in den §§ 30 ff GmbHG und § 135 InsO würden verdeutlich, dass Gesellschafterdarlehen und gleichgestellte Leistungen einschließlich einer Nutzungsüberlassung nicht wie haftendes Eigenkapital zu behandeln seien. Stelle eine Nutzungsüberlassung keine Kreditgewährung dar, könnten von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, der seinen Geltungsbereich auf einem Darlehen gleichgestellte Forderungen erstrecke, Nutzungen nicht erfasst werden, so dass ein Anspruch des Insolvenzverwalters auf unentgeltliche Gebrauchsüberlassung daraus nicht hergeleitet werden könne. Im Hinblick auf die Höhe der Mietzinsansprüche führt der BGH aus, dass die Durchschnittsberechnung des § 135 Abs. 3 S. 2 InsO, die an ein Aussonderungsrecht anknüpfe, erst für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist bis maximal ein Jahr nach Insolvenzeröffnung gelte; während des noch laufenden Mietverhältnisses stehe dem Mieter hingegen ein Recht zum Besitz zu.

Streitig war im vorliegenden Fall ebenfalls, ob der Insolvenzverwalter vor Verfahrenseröffnung getätigte Mietzinszahlungen als einem Darlehen gleichgestellte Forderungen anfechten kann. Dazu stellte der BGH fest, dass die Mietzahlungen an Gesellschafter im letzten Jahr vor Antragstellung nicht per se, sondern nur insoweit gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar seinen, als dass die Mietansprüche als darlehensgleiche Forderungen anzusehen seien. Dies setze voraus, dass die Mieten vor der verspäteten Zahlung rechtlich oder tatsächlich gestundet bzw. stehengelassen worden seien, und zwar in Anlehnung an das Bargeschäft i.S.d. § 142 InsO sowie § 286 Abs. 3 BGB für einen Zeitraum von mehr als 30 Tagen. Diese Voraussetzungen sah der BGH vorliegend nicht als erfüllt an.

Bezüglich des von der Vermietungs-GbR zusätzlich geltend gemachten Anspruchs auf Nutzungsentschädigung stellte der BGH klar, dass es sich insoweit nicht um eine Masseverbindlichkeit handele, weil der Insolvenzverwalter das Mietobjekt nicht für die Masse beansprucht habe und die Klägerin auch nicht gezielt von der Nutzung ausgeschlossen habe.

Im Ergebnis stellte der BGH mit seinem Urteil fest, dass der Klägerin Mietansprüche als Masseverbindlichkeiten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO für den Kündigungszeitraum zustehen; im Übrigen hat der BGH die Klage abgewiesen.

Praxishinweis | BGH IX ZR 279/13

Diese richtungsweisende Entscheidung klärt unter Verweis auf die Intention des Gesetzgebers im Zusammenhang mit den Gesetzesänderungen des MoMiG ein ganzes Bündel von offenen und in der Literatur zum Teil kontrovers diskutierten Rechtsfragen höchstrichterlich, die im Zuge der Abschaffung der sog. „kapitalersetzenden Nutzungsüberlassung“ bzw. der gesetzlichen Neuregelung des § 135 InsO aufgeworfen worden sind und schafft damit Rechtssicherheit insbesondere zu folgenden Punkten:

  • Voraussetzungen der insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit von Mietzahlungen, die in dem letzten Jahr vor Insolvenzantragstellung geleistet worden sind;
  • Gleichstellung von mittelbaren Gesellschaftern im Bereich der Nutzungsüberlassung gemäß § 135 InsO;
  • Zeitlicher und sachlicher Anwendungsbereich der Durchschnittsberechnung des § 135 Abs. 3 S. 2 InsO;
  • Einordnung der Mietansprüche des Gesellschafters im Kündigungszeitraum nach Eröffnung als Masseverbindlichkeiten.