BGH 2 StR 454/09
Grundsatzurteil zur Sterbehilfe

21.03.2011

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

BGH
25.06.2010
2 StR 454/09
NJW-Spezial 2010, 569

Leitsatz | BGH 2 StR 454/09

Der BGH hat in einem Grundsatzurteil zur Sterbehilfe entschieden, dass ein Behandlungsabbruch nicht strafbar ist, wenn dies dem mutmaßlichen Patientenwillen entspricht und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen.

Sachverhalt | BGH 2 StR 454/09

Die Richter sprachen damit einen Rechtsanwalt frei, der vom Landgericht wegen versuchten Totschlags verurteilt worden war. Er hatte einer Frau geraten, den Schlauch für die künstliche Ernährung ihrer Mutter durchzuschneiden. Die im Koma liegende schwerkranke Frau hatte zuvor mündlich geäußert, dass sie die Einstellung einer künstlichen Ernährung wünsche.

Entscheidung | BGH 2 StR 454/09

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen in Fällen aktueller Einwilligungsunfähigkeit von einem bindenden Patientenwillen auszugehen ist, war zur Tatzeit durch einander teilweise widersprechende Entscheidungen des BGH noch nicht geklärt gewesen. Divergenzen in der Rechtsprechung betrafen insbesondere die Verbindlichkeit sog. Patientenverfügungen und die Frage, ob die Zulässigkeit des Abbruchs einer lebenserhaltenden Behandlung auf tödliche und irreversibel verlaufende Erkrankungen des Patienten beschränkt oder von Art und Stadium der Erkrankung unabhängig ist. Der Gesetzgeber hat diese Fragen nunmehr durch das sog. Patientenverfügungsgesetz mit Wirkung vom 01.09.2009 ausdrücklich geregelt, so dass der Senat daher entscheiden konnte, ohne dabei an frühere Entscheidungen anderer Senate gebunden zu sein: Die durch den Kompromiss mit der Heimleitung getroffene Entscheidung zum Unterlassen weiterer künstlicher Ernährung war rechtmäßig gewesen und die von der Heimleitung angekündigte Wiederaufnahme stellt einen rechtswidriger Angriff gegen das Selbstbestimmungsrecht der Patientin dar, da die im September 2002 geäußerte Einwilligung der Patientin bindende Wirkung entfaltete und somit sowohl nach dem seit September 2009 als auch nach dem zur Tatzeit geltenden Recht eine Rechtfertigung des Behandlungsabbruchs darstellt. Dies gilt jetzt gem. § 1901 a Abs. 3 BGB ausdrücklich, unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung. Die Einwilligung der Patientin rechtfertigt auch ein aktives Tun. Die Bewertung des LG, der Angeklagte habe sich durch seine Mitwirkung an der aktiven Verhinderung der Wiederaufnahme der Ernährung wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht, sei rechtsfehlerhaft. Denn die von den Betreuern – in Übereinstimmung auch mit den inzwischen in Kraft getretenen Regelungen der §§ 1901 a, 1904 BGB – geprüfte Einwilligung der Patientin habe nicht nur den Behandlungsabbruch durch bloßes Unterlassen weiterer Ernährung gerechtfertigt, sondern auch ein aktives Tun, das der Beendigung oder Verhinderung einer von ihr nicht oder nicht mehr gewollten Behandlung gedient hat

Praxishinweis | BGH 2 StR 454/09

Die Grenzen zwischen erlaubter und unerlaubter Sterbehilfe waren durch miteinander nicht ohne weiteres vereinbare Entscheidungen der Straf- und Zivilsenate des BGH unübersichtlich geworden (vgl. BGH, NJW 1995, 204; NJW 2003, 1588), was zu einer unerträglichen Rechtsunsicherheit führte. Die getroffen Entscheidung des 2. Strafsenats zusammen mit der 2009 verabschiedeten gesetzlichen Neuregelung der Patientenverfügung schafft endlich Klarheit, da nunmehr Behandlungsabbruch anhand klar definierter Kriterien bestimmt werden kann. Insbesondere hängt die Entscheidung über die Strafwürdigkeit nicht mehr von einer für den Laien oftmals nur schwer nachvollziehbaren Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen ab.