Ist die Corona-Krise ein Fall höherer Gewalt?

10.05.2020

 

Begriffsbestimmung: Force Majeure / höhere Gewalt

„Force Majeure“ ist der im internationalen Rechtsverkehr gebräuchliche Begriff für die im deutschen Rechtsverkehr übliche Bezeichnung „höhere Gewalt“ (→ höhere Gewalt). Viele Verträge über Dauerschuldverhältnisse, aber auch Unternehmenskaufverträge (→ Unternehmenskaufvertrag) und zum Teil auch Allgemeine Geschäftsbedingungen (→ Allgemeine Geschäftsbedingungen) enthalten derartige Klauseln zur höheren Gewalt / force majeure. Zur Definition → höhere Gewalt. Inwieweit die derzeitige COVID-19-Pandemie / Corona-Krise ein Fall höherer Gewalt darstellt, ist unklar. In einem Erlass vom 23.03.2020 geht das Bundesministerium des Inneren für Bau und Heimat davon aus, dass es sich bei der durch COVID-19 ausgelösten Infektionswelle um eine → Pandemie handelt und dies einen Fall höherer Gewalt auslösen kann. Als höhere Gewalt wurden bisher besondere Naturereignisse, Krieg, hoheitliche Anordnungen, aber auch Seuchen, Epidemien und Pandemien angesehen. Aktuellere Gerichtsentscheidungen gibt es insoweit nur wenige. Zum sog. SARS-Virus vgl. AG Augsburg v. 09.11.2004 – 14 C 4608/03, BeckRS 2004, 16212 und zur Cholera vgl. AG Homburg v. 02.09.1992 – 2 C 1451/92-18, VuR 1992, 313.

Kann die Corona-Pandemie als höhere Gewalt angesehen werden?

Der jetzige Ausbruch / Die jetzige Verbreitung des Corona-Virus‘ wird auch von der WHO (World Health Organisation) und dem Robert-Koch-Institut als Pandemie eingestuft. Die Bundesregierung hat die jetzige Situation bereits am 10. März 2020 als Epidemie bezeichnet und im COVID-19-Pandemie-Gesetz als Pandemie qualifiziert. Natürlich gibt es noch keine Gerichtsentscheidung, die die jetzige Situation als einen Fall höherer Gewalt definiert. Vieles spricht dafür, dass die COVID-19-Pandemie einen Fall höherer Gewalt darstellen kann. Das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat sieht im Erlass vom 23.03.2020 die durch das Corona-Virus ausgelösten Pandemie als einen möglichen Fall höherer Gewalt an.

Rechtsfolgen und Dokumentation

 

Dies könnte für die Vertragsbeteiligten dazu führen, dass sie vorübergehend von ihrer Leistungspflicht befreit sind und sich Leistungspflichten, zum Beispiel Herstellungsfristen etc., verlängern können. Wichtig ist es aber, dass keine Partei schlicht durch das Berufen auf die Pandemie und ohne Weiteres sich auf eine Verlängerung der Leistungspflichten oder gar einen Wegfall der Leistungspflichten berufen kann. Vielmehr ist es jetzt Aufgabe jedes Leistungsverpflichteten, detailliert darzulegen, aus welchen Gründen die jetzige Pandemie zu einer Einschränkung der Leistungspflicht oder einer Suspendierung der Leistungspflicht geführt hat.

Bauvertrag

Der Bauunternehmer muss zum Beispiel nachweisen, ob und wie viele Angestellte nicht mehr arbeiten konnten, inwieweit Subunternehmer nicht mehr zur Verfügung standen oder bestimmtes Material nicht mehr geliefert werden konnte. Es empfiehlt sich eine sehr detaillierte Dokumentation, um hier Schadensersatzansprüchen der anderen Vertragsseite aus dem Weg zu gehen.

Bauträgervertrag

Die bei uns abgeschlossenen Bauträgerverträge enthalten regelmäßig hinsichtlich der Fertigstellungsfrist (→ Fertigstellungsfrist) eine Regelung, nach der die Leistungspflicht des Verkäufers, und ganz konkret die Fertigstellungsfrist, in einem Fall höherer Gewalt sich um den Zeitraum der höheren Gewalt verlängert. Kein Unternehmer wird sich aber hier ganz allgemein darauf berufen können, dass beispielsweis ab der zweiten Märzwoche 2020 höhere Gewalt vorlag.

Im Übrigen sollte jeder Leistungsverpflichtete seine Verträge daraufhin überprüfen, ob sog. force majeure-Klauseln zur höheren Gewalt im Vertrag enthalten sind. Sodann ist zu prüfen, welchen Regelungen der Vertrag trifft und ob er insbesondere Pandemie mit einbezieht. Ist dies der Fall, muss untersucht werden, welche Rechtsfolgen für den Fall der Pandemie im Vertrag getroffen wurden und es ist die o.g. Dokumentation anzulegen.

Unternehmenskaufvertrag

 

Unternehmenskaufverträge (→ Unternehmenskaufvertrag) enthalten häufig sog. force majeure-Klauseln. Beim bereits abgeschlossenen Unternehmenskaufvertrag kann dies Auswirkungen für die Frage nach der Suspendierung der Leistungspflichten von Käufer und Verkäufer haben. Kaufpreisanpassungsklauseln, z.B. durch Earn-Out-Klauseln, sind darauf hin zu untersuchen, welchen Einfluss höhere Gewalt hier hat. Dies kann nicht generell beantwortet werden. Enthält der Vertrag eine Regelung, dass beispielsweise der Verkäufer noch eine bestimmte Frist das Unternehmen im bisherigen Umfang fortzuführen hat, so kann seine Verpflichtung für die Zeit der höheren Gewalt / force majeure suspendiert sein.

Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)

Sind in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sog. force majeure-Klauseln bzw. Klauseln zur höheren Gewalt enthalten, so ist zunächst zu untersuchen, ob die Allgemeinen Geschäftsbedingungen wirksam in den Vertrag einbezogen wurden und ob sie wirksam sind.

Wegfall der Geschäftsgrundlage

Letztlich ist im Fall einer sog. force majeure- / höheren Gewalt zu überprüfen, inwieweit die Geschäftsgrundlage für den Vertrag weggefallen ist oder anzupassen ist (→ Wegfall der Geschäftsgrundlage). Das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB kommt dann in Betracht, wenn das Vorliegen oder Nichtvorliegen bestimmter Umstände eine Geschäftsgrundlage eines Vertrages ist. Ist dies zu bejahen, muss im nächsten Schritt überprüft werden, inwieweit der Wegfall oder das Vorhandensein dieses Umstands der Risikosphäre eines der Vertragspartner zuzurechnen ist. Im letzten Schritt ist bei Bejahung der beiden vorgenannten Fragen zu prüfen, ob die Vertragspflichten anzupassen sind oder gänzlich wegfallen. Im Fall einer Pandemie kann das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage dazu führen, dass die Vertragspflichten, insbesondere was die Fristen betrifft, anzupassen sind. Eher selten wird die Leistungspflicht gänzlich entfallen. Dies kann aber dann der Fall sein, wenn z.B. die Abnahme der Leistung nach Ablauf der Frist nicht mehr zumutbar ist.