OLG Karlsruhe 17 U 99/10
Geschlechtsbezogene Benachteiligung durch Stellenanzeige „Geschäftsführer gesucht“

13.01.2012

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Karlsruhe
13.09.2011
17 U 99/10
GmbHR 2011, 1147

Leitsatz | OLG Karlsruhe 17 U 99/10

1. Der Begriff „Geschäftsführer“ ist ohne weitere Zusätze keine geschlechtsneutrale, sondern eine männliche Berufsbezeichnung. Eine Stellenausschreibung unter der Überschrift „Geschäftsführer“ verletzt jedenfalls dann das Gebot zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung nach § 7 I, 11 AGG, wenn nicht im weiteren Text der Anzeige auch weibliche Bewerber angesprochen werden.

2. Die nicht geschlechtsneutrale Stellenausschreibung stellt ein Indiz dar, das eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lässt und zur Beweislastumkehr nach § 22 AGG führt. Der Arbeitgeber muss dann nachweisen, dass in dem "Motivbündel", das die Auswahlentscheidung beeinflusst hat, das Geschlecht überhaupt keine Rolle gespielt hat. Dieser Nachweis ist nicht schon dadurch geführt, dass eine andere Bewerberin zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde.

3. Der Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG ist ausgeschlossen, wenn die Bewerbung rechtsmissbräuchlich war, weil der Bewerber/die Bewerberin sich subjektiv nicht ernsthaft um die Stelle beworben hat oder objektiv für diese nicht in Betracht kam. Hierfür trägt der Arbeitgeber die Beweislast.

(amtliche Leitsätze)

Sachverhalt | OLG Karlsruhe 17 U 99/10

Die Beklagte ist ein mittelständisches Unternehmen. In ihrem Auftrag gab eine Rechtsanwaltskanzlei 2007 zwei Stellenanzeigen folgenden Inhalts auf:

„Geschäftsführer

im Mandantenauftrag zum nächstmöglichen Eintrittstermin gesucht

für mittelständisches Logistik-, Transport & Umzugsunternehmen mit Sitz im Raum K. Fähigkeiten in Akquisition sowie Finanz- und Rechnungswesen sind erforderlich, Erfahrungen in Führungspositionen erwünscht. Frühere Tätigkeiten in der Branche nicht notwendig. Ihre schriftlichen, vollständigen Bewerbungsunterlagen mit Angabe Ihres nächstmöglichen Eintrittsdatums und Ihren Gehaltsvorstellungen senden Sie bitte an:“

Hierauf bewarb sich die auch als Rechtsanwältin zugelassene Klägerin. Sie war bereits 20 Jahre bei unterschiedlichen Versicherungsunternehmen, zuletzt als Personalleiterin, tätig gewesen. Nachdem ihre Bewerbung nicht berücksichtigt worden war, meldete sie bei der Rechtsanwaltskanzlei Entschädigungsansprüche in Höhe von knapp 25.000 Euro an und begehrte Auskunft über den Auftraggeber der Stellenanzeige. Da die Kanzlei keine Auskunft über ihren Mandanten gab, klagte die Rechtsanwältin vor dem Landgericht Karlsruhe auf Auskunft, zu der die Kanzlei im April 2008 verurteilt wurde. Daraufhin machte die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch gegenüber dem Unternehmen geltend.

Entscheidung | OLG Karlsruhe 17 U 99/10

Das Oberlandesgericht Karlsruhe sprach der Klägerin eine Entschädigung in Höhe eines Monatsgehalts, hier 13.000 Euro, zu. Da die Anzeige nicht geschlechtsneutral formuliert sei, hielt das OLG dies – auch aus Gründen der Abschreckung – für angemessen.

Nach Ansicht des OLG Karlsruhe verstößt die Stellenausschreibung gegen das Benachteiligungsverbot in § 7 AGG. Aufgrund dieses Verbotes dürfe nicht nach männlichen oder weiblichen Kandidaten gesucht werden. Geschlechtsneutral sei eine Ausschreibung nur formuliert, wenn sie sich in ihrer gesamten Ausdrucksweise sowohl an Frauen als auch an Männer richte. Diesen Vorgaben genüge die Stellenausschreibung vorliegend nicht. Der Begriff „Geschäftsführer“ sei eindeutig männlich. Ein Zusatz „/in“ oder „m/w“ sei in der Anzeige nicht enthalten gewesen. Der männliche Begriff „Geschäftsführer“ sei auch im weiteren Kontext der Anzeige nicht relativiert worden.

Es komme nicht darauf an, dass die Stellenanzeige von der Rechtsanwaltskanzlei formuliert worden sei. Der Arbeitgeber müsse sich dessen Verhalten zurechnen lassen. Die Sorgfaltspflicht, die Ordnungsgemäßheit der Ausschreibung zu überwachen, treffe den Arbeitgeber.

Diese nicht geschlechtsneutrale Stellenausschreibung führe gemäß § 22 AGG dazu, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermutet werde. Die Beklagte habe hier die maßgeblichen Erwägungen für ihre Auswahl nicht dargelegt. Die Tatsache, dass eine weibliche Bewerberin zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei, vermöge die Vermutung allein nicht zu widerlegen. Auch der Einwand der Beklagten, die Klägerin sei nicht wegen ihres Geschlechts, sondern wegen der mangelnden Akquisitionserfahrung nicht eingeladen worden, könne die Vermutung nicht widerlegen. Damit sei nämlich nicht belegt, dass das Geschlecht neben der möglicherweise fehlenden Akquisitionserfahrung der Klägerin bei der Entscheidung keine Rolle gespielt habe. Die Beklagte habe auch keine ausreichenden Indizien für eine missbräuchliche Bewerbung der Klägerin dargelegt.

Das Gericht hielt daher gemäß § 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigung in Höhe eines Monatsgehaltes von ca. 13.000 Euro für angemessen. Für die Höhe der Entschädigung sei ausschlaggebend, dass sie auch abschreckende Wirkung habe, d. h. geeignet sei, den Arbeitgeber zukünftig zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Pflichten nach dem AGG anzuhalten und Dritte von ähnlichen Verstößen abzuhalten. Im vorliegenden Fall komme hinzu, die diskriminierende Anzeige zweimal erschienen sei und die Klägerin zunächst die Kanzlei auf Auskunft habe verklagen und die Zwangsvollstreckung einleiten müssen, bevor sie ihre Entschädigungsansprüche gegenüber der Beklagten habe anmelden können. Für den Beklagten wurde gewertet, dass außer der Überschrift „Geschäftsführer“ keine weiteren Diskriminierungen oder Beeinträchtigungen erkennbar gewesen seien.

Praxishinweis | OLG Karlsruhe 17 U 99/10

Obwohl dieser Hinweis seit dem In-Kraft-Treten des AGG 2006 eigentlich überflüssig sein müsste, sollte bei Stellenanzeigen weiterhin darauf geachtet werden, dass entweder sowohl die männliche wie die weibliche Form verwendet wird oder der Zusatz „m/w“ eingefügt wird