OLG Köln 2 U 46/09
Keine Sittenwidrigkeit eines Behindertentestamentes sowie eines Pflichtteilsverzichtsvertrags

04.02.2011

Notizen zur Rechtsprechung

Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Fundstelle:

OLG Köln
09.12.2009
2 U 46/09
ZEV 2010,85

Leitsatz | OLG Köln 2 U 46/09

1. Eine Verfügung von Todes wegen, mit der Eltern ihr behindertes, durch den Sozialhilfeträger unterstütztes Kind nur als Vorerben auf einen den Pflichtteil kaum übersteigenden Erbteil einsetzen, bei seinem Tod ein anderes Kind als Nacherben berufen (sog. Behindertentestament), verstößt nicht gegen die guten Sitten.

2. Ein vom behinderten Kind mit seinen Eltern lebzeitig abgeschlossener Pflichtteilsverzichtsvertrag ist auch nicht im Falle des Bezugs von Sozialleistungen sittenwidrig (Leitsätze des Gerichts).

Sachverhalt | OLG Köln 2 U 46/09

Aus der Ehe des Bekl. und seiner verstorbenen Ehefrau (E) gingen drei Kinder hervor. Am 6.11.2006 errichteten die Eheleute ein sog. Behindertentestament, indem sich die Eheleute gegenseitig als Alleinerben einsetzten. Als Schlusserben des Längstlebenden wurden die weitere Tochter und der Sohn zu je 83/200 sowie die lernbehinderte Tochter (T) zu 34/200 als Vorerbin ohne Befreiung von den gesetzlichen Beschränkungen der §§ § 2113 ff. BGB bestimmt. Zugleich wurden Dauertestamentsvollstreckung hinsichtlich des der T anfallenden Erbteils angeordnet und der Bruder der T zum Testamentsvollstrecker sowie für den Fall des Todes der T als Nacherbe bestimmt. Im Anschluss an die Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments verzichteten T sowie ihre Geschwister durch notariell beurkundeten Pflichtteilsverzichtsvertrag auf die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen nach dem Erstversterbenden. Der Kl. gewährt der lernbehinderten T, die nicht unter gerichtlicher Betreuung steht, seit 1992 Eingliederungshilfe gemäß §§ SGB XII § 53 ff. SGB XII. Im Jahre 2007 wurde die Leistung als erweiterte Hilfe nach § SGB XII § 19 Abs. SGB XII § 19 Absatz 5 SGB XII umgestellt. Mit Bescheid vom 30. 4. 2008 leitete der Kl. gemäß § SGB XII § 93 Abs. SGB XII § 93 Absatz 1 Satz 1 SGB XII sowohl den Pflichtteils- als auch den Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB der T aus dem Erbfall nach E über und nimmt den Ehemann als Erben seiner verstorbenen Ehefrau (E), aus übergeleitetem Recht im Wege der Stufenklage auf Auskunft und Zahlung aus streitigem Pflichtteilsrecht der T in Anspruch. Das LG hat die Klage abgewiesen. Auch die Berufung des Kl. Hat in der Sache keine Erfolg:

Entscheidung | OLG Köln 2 U 46/09

1. Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Behindertentestaments Es bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute. Der Inhalt des Testaments der Eheleute – Enterbung der Kinder nach dem Erstversterbenden; Anordnung einer nicht befreiten Vorerbschaft nach dem Letztversterbenden – ist nicht sittenwidrig. Die von den Ehegatten gewählte Konstruktion entspricht im Wesentlichen dem gesetzlich anerkannten Berliner Testament
(§ 2269 BGB) und unterliegt daher keinen rechtlichen Bedenken. Eine Sittenwidrigkeit des gemeinschaftlichen Testaments ergibt sich auch nicht daraus, dass die Eltern ihre Tochter nach dem Tode des Letztversterbenden nur als nicht befreite Vorerbin eingesetzt haben und durch diese Anordnung das Vermögen dem Zugriff des Sozialhilfeträgers entzogen wird. Grundsätzlich steht jedem Erblasser als Ausfluss der Testierfreiheit das Recht zu, über sein Vermögen nach dem Tod nach Belieben zu verfügen, so dass letztlich die Nachrangigkeit der Sozialhilfe mit der bestehenden Testierfreiheit abzuwägen ist. Insoweit wird z. T. von der Rechtsprechung (LG Flensburg, NJW 1993, 1866; LG Konstanz, FamRZ 1992, 360) und der Literatur (Armbrüster/MüKo-BGB, 5. Aufl. 2006, § 138 Rn. 45; Damrau, ZEV 1998, 1) es als sittenwidrig angesehen, wenn der Erblasser, zu dessen pflichtteilsberechtigten Angehörigen ein Empfänger von Sozialhilfe zählt, Zuwendungen an diese Person so gestaltet, dass diese nicht dem Zugriff des Sozialhilfeträgers ausgesetzt sind. Demgegenüber geht die wohl h. M. davon aus, dass eine Verfügung von Todes wegen, mit der Eltern ihr behindertes, auf Kosten der Sozialhilfe untergebrachtes oder unterstütztes Kind nur als Vorerben auf einen den Pflichtteil kaum übersteigenden Erbteil einsetzen, nicht sittenwidrig ist, selbst wenn durch diese Konstruktion der Träger der Sozialhilfe keinen Kostenersatz erlangen kann (BGH NJW 1990, 2055; BGH ZEV 1994, 35, NJW 1994, 248). 2. Wirksame Überleitung der Pflichtteilsansprüche der T T ist im Testament der E enterbt worden und somit grundsätzlich pflichtteilsberechtigt. Damit steht ihr dem Grunde nach auch ein Anspruch auf Wertermittlung nach § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB zu. Diese Ansprüche kann nunmehr der Kl. als Sozialhilfeträger – wie mit Bescheid vom 30.04.2008 geschehen – überleiten und geltend machen, ohne dass es auf eine Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten selbst ankommt (BGH ZEV 2005, 117). 3. Wirksamer Pflichtteilsverzicht der T Da T aber ihrerseits wirksam zu Lebzeiten auf ihren Pflichtteilsanspruch verzichtet hat, kann der Kl. keinen Pflichtteilsanspruch geltend machen. Insbesondere bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit der T. Auch ist der von E mit T abgeschlossene Pflichtteilsverzichtsvertrag unter den vorliegenden Umständen nicht sittenwidrig. Zwar wird teilweise in der Rechtsprechung (OLG München ZEV 2006, 313 für einen Erbverzichts- und Abfindungsvertrag; VGH Mannheim NJW 1993, 2953 für einen Pflichtteilsverzicht) in Anlehnung an die für die Sittenwidrigkeit von Unterhaltsverzichtsverträgen zwischen Ehegatten entwickelten Grundsätze die Auffassung vertreten, ein Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht sei zumindest dann sittenwidrig, wenn der Verzichtende sowohl im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts als auch im Zeitpunkt des Erbfalls hilfebedürftig ist und den Beteiligten dies bekannt war. Demgegenüber neigt die wohl h. M. in Literatur und Rechtsprechung – der sich der Senat anschließt – dazu, einen zwar während des Bezugs von nachrangigen Sozialleistungen, aber vor Eintritt des Erbfalls erklärten Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht nicht als sittenwidrig anzusehen, da insoweit beim Pflichtteilsverzicht im Gegensatz zum Unterhaltsverzicht lediglich eine bloße Erwerbschance besteht (Vaupel, RNotZ 2009, 497).

Praxishinweis | OLG Köln 2 U 46/09