BGH IV ZR 250/11
Aufgabe der Theorie der Doppelberechtigung im Pflichtteilsrecht

23.10.2012

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
23.05.2012
IV ZR 250/11
ZNotP 2012, 311

Leitsatz | BGH IV ZR 250/11

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch – hier auch des Abkömmlings – nach § 2325 Abs. 1 BGB setzt nicht voraus, dass die Pflichtteilsberechtigung im Zeitpunkt der Schenkung bestand.

Sachverhalt | BGH IV ZR 250/11

Die beiden 1976 und 1978 geborenen Kläger wollen nach dem Tod des Großvaters im Jahr 2006 gegen die Beklagte, ihre Großmutter, im Wege der Stufenklage Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend machen. Die Großeltern hatten vier gemeinsame Kinder, darunter die 1984 bereits verstorbene Mutter der Kläger. Die in Gütertrennung lebenden Großeltern errichteten ein gemeinschaftliches privatwirtschaftliches Testament, in welchem sie sich gegenseitig zu „alleinigen und befreiten Vorerben“ sowie ihre noch lebenden Kinder zu „Nacherben des Erstverstorbenen und Erben des Längstlebenden“ beriefen. Nach dem Tod des Erblassers verlangten sie Einsicht in den Bestand des Nachlasses und den Wert der hinterlassenen Immobilien. Auskunft erteilen sollte die Beklagte durch Vorlage eines notariell beurkundeten Verzeichnisses, Abgabe der eidesstaatlichen Versicherung und Zahlung. Nachdem das Landgericht der Klage der Enkel zugestimmt hatte, legte die Beklagte zunächst Beschwerde und dann Revision ein.

Entscheidung | BGH IV ZR 250/11

Die Revision hat keinen Erfolg. Dadurch gibt der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung auf, auf welche sich die Großmutter gestützt hatte. Der BGH hatte vorher verlangt, dass die Berechtigung für die Gewährung eines solchen Pflichtteilsanspruches sich aus dem Zeitpunkt des Erbfalls sowie der Schenkung ergibt. Diese Vorgehensweise wurde Theorie der Doppelberechtigung genannt. Den beiden Geschwistern stehe der Anspruch Vorlage eines notariell aufgenommenen Verzeichnisses gem. § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB zu. Dabei ist es unerheblich, ob die Beklagte an die Kläger bereits privatschriftliche Auskünfte zum Nachlassbestand gemacht hatte. Dieses Verzeichnis müsse zum Beispiel die lebzeitigen Schenkungen des Großvaters an seine Frau sowie an dritte Personen in den letzten Jahren vor seinem Tod zu enthalten. Schenkungen, die der Erblasser vor der Geburt der beiden Kläger durchgeführt hat, werden für die Pflichtteilsergänzungspflicht und für den Auskunftsanspruch mit herangezogen. Durch § 2325 BGB ist verfassungsrechtlich den nächsten Angehörigen des Erblassers gem. Art. 14, Art. 6 GG eine garantierte Teilhabe am Nachlass zu sichern. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch bezieht sich nicht nur auf die zum Zeitpunkt des Erbfalls tatsächlich vorhanden Nachlassgegenstände, sondern auch auf solche unentgeltlichen Zuwendungen, die der Erblasser noch vor der Geburt der Kläger vorgenommen hat. Hier ist dann die sogenannte Doppelberechtigung nicht mehr vonnöten, der BGH folgte somit der herrschenden Meinung der Literatur. Es ist nur noch der Zeitpunkt des Erbfalls für die Pflichtteilsberechtigung zur Berechnung des Anspruchs wichtig. Diese Aussage stützt sich auf verschiedene Aspekte. Zum einen aus dem Wortlaut des § 2325 Abs. 1 BGB. Daraus lässt sich nicht entnehmen, dass es für die Pflichtteilsberechtigung nicht nur auf den Zeitpunkt des Erbfalls, sondern auch auf den der Schenkung ankommt. Eine weitere Rechtfertigung ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Dabei lehnte die Mehrheit der mit dem Entwurf beauftragten Kommission eine Doppelberechtigung ab. Das Verlangen nach einer doppelten Berechtigung für den Ergänzungsanspruch wäre auch nicht darauf zu stützten, dass eine Veränderung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse seit Inkrafttreten des BGB stattgefunden hat, da bei der Entscheidungsfindung der Kommission die Verhältnisse keine Rolle gespielt haben. Weiterhin spricht gegen die Doppelberechtigung der Sinn und Zweck des Pflichtteilsergänzungsanspruches, der den nahen Angehörigen eine Sicherstellung der Mindestteilhabe am Vermächtnis des Erblassers garantieren will. Außerdem ist es unerheblich, dass der Pflichtteilsberechtigte bei dem Erblasser nie andere Vermögensumstände als die nach der Schenkung kennengelernt hat. Sollte man der Theorie der Doppelberechtigung nachkommen, hätte das eine mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarende Ungleichbehandlung der verschiedenen Abkömmlinge zur Folge. Auch kann man dem § 2325 Abs. 3 BGB nicht entnehmen, dass er die Doppelberechtigung rechtfertigt oder gutheißt.

Praxishinweis | BGH IV ZR 250/11

Die bisher vom BGH vertretene Theorie der Doppelberechtigung wird aufgegeben. Für den Pflichtteilsergänzungsanspruch ist nur noch der Zeitpunkt des Erbfalls von Bedeutung und nicht mehr der der Schenkung. Das Verlangen einer doppelten Berechtigung würde gegen Art. 3 Abs.1 GG verstoßen und die verschiedenen Kinder und deren Stämme ungleich behandeln.