OLG Hamm 5 UF 51/10
Wirksamkeit eines Ehevertrags trotz Globalverzichts und offensichtlichem Ungleichgewicht der Einkommens- und Vermögensverhältnisse

27.12.2011

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Hamm
08.06.2011
5 UF 51/10
RNotZ 2011 494

Leitsatz | OLG Hamm 5 UF 51/10

Allein aus einem Globalverzicht folgt auch bei einem objektiv offensichtlichen Ungleichgewicht der Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht zwangsläufig die Sittenwidrigkeit des Ehevertrags, wenn ein Fall gestörter Vertragsparität nicht vorliegt.

Sachverhalt | OLG Hamm 5 UF 51/10

Der 47-jährige selbstständige Arzt und die 13 Jahre jüngere Finanzbeamtin schlossen einen Ehevertrag, von dessen Abschluss der Mann die Eheschließung abhängig gemacht hatte. Mit dem notariellen Ehevertrag von 1995 wurde der Güterstand der Gütertrennung vereinbart und der Versorgungsausgleich ausgeschlossen sowie gegenseitig auf nachehelichen Unterhalt mit Ausnahme des Betreuungsunterhalts nach § 1570 BGB a. F. verzichtet. Als Gegenleistung verpflichtete sich der Ehemann an die Frau bei Scheidung einen Betrag von 30.000 DM zu zahlen, sowie die Prämien für die zu Gunsten der Frau abgeschlossene Lebensversicherung zu übernehmen. Die Ehe blieb kinderlos.

Entscheidung | OLG Hamm 5 UF 51/10

Der Vertrag hält einer Inhaltskontrolle gemäß §§ 6, 8 VersAusglG, § 138, BGB § 242 BGB i. V. m. den vom BGH entwickelten Grundsätzen (s. dazu BGH FamRZ 2004, 601 ff.) stand. Die gesetzlichen Regelungen über nachehelichen Unterhalt, Zugewinn und Versorgungsausgleich unterliegen nach der Rechtsprechung des BGH generell der vertraglichen Disposition der Ehegatten. Diese grundsätzliche Disponibilität der Scheidungsfolgen darf indessen nicht dazu führen, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen beliebig unterlaufen werden kann. Ehevertragliche Abreden unterstehen deshalb grundsätzlich einer Inhaltskontrolle. Diese erfolgt in zwei Schritten:

Zunächst ist im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle zu prüfen, ob die Vereinbarung schon zum Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt, dass ihr – und zwar losgelöst von der zukünftigen Entwicklung der Ehegatten und ihren Lebensverhältnissen – wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise mit der Folge zu versagen ist, dass an ihre Stelle die gesetzlichen Regelungen treten (§ 138 Abs. 1 BGB). Eine Sittenwidrigkeit wird danach regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn durch den Vertrag Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts ganz oder jedenfalls zu erheblichen Teilen abbedungen werden, ohne dass dieser Nachteil für den anderen Ehegatten durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten gerechtfertigt wird.

Soweit der Vertrag dieser Wirksamkeitskontrolle stand hält, ist im zweiten Schritt im Rahmen der Ausübungskontrolle zu prüfen, ob und inwieweit ein Ehegatte die ihm durch den Vertrag eingeräumte Rechtsmacht missbraucht, wenn er sich im Scheidungsfall gegenüber einer von dem anderen Ehegatten begehrten gesetzlichen Scheidungsfolge darauf beruft, dass diese durch den Vertrag wirksam abbedungen sei. Dabei ist entscheidend, nunmehr – im Zeitpunkt des Scheiterns der ehelichen Lebensgemeinschaft – aus dem vereinbarten Ausschluss der Scheidungsfolge eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung entstünde, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten – bei angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede – bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint (BGH, FamRZ 2005, 1449 ff.; BGH FamRZ 2008, 386 ff.).

Das OLG vermochte hier keine Nichtigkeit des Ehevertrages wegen des vertraglich vereinbarten „Globalverzichts“ erkennen, da die Ehefrau als Finanzbeamtin tätig ist und sie sich daher beim Abschluss des Ehevertrages nicht in einer unterlegenen Verhandlungsposition befunden habe. Als Beamtin habe sie einen sicheren Arbeitsplatz und damit einhergehend eine gesicherte Altersversorgung. Allein der Umstand, dass der Ehemann über ein deutlich höheres Einkommen (6.000 €) und Vermögen als die Ehefrau (2.300 €) verfügt, begründet nach Ansicht des Gerichts noch keinen Verstoß gegen die guten Sitten. Auch hält der Vertrag der Ausübungskontrolle stand, da im Verlauf der Ehe der Parteien keine unvorhergesehenen Dinge eingetreten sind, die die Vertragsregelungen nunmehr in einem anderen Licht erscheinen lassen könnten.

Praxishinweis | OLG Hamm 5 UF 51/10

Die Entscheidung des OLG Hamm macht deutlich, dass allein aus einem Globalverzicht auch bei einem objektiv offensichtlichen Ungleichgewicht der Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht zwangsläufig die Sittenwidrigkeit des Ehevertrages folgt, wenn ein Fall gestörter Vertragsparität nicht vorliegt. In dem hier entschiedenen Fall war von entscheidender Bedeutung, dass die Ehefrau aufgrund ihrer Tätigkeit als Finanzbeamtin über einen gesicherten Arbeitsplatz und somit über eine entsprechende Altersvorsorgung verfügte. Daher konnte das Gericht hier – anders als in den Fällen, in denen eine ausländische Staatsangehörigkeit und Sprachschwierigkeiten (vgl. BGH NJW 2006, 2331), eine drohende Ausweisung einer Ausländerin (vgl. BGH NJW 2007, 907) oder die Schwangerschaft der Ehefrau (BGH NJW 2006, 3142) zu einer individuellen Unterlegenheit einer Vertragspartei und damit zur Sittenwidrigkeit des Vertrages geführt haben – ein Verhandlungsungleichgewicht zwischen den beteiligten Ehegatten nicht erkennen.