OLG Brandenburg 7 U 36/09
Anfechtung eines Beteiligungskaufvertrages wegen Arglist

20.09.2011

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Brandenburg
24.11.2010
7 U 36/09
BeckRS 2010, 29965 = GmbHR 2011, 375

Leitsatz | OLG Brandenburg 7 U 36/09

Der Erwerber einer Beteiligung oder eines Unternehmens ist über die angespannte finanzielle Lage aufzuklären, anderenfalls ist er zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung berechtigt.

Sachverhalt | OLG Brandenburg 7 U 36/09

Der Kläger erwarb im Dezember 2006 von einem Mitgesellschafter einen GmbH-Geschäftsanteil. Im Rahmen des Beteiligungskaufs wurde zugunsten der – der GmbH kreditgebenden – Bank vom Kläger eine Bürgschaft abgegeben. Schon bei Vertragsschluss konnte die Gesellschaft titulierte offene Verbindlichkeiten in Höhe von mehr als 160.000,00 Euro nicht bedienen. Hiervon erlangte der Kläger erstmals im November 2007 Kenntnis. Als er im März 2008 aus der Bürgschaft in Anspruch genommen wurde, erklärt er im Mai 2008 gegenüber dem Verkäufer des Geschäftsanteils die Anfechtung.

Entscheidung | OLG Brandenburg 7 U 36/09

Der Kläger kann den notariellen Kauf- und Abtretungsvertrag wirksam wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB) anfechten, mit der Folge, dass der Vertrag nichtig ist (§ 142 Abs. 1 BGB). Denn das Verhalten des Beklagten ist als Täuschung durch Unterlassen zu qualifizieren. Der Beklagte als Verkäufer der Geschäftsanteile hat den klagenden Erwerber über die finanzielle Lage der Gesellschaft getäuscht. Denn bereits bei Vertragsschluss bestanden Zahlungsverpflichtungen in Höhe von mehr als 160.000,00 Euro in Form von Urteilen, Pfändungs- und Einziehungsverfügungen sowie Zahlungsverboten. Dieser Umstand belegt jedenfalls eine angespannte finanzielle Lage der Gesellschaft. Darüber musste der Verkäufer aus zwei Gründen aufklären.
Einerseits muss der Verkäufer – ungefragt – über solche Umstände aufklären, die nur ihm bekannt sind und von denen er weiß oder wissen muss, dass sie für den Käufer bei seinem Kaufentschluss von wesentlicher Bedeutung sind. D.h. bei angespannter finanzieller Lage einer GmbH hat der Verkäufer von Geschäftsanteilen sämtliche Verbindlichkeiten offenzulegen.
Darüber hinaus besteht auch dann eine Aufklärungspflicht, wenn der eine Vertragsteil Fragen stellt. Fragen müssen vollständig und richtig beantwortet werden. Der Kläger hatte bei den Vertragsverhandlungen nach „Besonderheiten“ gefragt, wobei die Frage unbeantwortet blieb. Der Beklagte als der Verkäufer der Geschäftsanteile konnte die Frage des Klägers nach „Besonderheiten“ nach den Umständen des Falles und nach der Interessenlage nur in dem Sinne verstehen, dass der Kläger über solche Umstände unterrichtet werden wollte, die für seine Kaufentscheidung von Bedeutung sein würden. Dazu gehörte es, dass der Kläger jedenfalls eine Auskunft über die Frage der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft erwartete.
Die Anfechtung erfolgte auch innerhalb der Anfechtungsfrist von einem Jahr gemäß § 124 Abs. 1 BGB. Der Kläger hatte erst im November 2007 Kenntnis von den Zahlungstiteln und damit von der finanziellen Lage der GmbH erlangt. Ob er die Kenntnis zu einem früheren Zeitpunkt hätte erlangen können, ist demgegenüber unerheblich, denn für den Beginn der Anfechtungsfrist kommt es allein auf die Kenntnis von der Täuschung und nicht etwa auf ein Kennen-können oder -müssen an. Die Beweislast für die Behauptung des Beklagten über eine frühere Kenntnis des Käufers trägt der Verkäufer, weil es sich um eine Voraussetzung des Erlöschens des Anfechtungsrechts und damit für den Ablauf der Anfechtungsfrist handelt.

Praxishinweis | OLG Brandenburg 7 U 36/09

Bei der Gestaltung von Unternehmens- und Beteiligungskaufverträgen werden meistens umfassende Regelungen über die Käuferrechte getroffen. Jedoch ist auch auf diesem Wege eine vollständige Abbedingung der gesetzlichen Regelungen nicht möglich, denn ein im Voraus vertraglich vereinbarter Ausschluss der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung wäre mit dem von § 123 BGB bezweckten Schutz der freien Selbstbestimmung unvereinbar und deshalb unwirksam (BGH, NJW 2007, 1058 = NZG 2007, 271).