BGH XII ZR 141/10
Verfügung über Vermögen des Ehegatten im Ganzen bei vorbehaltenem dinglichen Wohnungsrecht

29.11.2013

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
16.01.2013
XII ZR 141/10
NJW 2013, 1156

Leitsatz | BGH XII ZR 141/10

Bei der Beurteilung, ob die Übertragung eines Grundstücks durch einen Ehegatten sein Vermögen im Ganzen betrifft, ist ein von ihm vorbehaltenes dingliches Wohnungsrecht als ihm verbliebenes Vermögens zu berücksichtigen.

Sachverhalt | BGH XII ZR 141/10

Dem BGH wurde ein Sachverhalt zur Entscheidung vorgelegt, in dem eine Ehefrau zunächst einen hälftigen Miteigentumsanteil an ihrem Hausgrundstück auf ihren Sohn aus 1. Ehe übertrug (Frühjahr 1999). Im Oktober 1999 schloss die Veräußerin ihre 3. Ehe mit dem Kläger des vorliegenden Verfahrens. 2002 übertrug sie den anderen hälftigen Miteigentumsanteil sowie weitere landwirtschaftliche Grundstücke an die Tochter aus 1. Ehe (nämlich die Beklagte). Die Veräußerin erklärte, dass die Veräußerung nicht der Zustimmung des Ehegatten i. S. v. § 1365 BGB bedürfe. Der Veräußerin wurde in diesem Vertrag von Tochter und Sohn ein dingliches Wohnungsrecht am übertragenen Grundbesitz eingeräumt.

Der Kläger beruft sich auf § 1365 BGB und macht die Unwirksamkeit der Übertragung geltend.

Entscheidung | BGH XII ZR 141/10

Der BGH hat eine Unwirksamkeit nach §§ 1365 Abs. 1 S. 2, 1366 Abs. 4, 1368 BGB verneint.

Zwar ist der Tatbestand der Veräußerung des Vermögens im Ganzen bereits erfüllt, wenn einzelne Gegenstände übertragen werden. Auch kann eine solche Veräußerung bereits bejaht werden, wenn mehr als 85 % des Vermögens übertragen werden. Auch die Kenntnis des Vertragspartners vom Vorliegen der Voraussetzungen dürften vorliegend zu bejahen sein.

Allerdings ist str., inwieweit das Wohnungsrecht Berücksichtigung finden muss. Hierzu wird vertreten, dass § 1365 BGB den Anspruch auf Zugewinnausgleich sichern solle, und zwar in der Form, dass in den beim Veräußerer verbleibenden Vermögensrest die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann. Dies ist aber im Fall des Wohnungsrechts nicht gewährleistet, sodass der Ehegatte gemäß § 1365 BGB geschützt werden muss.

Der BGH tritt dem jedoch entgegen und spricht sich für eine Berücksichtigung des Wohnungsrechts im Rahmen von § 1365 BGB aus. Betrachtet man das Vermögen des Veräußerers, so sei vor Übertragung das Grundstück abzüglich Verbindlichkeiten, danach das Wohnungsrecht als Vermögen vorhanden. Der vermögenswerte Vorteil des Wohnungsrechts für den Veräußerer wird damit begründet, dass das dingliche Wohnungsrecht für den Erwerber eine Wertminderung des Grundstücks bedeutet.

Zwar ist die Bestellung des Wohnungsrechts eine von der Auflassung getrennte Verfügung. Allerdings stellt der BGH darauf ab, dass die beiden Verfügungen dergestalt verknüpft sind, dass sie miteinander stehen und fallen sollen und daher die Wirkung erzielt wird, dass der Wert des Grundstücks nicht vollständig an den Erwerber fällt, sondern ein Teil in Form des Wohnungsrechts beim Veräußerer zurückbleibt. Ferner bejaht der BGH den Verbleib eines Vermögenswerts beim Veräußerer, wenn das Wohnungsrecht an einem anderen Objekt bereits besteht und nicht erst im Rahmen der Übertragung bestellt wird. Der vorliegende Fall könne daher nicht abweichend beurteilt werden.

Zur Gegenauffassung, dass in den verbleibenden Vermögenswert eine Vollstreckung zur Sicherung des Zugewinnausgleichsanspruchs möglich sein müsse, wendet der BGH ein, dass § 1365 BGB gerade nicht darauf Bezug nehme, ob der verbleibende Rest der Zwangsversteigerung unterliegt. Zweck der Regelung sei nicht die bloße Sicherung des Zugewinnausgleichsanspruchs, sondern auch der Erhalt des Familienvermögens (§ 1365 BGB gelte auch dann, wenn ein Anspruch auf Zugewinnausgleich offensichtlich nicht gegeben ist).Gemäß § 1093 Abs. 2 BGB gewährleistet das Wohnungsrechts gerade auch eine weitere Nutzungsmöglichkeit für die Familie.

Letztlich ist im Einzelfall zu ermitteln, ob der so verstandene Zweck des § 1365 BGB bei Vorbehalt eines Wohnungsrechts im Einzelfall erfüllt ist und ob bei Bewertung des konkreten Wohnungsrechts ein hinreichender Vermögensrest (15%-Grenze) beim Veräußerer verbleibt.

Praxishinweis | BGH XII ZR 141/10

Der BGH betont ausdrücklich, dass bei Vorbehalt von Wohnungsrechten u. ä. persönlichen Nutzungsrechten im Einzelfall die Entscheidung getroffen werden muss, ob eine Verfügung über das Gesamtvermögen vorliegt. Da die Rechtsprechung den Schutzbereich des § 1365 BGB auch bereits dann betroffen sieht, wenn ein Zugewinnausgleichsanspruch offensichtlich nicht besteht, kann der Verzicht auf die Ehegattenzustimmung bei Vertragsschluss jedenfalls nicht auf eine bisher kurze Ehedauer oder eine bisher annähernd gleiche Vermögensentwicklung der Ehegatten (und damit Fehlen eines Zugewinnausgleichsanspruchs) gestützt werden.