OLG Frankfurt am Main 5 U 29/10
Keine ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung beim Kauf der Dresdner Bank durch Commerzbank

15.02.2011

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Frankfurt am Main
07.12.2010
5 U 29/10
DB 2010, 2788

Leitsatz | OLG Frankfurt am Main 5 U 29/10

Es gibt keine "ungeschriebene" Zuständigkeit der Hauptversammlung für den Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen, wenn der Gesellschaftsvertrag einer AG eine sog. "Konzernöffnungsklausel" enthält, die zu allen Geschäften und Maßnahmen berechtigt, die geeignet sind, den Gesellschaftszweck – insbesondere durch den Erwerb von Beteiligungen – zu fördern. Der Beteiligungserwerb stellt dann eine vorstandsautonome Geschäftsführungsangelegenheit dar.

Sachverhalt | OLG Frankfurt am Main 5 U 29/10

In dem vorliegenden Fall ging es um den Erwerb der Dresdner Bank durch die Commerzbank. Diese Absicht hatte die Commerzbank am 31.08.2008 bekannt gegeben. Im ersten Schritt sollten 60,2 % der Anteile von der Allianz erworben werden und die Dresdner Bank danach mit der Commerzbank verschmolzen werden. Diese Vereinbarung zwischen der Commerzbank und der Allianz wurden damals weder vorab, noch auf der streitgegenständlichen Hauptversammlung im vollen Wortlaut bekannt gegeben. Die Übernahme wurde ohne Zustimmung der Hauptversammlung vollzogen. In Folge der Krise an den Finanzmärkten mussten die Verträge nachgebessert werden. Der Verschmelzungsvertrag wurde ohne Beteiligung der Hauptversammlung am 27.03.2009 beurkundet und die Verschmelzung am 11.05.2009 eingetragen. Auf der am 16./16.05.2009 stattfindenden Hauptversammlung der Commerzbank legten die Kläger Widerspruch gegen die Beschlüsse zur Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 2008 ein. In dem darauf folgenden Verfahren vor dem LG Frankfurt a.M. griffen sie die Entlastung an, weil sie den Kauf der Dresdner Bank durch die Commerzbank als unter unrechtmäßigen Voraussetzungen erfolgt ansahen. Die Aktionäre bemängelten, dass die Übernahme ohne Zustimmung der Hauptversammlung vonstatten gegangen sei. Die Aktionäre hatten dabei neben Formfehlern bei der Einladung zur Hauptversammlung insbesondere die Nichtigkeit der Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats geltend gemacht. Der Entlastung stehe – neben zahlreichen Informationsrechtsverletzungen durch unzureichende Beantwortung gestellter Fragen – in erster Linie entgegen, dass bei der Übernahme der Dresdner Bank der Vorstand die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht beachtet habe. Die Übernahme habe zu einer wirtschaftlichen Schieflage der Commerzbank geführt und die Insolvenz sei nur durch den Einstieg des staatlichen Rettungsfonds SoFFin (Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung) abgewendet worden. Zuletzt fehle es an der notwendigen Zustimmung der Hauptversammlung zur Übernahme der Dresdner Bank. Das LG Frankfurt a.M. gab der Klage der Aktionäre statt. Die daraufhin eingelegte Berufung der Commerzbank war erfolgreich.

Entscheidung | OLG Frankfurt am Main 5 U 29/10

Die Aktionäre der Commerzbank sind mit ihren Klagen gegen die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat gescheitert. Das OLG führt aus, dass die von den Aktionären gegen die Beschlüsse der Hauptversammlung 2009 vorgebrachten Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe nicht durchgreifen. In dem vorliegenden Fall habe keine „ungeschriebene“ Zuständigkeit der Hauptversammlung bestanden. Rechtsprechung und Literatur sehen einen solchen sog. „Holzmüller-Fall“ gegeben, wenn das Handeln des Vorstandes zwar durch seine Vertretungsmacht, die Satzung und die im Innenverhältnis gem. § 82 Abs. 2 AktG begrenzte Geschäftsführungsbefugnis zwar formal noch gedeckt ist, die Maßnahme aber so tief in die Mitgliedschaftsrechte und Vermögensinteressen der Aktionäre eingreift, dass diese Auswirkungen an die Notwendigkeit einer Satzungsänderung heranreichen. In einem solchen Fall muss die Hauptversammlung mitentscheiden. Der Beteiligungserwerb falle aber im vorliegenden Fall in die Reihe vorstandsautonomer Geschäftsführungsangelegenheiten, da die Satzung eine sogenannte «Konzernöffnungsklausel" enthalte, die zu allen Geschäften und Maßnahmen berechtige, die geeignet seien, den Gesellschaftszweck zu fördern, insbesondere auch durch den Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen. Das OLG geht nicht davon aus, dass dem Vorstand und Aufsichtsrat vorgeworfen werden könne, dass sie die bei der Ausübung des unternehmerischen Ermessensspielraums zu beachtenden Sorgfaltspflichten verletzt haben. Der ursprünglich vereinbarte Kaufpreis sei mit rund 8,8 Milliarden Euro jedenfalls nicht eindeutig unangemessen gewesen und daher vom unternehmerischen Ermessen gedeckt. Die Entlastungsbeschlüsse seien auch nicht aufgrund unrichtiger, unvollständiger oder verweigerter Erteilung von Informationen nichtig. Auf der Hauptversammlung seien alle streitbefangenen Fragen der Aktionäre hinreichend beantwortet worden.

Praxishinweis | OLG Frankfurt am Main 5 U 29/10