BGH XII ZR 202/08
Keine generelle Unterhaltsbefristung bei Fehlen ehebedingter Nachteile

27.12.2011

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
06.10.2010
XII ZR 202/08
NJW 2011, 147

Leitsatz | BGH XII ZR 202/08

1. Bei der Billigkeitsprüfung nach § 1578 b I 2 BGB ist vorrangig zu berücksichtigen, ob ehebedingte Nachteile eingetreten sind, die schon deswegen regelmäßig einer Befristung des nachehelichen Unterhalts entgegenstehen, weil der Unterhaltsberechtigte dann seinen eigenen angemessenen Unterhalt nicht selbst erzielen kann.

2. Ob bei fehlenden ehebedingten Nachteilen eine Herabsetzung des Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 I 1 BGB) auf den angemessenen Lebensbedarf (§ 1578 b I 1 BGB) in Betracht kommt, ist gem. § 1578 b BGB im Wege einer umfassenden Billigkeitsabwägung zu bestimmen, die dem Tatrichter obliegt. Dabei ist auch eine über die Kompensation ehebedingter Nachteile hinausgehende nacheheliche Solidarität zu berücksichtigen (im Anschluss an Senat, NJW 2010, 1598 = FamRZ 2010, 629).

3. Die Ehedauer gewinnt durch eine wirtschaftliche Verflechtung an Gewicht, die insbesondere durch Aufgabe einer eigenen Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder oder der Haushaltsführung eintritt (im Anschluss an Senat, NJW 2010, 3372 = FamRZ 2010, 1637).

Sachverhalt | BGH XII ZR 202/08

Weil die Ehefrau wegen Zusammenzugs mit dem Ehemann noch vor Eheschließung arbeitslos geworden war, absolvierte sie eine Ausbildung zur Motopädin und war – ab der Heirat im Jahr 1980 – nur mit zwölf Stunden wöchentlich in diesem Beruf tätig. 1982 wurde der gemeinsame Sohn geboren und die Ehefrau gab ihre Erwerbstätigkeit auf, übernahm Haushalt und Kindererziehung. Ab Oktober 1987 begann sie wieder als Motopädin mit reduzierter Stundenzahl zu arbeiten. Auf im Jahr 2003 zugestellten Scheidungsantrag wurde die Ehe im Juli 2008 rechtskräftigen geschieden. Seit August 2008 arbeitete die Ehefrau vollschichtig. Das OLG hat den Aufstockungsunterhalt der Ehefrau bis 31.07.2012 befristet. Die Revision der Ehefrau führte zur Zurückverweisung.

Entscheidung | BGH XII ZR 202/08

Der BGH urteilt, dass die Befristung des nachehelichen Unterhalts auf die Zeit bis Juli 2012 den Angriffen der Revision nicht standhält und führt aus, dass nachehelicher Aufstockungsunterhalt (§ 1573 II BGB) grundsätzlich unbefristet geschuldet ist. Die Herabsetzung und Begrenzung bedarf einer Billigkeitsabwägung nach § 1578 b BGB wobei insbesondere zu berücksichtigen ist, inwieweit ehebedingte Nachteile eingetreten sind.

Bei dieser Billigkeitsabwägung ist das OLG zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die Ehefrau keine ehebedingten Nachteile erlitten hat. Denn der berufliche Wechsel der Ehefrau von ihrer früheren Tätigkeit als Lehrerin zu ihrem neuen Beruf als Motopädin ist nicht auf die Ehe der Parteien zurückzuführen, da diese Entscheidung vor der Ehe lag. Diese Entwicklung ist durch das voreheliche Zusammenleben der Parteien veranlasst, welches nach der Rechtsprechung des BGH aber nicht vom Vertrauen in den Bestand der Ehe erfasst wird (BGH, NJW 2010, 2349). Auch die vorübergehende Aufgabe der Erwerbstätigkeit und die anschließend nur teilschichtige Erwerbstätigkeit während der Ehe stellen keinen ehebedingten Nachteil dar. Denn in der Regel werden die daraus resultierenden Nachteile in der Altersvorsorge eines Ehegatten durch den Versorgungsausgleich ausgeglichen (BGH, NJW 2008, 2644).

Nicht hinreichend berücksichtigt hat das OLG jedoch, dass § 1578b BGB nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile beschränkt ist, sondern auch eine darüberhinausgehende nacheheliche Solidarität erfasst, die einer vollständigen Herabsetzung des Lebensniveaus des Unterhaltsberechtigten auf den eigenen angemessenen Lebensbedarf aus Billigkeitsgründen entgegenstehen kann. Eine solche Prüfung hätte sich aber angesichts der langen Ehe, der Kindererziehung durch die Ehefrau und der nur teilweisen Erwerbstätigkeit neben der Haushaltsführung angeboten.

Praxishinweis | BGH XII ZR 202/08

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist bei der Bemessung der Ehedauer auf die Zeit von der Eheschließung bis zur Zustellung des Scheidungsantrags abzustellen (BGH NJW 2010, Seite 1598). Dass vorliegend die Ehe bereits ab 1998 gekriselt hatte und der Ehemann mit Kenntnis der Ehefrau bereits ab 2000 ein außereheliches Verhältnis aufgenommen hatte, steht dem Vertrauen in den Bestand der Ehe nicht entgegen. Auch setzt der BGH seine Rechtsprechung zu § 1578 b BGB fort. Er weist erneut darauf hin, dass dem Merkmal der Ehedauer bei entsprechender Länge der Ehe und entsprechender wirtschaftlicher Verflechtung besonderes Gewicht zukommt. Auch wenn ehebedingte Nachteile fehlen, ist dies im Rahmen der dem Tatrichter obliegenden umfassenden Billigkeitsabwägung zur darüber hinausgehenden nachehelichen Solidarität angemessen zu berücksichtigen.