BVerfG 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07
Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz verfassungswidrig

27.08.2010

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BVerfG
21.07.2010
1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07

Leitsatz | BVerfG 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07

Nach den §§ 15, 16, 17 und 19 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung nach dem Jahressteuergesetz 1997 vom 20. Dezember 1996 (ErbStG a.F.) wurden eingetragene Lebenspartner erbschaftsteuerrechtlich erheblich höher belastet als Ehegatten.
Während Ehegatten nach §§ 15 Abs. 1, 19 Abs. 1 ErbstG a.F. der günstigsten Steuerklasse I unterfielen und Steuersätze zwischen 7% und 30% zu entrichten hatten, waren Lebenspartner als „übrige Erwerber“ in die Steuerklasse III eingeordnet, die Steuersätze von 17 % bis zu 50 % vorsah.
Zudem gewährte § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG a.F. Ehegatten einen persönlichen Freibetrag in Höhe von 307.000,- € und § 17 Abs. 1 ErbStG a.F. einen besonderen Versorgungsfreibetrag in Höhe von 256.000,- €. Eingetragenen Lebenspartnern stand demgegenüber aufgrund ihrer Einordnung in die Steuerklasse III lediglich ein Freibetrag in Höhe von 5.200,- € zu (§ 16 Abs. 1 Nr. 5, § 15 Abs. 1 ErbStG a.F.).
Von der Vergünstigung des Versorgungsfreibetrags waren sie gänzlich ausgeschlossen.

Mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24. Dezember 2008 sind die vorgenannten Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes zu Gunsten von eingetragenen Lebenspartnern insoweit geändert worden, als der persönliche Freibetrag sowie auch der Versorgungsfreibetrag für erbende Lebenspartner und Ehegatten gleich bemessen werden. Allerdings werden eingetragene Lebenspartner weiterhin wie entfernte Verwandte und Fremde mit den höchsten Steuersätzen besteuert.

Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Jahressteuergesetz 2010 vom 22. Juni 2010 ist eine vollständige Gleichstellung von Lebenspartnern und Ehegatten im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrecht – also auch in den Steuersätzen – beabsichtigt.


Sachverhalt | BVerfG 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07

Der Beschwerdeführer ist Alleinerbe seines im Jahr 2001 verstorbenen Lebenspartners. Das Finanzamt setzte die Erbschaftsteuer nach einem Steuersatz der Steuerklasse III fest und gewährte den geringsten Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG a.F.. Die hiergegen erhobene Klage blieb vor den Finanzgerichten ohne Erfolg.

Entscheidung | BVerfG 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07

Auf die Verfassungsbeschwerden hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts den Beschluss des Bundesfinanzhofs aufgehoben und die Sache an diesen zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen, da die erbschaftsteuerrechtliche Schlechterstellung der eingetragenen Lebenspartner gegenüber den Ehegatten im persönlichen Freibetrag und im Steuersatz sowie durch ihre Nichtberücksichtigung im Versorgungsfreibetrag mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar ist.

Darüber hinaus hat der Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2010 eine Neuregelung für die vom Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz a.F. betroffenen Altfälle zu treffen, die die Gleichheitsverstöße in dem Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften vom 16. Februar 2001 bis zum Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24. Dezember 2008 beseitigt.

Praxishinweis | BVerfG 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07