Stärkung des Vereinsvorstandes in der Corona-Krise

19.03.2021

 

Der massive Anstieg der Infektionen mit dem Coronavirus hat bundesweit dazu geführt, dass das wirtschaftliche, kulturelle aber auch gesellschaftliche Leben in Deutschland nahezu zum erliegen gekommen ist. Die in Deutschland verbreitete und viel gelobte Organisation der Freizeit aber auch des sportlichen, des gesellschaftlichen, des gemeinnützigen und des generell sozialen Engagements in Vereinen hat in besonderem Maß unter den pandemiebedingten Umständen zu leiden. Das Vereinsengagement ist im Regelfall auf Veranstaltungen in Präsenz, den persönlichen regelmäßigen Kontakt und zeitweise natürlich auch den physischen Wettkampf in Sportvereinen ausgerichtet. Zu beachten ist, dass die Mitgliederstruktur vieler Vereine auch ein hohes Maß an älteren Mitgliedern umfasst. Oft sind es gerade diese, die einen Verein mit ihrer Erfahrung und ihrem Engagement in ihrer Freizeit tragen. Während bei manchen Vereinen die Umstände die Digitalisierung vorangetrieben haben, indem beispielsweise organisierte Vortragsabende in den digitalen Raum verlegt worden sind, ist für Vereine, die zwingend auf Präsenz angewiesen sind, der Normalbetrieb derzeit nicht möglich. Unabhängig von der Gefahr des Mitgliederschwundes und des Einbruchs von Mitgliedsbeiträgen im Verhältnis zu konstanten Grundkosten sind die Vereinsvorstände nur selten mit Juristen besetzt, eine eigene Abteilung für Rechtsangelegenheiten nahezu nie vorhanden und die Kosten für regelmäßige rechtliche Beratung im Regelfall nicht zu stemmen. Für die Vereinsvorstände, die im Regelfall in ihrer Freizeit ehrenamtlich den Verein führen, bleibt neben den benannten Unwägbarkeiten, der Schaffung von präsenzlosen Alternativprogrammen und der generellen Aufrechterhaltung des Vereinslebens nunmehr noch die rechtliche Ungewissheit, wie während der Corona-Pandemie die Pflichten des Vorstandes gegenüber dem Verein fortbestehen und welche rechtlich notwendigen Schritte bei der Vereinsführung weiterhin durchzuführen sind.

Vor diesem Hintergrund wurde am 27.03.2020 das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht im Bundestag beschlossen, das in Art. 2 mit dem Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie in § 5 befristete Neuregelungen zur Lösung rechtlicher Problemkonstellationen für Vereine in Zeiten der Corona-Krise vorsah. Diese Regelungen waren zwar zunächst wichtiger Natur, gewährleisteten aber keine vollumfängliche Anpassung an die veränderten Umstände und trugen nur in Teilen der Situation Rechnung, dass viele Vereine auf nun erforderliche digitale Verfahrensabläufe nicht eingestellt gewesen sind (vgl. unten).

Mit Beschluss des Bundestages vom 22.12.2020 sind die nun erforderlichen und rechtliche Unsicherheiten beseitigenden, ergänzenden Regelungen zum 28.02.2021 in Kraft getreten.

1. Bisherige Rechtslage

Besonders schwierig ist mit Ablauf des Jahres 2020 und der einhergehenden Kontaktbeschränkungen die Verpflichtung der Vorstände zur Einberufung der Mitgliederversammlung zu beurteilen. Die Mitgliederversammlung als höchstes Organ des Vereins (§ 32 Abs. 1 BGB) ist gemäß § 36 BGB in den in der Satzung bestimmten Fällen, jedenfalls aber soweit das Interesse des Vereins dies erfordert, einzuberufen. Im Regelfall sind in der Satzung enumerativ aufgeführte Einberufungsgründe geregelt.

Bei dem weit überwiegenden Anteil der Vereine in Deutschland, ist in der Satzung die Mitgliederversammlung als Präsenzveranstaltung geregelt. Nur ein geringer Teil hatte bisher die Möglichkeit genutzt, in der Satzung die Mitgliederversammlung in elektronischer Form stattfinden zu lassen. Durch § 5 Abs. 2 Nr. 1 CovMG ist abweichend die Möglichkeit der elektronischen Mitgliederversammlung während der COVID-19-Pandemie auch ohne entsprechende Satzungsbestimmung geschaffen worden. Diese Möglichkeit ist ins Ermessen des Einberufungsorgans gestellt worden. Für die Vorstände galt es nunmehr zu beurteilen, ob sie ihre aus der Organstellung resultierenden Pflichten gegenüber dem Verein verletzen, wenn trotz Vorlage der Einberufungsgründe (z.B. mindestens einmal jährlich bis zum 30.11) eine Einberufung nicht vorgenommen worden ist.

Nach der bisherigen Rechtslage ist die satzungsbedingte Einberufungsverpflichtung des Vereinsvorstandes zur ordentlichen Mitgliederversammlung und die damit verbundene Durchführung nicht durch die COVID-19-Pandemie erloschen. Der Gesetzgeber hatte mit Art. 2
§ 5 CovMG und der damit einhergehenden Regelung der Möglichkeit einer virtuellen Mitgliederversammlung (§ 5 Abs. 2 S. 1 CovMG) eine Alternative zur Präsenzveranstaltung geschaffen. Diese Regelung ist durch Verordnung vom 16.10.2020 bis zum 31.12.2021 verlängert worden. Eine Regelung der Aussetzung der Einberufungspflicht hatte der Gesetzgeber hingegen bisher nicht geregelt. Nach den vormals in der Literatur vertretenen Auffassungen sollte die Aussetzung der Einberufungspflicht (§ 36 BGB) nur ausnahmsweise aufgrund von COVID-19 zulässig sein. Diese Ausnahme sollte nur unter Vorlage nachstehender kumulativer Voraussetzungen gegeben sein.

Insoweit bestand die Pflicht zur Einberufung der Mitgliederversammlung ausnahmsweise aufgrund von COVID-19 in Anwendung von § 313 BGB in einer umfassenden Abwägung der Interessen nicht, wenn:

  • Eine Präsenzveranstaltung wegen der COVID-19-Pandemie unzulässig ist; unter Berücksichtigung der Mitgliederstruktur mit hohen Risiken bzw. unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist;
  • die Durchführung einer virtuellen Mitgliederversammlung unter Berücksichtigung der Mitgliederstruktur mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist;
  • keine unaufschiebbaren Entscheidungen anstehen, die nicht im Umlaufverfahren getroffen werden können;
  • die Amtszeit aller Vorstandsmitglieder unabhängig von § 5 Abs. 1 CovMG oder einer vergleichbaren Satzungsbestimmung bis zur nächsten Mitgliederversammlung fortbesteht;
  • und der Vorstand anderweitig für die hinreichende Information der Mitglieder sorgt.

Eine entsprechende Antwort des BMJV ließ verlauten, dass die Regelung § 5 Abs. 3 CovMG mit Blick auf kleinere Vereine getroffen worden sei. Es stand insoweit zu befürchten, dass insbesondere großen Vereinen mit einer Vielzahl an Mitgliedern und einer deutlich stärkeren Finanzlage eine virtuelle Mitgliederversammlung unter Beachtung der finanziellen Kosten, dem personellen und technischen Aufwand zumutbar sei und sich hieraus gerade kein Ausschluss der Verpflichtung zur Einberufung für den Vorstand des Vereins ergäbe.

Bei der Einberufungspflicht handelt es sich um eine Pflicht gegenüber dem Verein. Entsprechend wäre eine Erzwingung nicht durch Klage einzelner Mitglieder gegen den Vorstand, sondern gemäß § 37 BGB möglich. Demnach ist die Mitgliederversammlung auf Verlangen von 10 % der Mitglieder einzuberufen. Soweit diesem Verlangen nicht nachgegeben wird, kann das zuständige Amtsgericht den beteiligten Mitgliedern die Ermächtigung zur Einberufung aussprechen.

Der Verstoß gegen die satzungsbedingte, terminierte Einberufungspflicht würde sich allerdings nicht auf die Wirksamkeit der bei einer verspäteten Mitgliederversammlung ergangenen Beschlüsse auswirken. Der Satzungsverstoß seitens des Vorstands hätte allenfalls eine Schadensersatzpflicht gegenüber dem Verein zur Folge gehabt, soweit dem Verein durch die Pflichtverletzung, die der Vorstand zu vertreten gehabt hätte, ein kausaler Schaden entstanden wäre. Ob sich dann tatsächlich mögliche Ansprüche gegen den Vorstand seitens des Vereins ergeben hätten, hinge maßgeblich davon ab, ob ein Schaden durch die Verschiebung über den 30.11.2020 hinaus überhaupt entstanden wäre und ob der Vorstand das Verschieben zu vertreten gehabt hätte. Hier hätte stets Beachtung finden müssen, dass die Möglichkeit der virtuellen Mitgliederversammlung bei ordnungsgemäßer Einberufung im Einzelfall hätte gegeben sein müssen. Eine entsprechende Entscheidung des Vorstands, entgegen der Verpflichtung in der Satzung die Mitgliederversammlung zu verschieben, wäre somit nur im Einzelfall mit persönlichen Konsequenzen, aber hinsichtlich dieser wegen bisher fehlender Rechtsprechung mit enormen Unsicherheiten verbunden gewesen.

Auf die Wirksamkeit anstehender Beschlüsse bei der nächsten Mitgliederversammlung hat dieser Satzungsverstoß jedoch keine Auswirkungen (§ 243 AktG analog).

Für den Fall der Verlegung war für amtierende Vorstände auch von Interesse, ob die nunmehr ausgefallene Mitgliederversammlung mit einer in der Zukunft stattfindenden zusammengelegt werden könnte, wenn in der Satzung (wie zumeist üblich) die Einberufungsverpflichtung jährlich bestünde. In der Satzung oder im Gesetz sind mögliche Zusammenlegungen von Mitgliederversammlungen im Regelfall nicht vorgesehen. Konkret in Frage steht insoweit, ob ausnahmsweise pandemiebedingt eine Zusammenlegung möglich ist. Zweck und Aufgaben der ordentlichen Mitgliederversammlung sind insbesondere Kontrolle, Entlastung und Wahl der Gremien sowie Satzungsänderungen und andere, sich aus der Allzuständigkeit ergebende Rechte. Diese Rechte sollen durch regelmäßige - hier dann jährliche -, ordentliche Mitgliederversammlung sichergestellt werden.

Indes ergibt sich in der Regel kein Hinweis aus der Satzung auf die Unzulässigkeit der ausnahmsweisen Zusammenlegung der Inhalte der Mitgliederversammlungen 2020 und 2021. Zwar wird der Satzungsgeber im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses eine pandemiebedingte Aussetzung nicht bedacht haben. Eine Nachholung der Mitgliederversammlung 2020 setzt aber nicht zwingend voraus, dass diese terminlich losgelöst von der Mitgliederversammlung 2021 erfolgen muss. Allerdings wäre ein Termin sehr spät im zweiten Jahr bei jährlicher Verpflichtung mit obenstehenden Argumenten bedenklich. Das Prüfungsrecht des Vereinsregisters von Amts wegen bei der Anmeldung zum Vereinsregister umfasst jedenfalls nicht die Prüfung, ob satzungskonform in jedem vergangenen Jahr eine Mitgliederversammlung stattgefunden hat.

Nach der alten Rechtslage sind die Verpflichtungen des Vorstandes rechtlich nicht hinreichend geklärt gewesen. Vielmehr liefen Vorstände Gefahr sich selbst einem entsprechenden Haftungsrisiko im Einzelfall auszusetzen. Entsprechend wäre aus Vorsichtsgründen jedem Vorstand anzuraten gewesen, die Mitgliederversammlung ohne Rücksicht auf ältere, digital unerfahrene Mitglieder in jedem Fall elektronisch durchzuführen.

2. Modifizierte Rechtslage

Diesen Unwägbarkeiten hat der Gesetzgeber mit ergänzenden Regelungen des § 5 Abs. 2a) und 3a) CovMG nunmehr Rechnung getragen und die Handlungsmodalitäten des Vorstandes auf ein neues Fundament gestellt.

Die Einberufungspflicht des Vorstandes wird ausnahmsweise ausgesetzt, wenn

  • die Mitglieder sich nicht an einem Ort versammeln dürfen
  • und die Durchführung der Mitgliederversammlung im Wege elektronischer Kommunikation für den Verein oder die Vereinsmitglieder unzumutbar ist.

Diese Voraussetzungen müssen entsprechend dem Wortlaut der Norm kumulativ vorliegen.

Erforderlich ist folglich das Verbot z.B. durch die zuständige Behörde oder durch Rechtsnorm sich als Mitgliederversammlung versammeln zu dürfen. Dies wird bereits dann erfüllt sein, wenn die Beschränkung der Anwesenheitszahl durch die Behörde auf 50 Personen bei z.B. 200 Mitgliedern erfolgt ist, denn jedem Mitglied ist die Wahrnehmung seiner Mitgliedsrechte einzuräumen. Es muss somit kein absolutes Verbot der Versammlung vorliegen, sondern eine Beschränkung kann bereits ausreichend sein.

Darüber hinaus müsste die gesetzlich eingeräumte Alternative der virtuellen Hauptverhandlung allerdings für den Verein oder die Vereinsmitglieder unzumutbar sein. Einschlägige Rechtsprechung ist hier noch nicht ergangen. Eine Unzumutbarkeit könnte jedoch anzunehmen sein, wenn der organisatorische oder finanzielle Aufwand in keinem Verhältnis zum Erfordernis der Abhaltung der Mitgliederversammlung im konkret geforderten Zeitpunkt stehe. So wird man von einem kleinen Verein mit einer geringen Mitgliederzahl (davon ggf. noch viele ältere Personen ohne digitale Erfahrungen), sofern keine unmittelbar dringenden zu regelnden Themen anstehen, davon ausgehen können, dass die Beauftragung eines kostspieligen Dienstleisters zur Durchführung einer virtuellen Mitgliederversammlung für den Verein unzumutbar sein könnte.

Bei größeren Vereinen mit einer hohen Mitgliederanzahl wird man indes regelmäßig davon ausgehen können, dass aufgrund eines erhöhten Kapitalaufkommens (z.B. durch Mitgliedsbeiträge einer hohen Zahl von Mitgliedern), gefestigten Vereinsstrukturen z.B. mit eigenen festangestellten Mitarbeitern und größeren Abteilungen eine virtuelle Mitgliederversammlung im Gegensatz zur Präsenzveranstaltung keinen negativ abweichenden finanziellen Auswirkungen hat. Hier muss allerdings immer im konkreten Einzelfall eine Abwägung der Unzumutbarkeit vorgenommen werden. Grundsätzlich gehen die Verfasser davon aus, dass eine virtuelle Mitgliederversammlung durch organisatorische Maßnahmen regelmäßig möglich und zumutbar sein kann. Ältere, digital unerfahrene Mitglieder können in einem digitalen Probelauf geschult oder bei Einladung auf Unterstützungsmöglichkeiten hingewiesen werden. Innerhalb der Ladungsfristen gibt es die Möglichkeit sich auf die digitale Mitgliederversammlung mit entsprechenden Hilfsangeboten vorzubereiten. Die Praxis zeigt mit Aktionärsversammlungen und Parteitagen im jeweiligen virtuellen Format, dass virtuelle Mitgliederversammlungen grundsätzlich auch für ältere Personen möglich sind. Der finanzielle Aufwand kann durch Auswahl unter den Plattformanbietern in Grenzen gehalten werden und muss ins Verhältnis zu den Kosten einer Präsenzversammlung gesetzt werden. Hat in den letzten Jahren die Mitgliederversammlung jeweils in Präsenz höhere Unkosten verursacht, als die Lizenz eines entsprechenden Plattformanbieters für virtuelle Mitgliederversammlungen kostet, wird man eine Unzumutbarkeit mit finanziellen Argumenten nicht stützen können.

3. Fazit

Die Neuregelung der Aussetzung der Pflicht zur Einberufung der Mitgliederversammlung war ein ungemein wichtiger Schritt, um Rechtsklarheit für die betroffenen Vorstandsmitglieder zu schaffen. Darüber hinaus ist die Regelung aber auch aus praktischer Sicht erforderlich, um das Ehrenamt und die Überlebensfähigkeit der Vereinskultur in Deutschland zu sichern. Relevant wird die neu geschaffene Vorschrift an derselben Stelle wie die vormalige Diskussion zur Einberufungspflicht. Konkret spielt die Musik immer noch in den etwaigen Haftungsansprüchen gegen den Vorstand, der eine Mitgliederversammlung entgegen den Satzungsvorschriften nicht einberufen hat. Allerdings wird die Problematik nun vorgezogen. Ist vorher für das Bestehen oder Nichtbestehen von Haftungsansprüchen entscheidend gewesen, ob der Vorstand die Pflichtverletzung der Nichteinberufung zu verschulden hatte, ist nunmehr mit der Neuregelung schon in der Prüfung der Pflichtverletzung selbst die Möglichkeit geschaffen worden, Haftungsansprüche des Vorstandes zu verneinen. Aufwind in der Argumentationsstruktur für die Vereinsvorstände bei Nichteinberufung bringt die Neuregelung allemal, denn es kann maßgeblich mit dem gesetzgeberischen Willen argumentiert werden, dass Vorstände entlastet werden. Zudem bietet die Norm die Möglichkeit, entscheidenden Vortrag zu bringen, aus welchen Gründen eine virtuelle Mitgliederversammlung nicht zumutbar sei. Die Diskussion ist nunmehr jedenfalls auf eine ordentliche Grundlage gestellt worden.