Covid-19-Pandemie: Gesetzliche Vermutung greift zugunsten von Gewerberaummietern

23.04.2021

 

Als Reaktion auf die Pandemie und die infolge der behördlichen Verbote für Gewerbetreibende aufkommenden Fragen im Bereich des gewerblichen Miet- und Pachtrechts hat der Gesetzgeber zum 31.12.2020 den Art. 240 EGBGB um einen weiteren § 7 ergänzt.

Dieser lautet wie folgt:

(1) Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.

(2) Absatz 1 ist auf Pachtverträge entsprechend anzuwenden.

Die Neuregelung stellt damit eine gesetzliche Vermutung auf, die dem gewerblichen Mieter oder Pächter im Falle pandemiebedingt eingeschränkter Nutzungsmöglichkeit der überlassenen Räumlichkeiten und unter weiteren Voraussetzungen die Rechte aus § 313 BGB eröffnet.

Es handelt sich hierbei um eine widerlegliche Vermutung, die gem. § 292 ZPO auch im Prozess greift, sofern nicht der Beweis des Gegenteils erbracht wurde.

Schwerwiegende Veränderung von Umständen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind („Reales Element“)

Grundsätzlich gilt der Grundsatz „pacta sunt servanda“ – Verträge sind einzuhalten. § 313 BGB stellt hierzu eine Ausnahme dar. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm, erfordert die Annahme einer Störung der Geschäftsgrundlage iSv. § 313 BGB eine „schwerwiegende Veränderung“ der Vertragsumstände. Genau an diesem Punkt greift die gesetzliche Vermutung des Art. 240 § 7 EGBGB ein und bewirkt damit eine Beweislastumkehr zulasten der Vermieter von Gewerberäumen.

Eine Widerlegung der Vermutung, dass es sich bei der pandemiebedingten hoheitlichen Störung des Geschäftsbetriebs des Gewerberaummieters um eine schwerwiegende Veränderung der Vertragsumstände handelt, ist aber beispielsweise dann möglich, wenn die Parteien in dem Gewerbemietvertrag Vorkehrungen für eine vergleichbare Situation getroffen haben.

So lehnte das LG Heidelberg (Urteil v. 30.07.2020 – 5 O 66/20) eine Vertragspassung über § 313 BGB in einem Fall ab, in dem die Parteien „für den Fall erheblicher Veränderungen der Charakteristik der Verkehrssituation, der Einzelhandelssituation oder Straßenführung in Bezug auf die Erreichbarkeit des Objekts“ ein Sonderkündigungsrecht vorgesehen hatten. Das OLG Karlsruhe (Urteil v. 24.02.2021 – 7 U 109/20) bestätigte die Entscheidung insoweit und hob dabei den Vorrang der mietrechtlichen Gewährleistung und des allgemeinen Leistungsstörungsrechts hervor.

Für die Annahme der Vermutung hat der Gewerberaummieter zunächst darzulegen, dass die Mieträume infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für ihren Gewerbebetrieb nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind.

Greift demnach die gesetzliche Vermutung des Art. 240 § 7 EGBGB, so müssen auch die weiteren Voraussetzungen des § 313 BGB erfüllt sein.

„Hypothetisches Element“ und „Normatives Element“

Gem. § 313 Abs. 1 BGB kann Anpassung des Vertrages nur dann verlangt werden, wenn die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, hätten sie die Veränderungen vorausgesehen (hypothetisches Element) und nur soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann (normatives Element).

Voraussetzung ist, dass der entsprechende Miet- oder Pachtvertrag vor Ausbruch der Pandemie geschlossen wurde, wobei davon auszugehen ist, dass die Parteien, hätten sie die Zukunft vorausgesehen, abweichende Regelungen getroffen hätten. Denn kein verständiger Gewerberaummieter mietet Räumlichkeiten zum Betrieb seines Gewerbes mit dem Wissen, dass er diese infolge behördlicher Verbote nicht nutzen kann.

Das hypothetische Element wird somit regelmäßig zu bejahen sein.

Fraglich ist, inwiefern dem Gewerberaummieter ein Festhalten am unveränderten Vertrag zugemutet werden kann. Als Maßstab ist hier auf die gesetzliche Risikoverteilung und die Umstände des Einzelfalls abzustellen.

Nach § 535 Abs. 1 S. 2 BGB hat der Vermieter die Mietsache dem Mieter in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten. Das Risiko der Verwendung liegt grundsätzlich beim Mieter. So wird der Mieter gem. § 537 Abs. 1 BGB von der Entrichtung der Miete nicht dadurch befreit, dass er durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Ausübung seines Gebrauchsrechts gehindert wird.

Vor dem Hintergrund des Nichtraucherschutzgesetzes entschied der BGH (Urteil v. 13.07.2011 – XII ZR 189/09), dass öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse und Gebrauchsbeschränkungen, die dem vertragsgemäßen Gebrauch eines Pacht- oder Mietverhältnisses entgegenstehen, zwar grundsätzlich einen Mietmangel begründen können.

 

 

 

Voraussetzung sei jedoch, dass die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Pacht- bzw. Mietobjekts in Zusammenhang steht. Andere gesetzgeberische Maßnahmen, die den geschäftlichen Erfolg beeinträchtigen, fielen dagegen in den Risikobereich des Pächters/Mieters.

Da es in Fällen höherer Gewalt jedoch vom Zufall abhängt, welche Partei durch die Folgen am ehesten betroffen ist, erscheint es unbillig, die unvorhergesehenen Risiken ohne Weiteres nur der einen Seite aufzubürden.

Entscheidend ist daher das Kriterium der „Zumutbarkeit“. Die Annahme der Unzumutbarkeit der Mietzahlung im Rahmen von § 313 BGB setzt eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls voraus, bei der unter anderem der Rückgang der Umsätze, mögliche Kompensation durch Online-Handel oder Außer-Haus-Verkauf, öffentliche Leistungen, ersparte Aufwendungen, z.B. durch Kurzarbeit, oder Vermögenswerte durch nicht verkaufte und noch verkaufbare Ware sowie alternative Nutzungsmöglichkeiten, z.B. als Lagerräume, zu berücksichtigen sind (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil v. 24.2.2021 – 7 U 109/20).

Ist dem Gewerberaummieter im Ergebnis das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zumutbar, so folgt hieraus gegebenenfalls ein Anspruch auf Vertragsanpassung durch Herabsetzung der Miete unter Zugrundelegung der Umstände des Einzelfalls.

Fazit

Die Neuregelung in Art. 240 § 7 EGBGB stellt insofern eine wesentliche Erleichterung für Gewerberaummieter dar, sich angesichts der hoheitlichen Pandemiebekämpfungsmaßnahmen auf eine Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen. Sie schafft den gesetzlichen Boden für einen Ausgleich der pandemiebedingten Risiken zwischen Gewerberaummietern und -vermietern und dient insbesondere der Unterstützung selbständiger, kleiner und mittlerer Unternehmen in Zeiten der Krise.

Mit dem ebenfalls zum 31.12.2020 in Kraft getretenen § 44 EGZPO hat der Gesetzgeber zudem ein Vorrang- und Beschleunigungsgebot für entsprechende Verfahren über die Anpassung der Miete oder Pacht für Grundstücke oder Gewerberäume wegen staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie eingeführt. Ob die Gerichte angesichts der voraussichtlich hohen Zahl von Prozessen auf Grundlage des Art. 240 § 7 EGBGB der Herausforderung gewachsen sind, die Verfahren unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots durchzuführen, bleibt jedoch abzuwarten.

 

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