BGH IV ZR 91/09
Anrechnung und Ausgleichung

20.10.2011

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
27.01.2010
IV ZR 91/09
ZEV 2010, 190

Leitsatz | BGH IV ZR 91/09

  1. Erfolgt eine Zuwendung "im Wege vorweggenommener Erbfolge unentgeltlich", ist für die Pfichtteilsberechnung im Auslegungsweg zu ermitteln, ob der Erblasser damit eine Ausgleichung gemäß §§ 2316 Abs. 1, 2050 Abs. 3 BGB, eine Anrechnung gemäß § 2315 Abs. 1 BGB oder kumulativ Ausgleichung und Anrechnung gemäß § 2316 Abs. 4 BGB anordnen wollte.
  2. Ausschlaggebend für den Willen des Erblassers ist, ob mit seiner Zuwendung zugleich auch eine Enterbung des Empfängers mit bloßer Pflichtteilsberechtigung festgelegt (Anrechnung) oder aber nur klargestellt werden sollte, dass der Empfänger lediglich zeitlich vorgezogen bedacht wird, es im Übrigen aber bei den rechtlichen Wirkungen einer Zuwendung im Erbfall verbleiben soll (Ausgleichung).
  3. Genügen Erben im Rahmen ihrer Darlegungs- und Beweislast – soweit ihnen möglich – konkret zum Wert der Zuwendung vorzutragen, obliegt es dem Pflichtteilsberechtigten im Rahmen der ihn treffenden Auskunftspflichten diesem Vorbringen seinerseits substantiiert zu entgegnen.

Sachverhalt | BGH IV ZR 91/09

Der Erblasser (E) hatte seinem Sohn (S) zu Lebzeiten einen Textilgroßhandel „im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich” übertragen. Später setzte er seine Tochter (T) und deren Kinder zu Erben ein. Der Pflichtteil des S liegt bei 1/4, der Nachlasswert beträgt 762 871,93 €, der Wert des vorwegübertragenen Betriebs 400 000 €.

Entscheidung | BGH IV ZR 91/09

(1) Bei einer Anrechnung nach § 2315 Abs. 1 BGB wird zunächst der Pflichtteil unter Einbeziehung der Zuwendung berechnet und hiervon dann die Zuwendung abgezogen. Hiernach stünde S kein weiterer Pflichtteil zu (762 871,93 € + 400 000 € = 1 162 871,93 €: 4 = 290 717,98 € abzgl. 400 000 € = – 109 282,02 €).

(2) Demgegenüber wird bei der Ausgleichung nach § 2316 Abs. 1 BGB der Wert der Zuwendung vom Erbteil abgezogen und erst von diesem so ermittelten Betrag der Pflichtteil errechnet. Dann bliebe hier noch ein Pflichtteilsanspruch übrig (762 871,93 € + 400 000 € = 1 162 871,9 € : 2 [Anzahl der Abkömmlinge] = 581 435,97 € – 400 000 € = 181 435,97 € : 2 = 90 717,99 €).

(3) Bei einer gleichzeitigen Ausgleichungs- und Anrechnungsanordnung nach § 2316 Abs. 4 BGB ist schließlich zunächst der Pflichtteil im Wege der Ausgleichung zu bestimmen und dieser Wert danach um die Hälfte des Zuwendungswertes zu kürzen. Danach stünde S ebenfalls kein weiterer Anspruch zu, da die Differenz aus Ausgleichungspflichtteil und halbem Vorempfang negativ ist (90 717,98 € – 200 000 € = – 109 282,02 €).

Welche der drei Möglichkeiten in Betracht kommt, wird durch das Gesetz nicht vorgegeben. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr der ggf. durch Auslegung zu ermittelnde Wille des Erblassers. Beabsichtigt er mit der Zuwendung zugleich auch eine Enterbung des Empfängers mit bloßer Pflichtteilsberechtigung, mithin eine Kürzung der dem Empfänger am Restnachlass zustehenden Pflichtteilsrechte, so spricht dies für eine Anrechnung nach § 2315 BGB. Soll dagegen nur klargestellt werden, dass der Empfänger lediglich zeitlich vorgezogen bedacht wird, es im Übrigen aber bei den rechtlichen Wirkungen einer Zuwendung im Erbfall verbleiben soll, so kommt eine Ausgleichung nach § 2316 Abs. 1 BGB in Betracht.

Praxishinweis | BGH IV ZR 91/09