36-2010
Pflichtteilsberechnung bei unentgeltlicher Zuwendung im Wege vorweggenommener Erbfolge??BGH v. 27.1.2010 – IV ZR 91/09 = ZEV 2010, 160

24.11.2010

Leitsatz | 36-2010

Leitsätze des Gerichts:
1. Erfolgt eine Zuwendung „im Wege vorweggenommener Erbfolge unentgeltlich“, ist für die Pflichtteilsberechnung im Auslegungsweg zu ermitteln, ob der Erblasser damit eine Ausgleichung gemäß § 2316 Abs. 1, 2050 Abs. 3, eine Anrechnung gemäß 2315 Abs. 1 BGB oder kumulativ Ausgleichung und Anrechung gemäß § 2316 Abs. 4 BGB anordnen wollte.

2. Ausschlaggebend für den Willen des Erblassers ist, ob mit seiner Zuwendung zugleich auch eine Enterbung des Empfängers mit bloßer Pflichtteilsberechtigung festgelegt (Anrechnung) oder aber nur klargestellt werden sollte, dass der Empfänger lediglich zeitlich vorgezogen bedacht wird, es im Übrigen aber bei den rechtlichen Wirkungen einer Zuwendung im Erbfall verbleiben soll (Ausgleichung).

Sachverhalt:
Mit Übergabevertrag von 1981 übertrug die Mutter ihren Großhandel „im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich“ auf ihren Sohn. Mit notariellen Testament von 1985 setzte E ihre Tochter zu ihren Erben ein. Der Sohn macht gegen seine Schwester Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach der 2005 verstorbenen Mutter geltend. Die Schwester ist der Meinung, dass ihrem Bruder wegen der erfolgten Betriebsübertragung keine erbrechtlichen Ansprüche mehr zu stehen. Das Berufungsgericht hält die im Wege der „vorweggenommenen Erbfolge“ übergebene Firma nach den §§ 2316 I, 2050 III BGB für ausgleichspflichtig, so dass im vorliegenden Fall keine Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche festgestellt werden konnten.

Entscheidung:
Wegen unzulänglicher Auslegung des Übergabevertrages durch das Berufungsgericht und mangels Entscheidungsreife führte daher die Revision des BGH zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht. Dabei hält der BGH bereits den Ansatz des Berufungsgerichts, der Sohn könne bei einer unentgeltlichen Zuwendung im Wege der „vorweggenommen Erbfolge“ nur gemäß §§ 2316 I, 2050 III BGB ausgleichspflichtig sein, für nicht frei von Rechtsirrtum, da damit das Berufungsgericht die weiteren vom Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten, wie Vorempfänge bei der Ermittlung von Pflichtteilsansprüchen zu berücksichtigen sein können, von vornherein ausschließt, ohne dass dafür eine Grundlage ersichtlich ist.

Anmerkung:
Ob und wie sich Vorempfänge auf eine Pflichtteilsberechnung auswirken, hängt davon ab, welche Anordnungen der Erblasser bei der Zuwendung getroffen hat. In Betracht kommt:

  • erstens eine Ausgleichung der Zuwendung gemäß §§ 2316 I, 2050 III BGB, oder
  • zweitens eine Anrechung der Zuwendung gemäß § 2315 I BGB, oder
  • drittens gemäß § 2316 VI BGB die Zuwendung nach beiden vorgenannten Bestimmungen auszugleichen und zugleich anzurechnen.

Hier hat der Erblaser bestimmt, dass die Übergabe im Wege der „vorweggenommen Erbfolge“ erfolgen sollte. Wie der Senat zu Recht betont ist der Begriff auslegungsbedürftig, so dass für die Gestaltungspraxis festgehalten werden muss, dass in Übergabeverträgen die Wirkungen der „vorweggenommenen Erbfolge“ eindeutig klarzustellen sind.

Sachverhalt | 36-2010

Entscheidung | 36-2010

Praxishinweis | 36-2010