LG Köln 82 O 15/08
Unwirksamkeit einer englischen Restschuldbefreiung bei missbräuchlicher Verlegung des Wohnsitzes

17.07.2012

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

LG Köln
14.10.2011
82 O 15/08
NZI 2011, 957

Leitsatz | LG Köln 82 O 15/08

Verlegt ein Schuldner seinen Wohnsitz nur zum Schein nach Großbritannien, um sich – die Möglichkeiten des organisierten Insolvenztourismus nutzend – durch das unkomplizierte englische Insolvenzverfahren innerhalb eines Jahres zu entschulden und sich dadurch berechtigten Gläubigerforderungen zu entziehen, liegt ein Verstoß gegen den deutschen Ordre public vor, der dazu führt, dass von der englischen Restschuldbefreiung erfasste Forderungen in Deutschland gleichwohl durchsetzbar sind.

Sachverhalt | LG Köln 82 O 15/08

Der Beklagte war Vorstandsvorsitzender der Klägerin. Nach Auffassung der Klägerin habe der Beklagte in mehrfacher Hinsicht seine Pflichten verletzt und die Klägerin dadurch finanziell geschädigt, weshalb sie nun im Klagewege gegen diesen einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 93 Abs. 2 S. 1 AktG verfolgt. Der Beklagte bestreitet Pflichtverletzung und Schaden und beruft sich zusätzlich auf ein im Jahr 2008 in Großbritannien/London eingeleitetes Insolvenzverfahren. Nach Abschluss des Verfahrens sei ihm von der zuständigen Behörde zum Mitte des Jahres 2009 eine Restschuldbefreiung erteilt worden. Diese habe auch in Deutschland Gültigkeit. Sie führe dazu, dass die Ansprüche der Klägerin nicht mehr durchsetzbar seien.

Entscheidung | LG Köln 82 O 15/08

Nach der Rechtsprechung des LG Köln besteht der Klageanspruch aus § 93 Abs. 2 S. 1 AktG und ist auch durchsetzbar. Die von dem Beklagten im Rahmen des durchgeführten Insolvenzverfahrens in England erlangte Restschuldbefreiung führe wegen eines Verstoßes gegen den Ordre public nicht zur Erledigung der Klageforderung. Das LG Köln bezieht sich auf die Rechtsprechung des BGH, wonach im Grundsatz anerkannt werden muss, dass sich ein ausländisches Insolvenzgericht für örtlich zuständig erklärt hat. Ein etwaiger Missbrauch seitens des Insolvenzschuldners sei lediglich als möglicher Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung (Ordre public) zu prüfen. Nach Art. EWG_VO_1346_2000 Artikel 26 EuInsVO könne sich jeder Mitgliedstaat weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren ergangene Entscheidung zu vollstrecken, soweit diese Anerkennung oder diese Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, dass offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist. Nach der Auffassung des BGH ist die deutsche öffentliche Ordnung verletzt, wenn das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts unter Beachtung inländischer Rechtsvorstellungen untragbar erscheint. Das kommt in Betracht, wenn der Schuldner seinen Wohnsitz rechtsmissbräuchlich ins Ausland verlegt hat, um sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen berechtigten Forderungen seiner Gläubiger zu entziehen, um dabei Vorteile zu erzielen, die ihm nicht zustehen (BGH, NZI 2001, 646). Dies stehe im Einklang mit der Auffassung des EuGH, der zwar verlangt, dass die Gründe für eine Nichtanerkennung des ausländischen Insolvenzverfahrens auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt werden, wobei er jedoch ausdrücklich ein rechtsmissbräuchliches Verhalten auf der Grundlage von Art. EWG_VO_1346_2000 Artikel 26 EuInsVO als Verweigerungsgrund anerkennt (EuGH, 21. 1. 2010 – C4 144/07). Ein Verstoß gegen den Ordre public sei nach dem LG Köln insbesondere bei einem simulierten Wohnsitz anzunehmen, wenn also die Eröffnungsentscheidung des Insolvenzgerichts auf bewusst wahrheitswidrigen Angaben des Antragsstellers beruht. Denn es entspricht sowohl den Interessen der Gerichte des Zweitstaats wie der Gerichte des Eröffnungsstaates, dass die täuschenden Personen auch in der Zeit, bis die Eröffnungsentscheidung durch das Eröffnungsgericht wieder aufgehoben wird, keine ungerechtfertigten Vorteile aus ihrem Verhalten ziehen können und dadurch anderen von dem Insolvenzverfahren Betroffenen Nachteile zufügen können. Im Streitfall hatte der Beklagte neun! angebliche Adresswechsel innerhalb eines Jahres angegeben. Dabei auch Wohnsitze in unterschiedlichen Ländern für sich überscheidende Zeiträume. Davon waren vier Wohnsitze in London mit jeweils zeitlich sich überschneidenden Mietverträgen. Zusätzlich sprachen Indizien wie u.a. das Zusammenwohnen mit 5 fremden Männern, die jeweils auch ein Insolvenzverfahren betrieben in kleinen Zwei-Zimmerwohnungen (Insolvenznest) und widersprüchliche Angaben des Beklagten über seine Wohnsituation für die Annahme, dass die Londoner Wohnsitze Scheinwohnsitze waren und der Beklagte die Möglichkeit des organisierten Insolvenztourismus nach Großbritannien genutzt hatte, um sich durch das unkomplizierte englische Insolvenzverfahren innerhalb eines Jahres „automatisch“ zu entschulden und sich dadurch berechtigten Gläubigerforderungen zu entziehen.

Praxishinweis | LG Köln 82 O 15/08

Das Ergebnis der Entscheidung des LG Köln scheint zwar wünschenswert, steht nach überwiegender Ansicht jedoch auf juristisch unsicheren Füßen (vgl. Mankowski, Anm. NZI 2011, 957, 958), da die faktische Zuständigkeitskontrolle über Art. EWG_VO_1346_2000 Artikel 26 EuInsVO – wie im Streitfall – unzulässig sei. Darüber hinaus war das durch die Restschuldbefreiung in England vorliegende Ergebnis noch nicht endgültig „untragbar“, da noch Rechtsbehelfsmöglichkeiten bestanden und hinzukam, dass der vom LG Köln zugrunde gelegte Sachverhalt vorwiegend durch englische Behörden aufgedeckt wurde, also eine zukünftige Rücknahme der Restschuldbefreiung noch zu erwarten war. Dennoch müssen sich „Insolvenztouristen“ nunmehr darauf einstellen, dass in England erteilte Restschuldbefreiungen in Deutschland mit dem „ordre-public-Einwand“ angegriffen werden können.