BGH IX ZR 11/11
Auswirkung der Verwertung von „Doppelsicherheiten“ in der Insolvenz

30.03.2012

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
01.12.2011
IX ZR 11/11
NJW 2012, 156

Leitsatz | BGH IX ZR 11/11

Wird die am Gesellschaftsvermögen und am Vermögen eines Gesellschafters gesicherte Forderung eines Darlehensgläubigers nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft durch Verwertung der Gesellschaftssicherheit befriedigt, ist der Gesellschafter zur Erstattung des an den Gläubiger ausgekehrten Betrages zur Insolvenzmasse verpflichtet.

Sachverhalt | BGH IX ZR 11/11

Der Kläger verlangt als Insolvenzverwalter einer GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) Zahlung von dem Beklagten als alleinigem Gesellschafter der Schuldnerin. Der Beklagte hatte einer Kreditgeberin der Schuldnerin zur Besicherung eines Darlehens Grundschulden an in seinem Eigentum stehenden Grundstücken bestellt. Dasselbe Darlehen wurde durch Sicherungseigentum an Fahrzeugen der Schuldnerin besichert. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwertete der Kläger die Fahrzeuge und kehrte den Erlös an die Kreditgeberin aus. Nunmehr verlangte der Kläger eine Erstattung in Höhe des ausgekehrten Erlöses vom Beklagten, da der Beklagte in dieser Höhe in seiner persönlich gestellten Sicherheit freigeworden sei. Die Klage hat Erfolg.

Entscheidung | BGH IX ZR 11/11

Der Anspruch des Klägers auf Erstattung des an die Kreditgeberin ausgekehrten Erlöses folge – so der BGH – aus § 143 Abs. 3 S. 1 InsO analog. Er stellte zunächst fest, dass eine gesetzliche Regelung darüber, wie in der Insolvenz einer GmbH die Verwertung der von ihr gestellten Sicherheiten gegenüber einem Gesellschafter wirkt, der für das gesicherte Darlehen auch eigene Sicherheiten gestellt hat, fehlt. Die §§ 129, 135 InsO hätten nur Geltung für gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden seien. Die streitige Rechtshandlung – anteiliges „Freiwerden“ der persönlichen Sicherheit des Gesellschafters – erfolgte hier aber erst nach Verfahrenseröffnung durch die Verwertung des Fuhrparkes der Schuldnerin seitens des Insolvenzverwalters und Auskehrung des Erlöses an die Kreditgeberin. Die bestehende – unbeabsichtigte – Regelungslücke sei durch eine entsprechende Anwendung des § 143 Abs. 3 InsO zu schließen. Bedenken gegen eine analoge Anwendung – wie das Nichtvorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 129 InsO (insbesondere dies der Vornahme der anfechtbaren Rechtshandlung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens) – teilt der BGH nicht, da es einer analogen Anwendung einer Norm immanent sei, dass nicht sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt seien. Insbesondere sei die Anfechtung von Rechtshandlungen nach Verfahrenseröffnung dem Gesetz nicht völlig fremd, wie die Vorschrift des § 147 InsO zeige. § 147 InsO stehe dem hier in Streit stehendem Fall insoweit nahe, als es – wie im vorliegenden Fall – um eine masseschmälernde Verfügung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ginge, die vom Insolvenzverwalter trotz dessen umfassender Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§§ 80ff. InsO) nicht verhindert werden kann. Dies rechtfertige in beiden Fällen eine Abweichung von der anfechtungsrechtlichen Grundnorm des § 129 Abs. 1 InsO, die davon ausgehe, dass der Verwalter von der Eröffnung an Gläubigerbenachteiligungen verhindere. Die Frage der Gläubigerbenachteiligung stellt sich in allen Fällen der doppelten Besicherung der Darlehensforderung, unabhängig davon, ob die Forderung vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus Mitteln der Gesellschaft befriedigt worden seien. Der gesetzlich geregelte Fall (§§135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsO) lässt jedoch ausreichen, dass Mittel der Gesellschaft aufgewandt wurden und dass die vom Gesellschafter gestellte Sicherheit hierdurch freigeworden ist. Nichts anderes gelte in dem hier zu entscheidenden Fall der Befriedigung des Gläubigers nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Praxishinweis | BGH IX ZR 11/11

Der BGH stellt mit seiner Entscheidung nunmehr die nach „altem“ Recht für diese Fälle geltende Rechtslage praktisch wieder her. Auch vor Inkrafttreten des MoMiG (01.11.2008) bestand im Falle einer Doppelsicherung des Gläubigers durch Gesellschafts- und Gesellschaftersicherheit ein gegen den Gesellschafter gerichteter Freistellungsanspruch zu Gunsten der Insolvenzmasse, wenn der Gläubiger die von der Gesellschaft gestellte Sicherheit in Anspruch nahm. Dies galt nach früherem Recht unabhängig davon, ob die Leistung der Gesellschaft vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens lag. Es kam lediglich darauf an, ob die Sicherheit des Gesellschafters eigenkapitalersetzenden Charakter hatte. Mit der GmbH-Reform (MoMiG) hat der Gesetzgeber das sehr komplexe Eigenkapitalersatzrecht dereguliert und vom GmbHG in die Insolvenzordnung verlagert. Für derartige Fälle war seitdem– mangels gesetzlicher Regelung und vor dem Hintergrund des Wortlauts des im Anfechtungsrecht maßgeblichen § 129 InsO – Rechtshandlungen vor Insolvenzeröffnung – die Rechtslage höchst umstritten. Nunmehr hat der BGH mit vorstehender Entscheidung diese höchst praxisrelevante Frage geklärt.