Gesamtvermögensgeschäfte im Personen- und Kapitalgesellschaftsrecht

I.   Einleitung

Gesamtvermögensgeschäfte, also solche bei denen eine Gesellschaft sich zur Übertragung ihres (nahezu) gesamten Vermögens verpflichtet, haben insbesondere im M&A-Kontext eine große Bedeutung. Sie kommen sowohl im Rahmen von Asset- als auch bei Share-Deals vor. Wegen des regelmäßig damit verbundenen Transaktionsvolumens hat Rechtssicherheit hier für die Parteien eine enorme Bedeutung. Dabei stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer Zustimmung der Gesellschafter zum Geschäft, sowie zu Mehrheitserfordernissen einer solchen Zustimmung in Beschlussform.

 

II.  Aktiengesellschaft

1.   § 179a AktG

§ 179a Abs. 1 S. 1 AktG statuiert für die AG ein Zustimmungserfordernis der Hauptversammlung zum Gesamtvermögensgeschäft. Das schuldrechtliche Geschäft der Gesamtvermögensübertragung ist danach schwebend unwirksam bis die Hauptversammlung wirksam einen Zustimmungsbeschluss gefasst hat (BGH, Urt. vom 08.01.2019 – II ZR 364/18 Rn. 10, NZG 2019, 505 f.). Der Beschluss muss ausweislich § 179 Abs. 2 S. 1 AktG, auf den § 179a Abs. 1 S. 1 AktG verweist, mit einer Mehrheit von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals (und zusätzlich der einfachen Stimmenmehrheit, § 133 Abs. 1 AktG) gefasst werden. Die Satzung kann dabei lediglich höhere Mehrheiten festlegen (§ 179a Abs. 1 S. 2 AktG).

 

2.   Merkmal des gesamten Vermögens

Einigkeit herrscht insofern, dass auch Vermögensübertragungen unterhalb der 100 %-Schwelle dem § 179a AktG unterfallen. Im Einzelnen strittig ist jedoch, wie das Tatbestandsmerkmal des gesamten Vermögens auszulegen ist. Es stehen sich dabei qualitative und quantitative Maßstäbe gegenüber. Der Wert der Gegenleistung jedenfalls ist nicht mit einzubeziehen.

In der Holzmüller-Entscheidung (BGH, Urt. v. 25.02.1982 - II ZR 174/80, NJW 1982, 1703) stellte der BGH – neben der Anerkennung einer ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit – fest, dass § 361 AktG aF (die Vorgängernorm von § 179a AktG) nicht einschlägig sei, sofern die Gesellschaft mit dem verbliebenen Vermögen in der Lage ist, die satzungsmäßigen Unternehmensziele zu verfolgen. Im Übrigen hat die in der Entscheidung entwickelte Hauptversammlungszuständigkeit neben § 179a AktG keinen Anwendungsbereich, denn in den Fällen besteht ja gerade eine geschriebene Zuständigkeit. In den Gelatine-Entscheidungen (BGH, Urt. v. 26. 4. 2004 - II ZR 155/02, NJW 2004, 1860; BGH, Urteil v. 26.04.2004 - II ZR 154/02, NZG 2004, 575) äußerte der BGH sich zu § 179a AktG nicht.

Aus der Entscheidung des BGH zur Anwendbarkeit von § 179a AktG auf die Kommanditgesellschaft (BGH, Urt. v. 15.02.2022 – II ZR 235/20, NZG 2022, 706) folgt jedoch, dass der BGH jedenfalls auch eine quantitative Bestimmung des Tatbestandsmerkmals zulassen will. Denn als Argument gegen eine Analogie führt er unter anderem an, dass im Handelsrecht (welches vom Grundsatz der Unbeschränkbarkeit organschaftlicher Vertretungsmacht als „tragendem Prinzip“, so der BGH, geprägt ist) eine Anwendbarkeit des § 179a AktG den Rechtsverkehr besonders intensiv belasten würde. Schließlich, so der BGH, könne ein potenzieller Vertragspartner die Vermögensverhältnisse einer Personengesellschaft aufgrund der eingeschränkten Bilanzpublizität nicht zuverlässig beurteilen. Dieses Argument setzt voraus, dass die quantitative Bestimmung für die Einordnung als Gesamtvermögensgeschäft eine Bedeutung hat.

Schwieriger zu beantworten ist die Frage, wie diese quantitative Grenze zu bemessen ist. Der etwa 75-80 %-ige Wert der Ausgliederung im Holzmüller-Sachverhalt reicht ausweislich des Holzmüller-Urteils wohl nicht aus, um das Tatbestandsmerkmal des gesamten Vermögens zu erfüllen. Dementsprechend finden sich in der Literatur Schwellenwerte zwischen 80 % und 95 %. Im Gesetz lassen sich dafür keine Anknüpfungspunkte finden. Eine Ausnahme bildet § 62 Abs. 5 UmwG, der 90 % nennt. (Wohl) aus diesem Grund hat sich in der Praxis 90 % als Daumenregel etabliert (Seibt in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 179a Rn. 8). Wegen der weitreichenden Rechtsfolgen des § 179a AktG ist hier in der Praxis Vorsicht geboten und im Zweifel eher die Zustimmung einzuholen.

Der Praxis ist im Lichte der angesprochenen BGH-Entscheidungen zu empfehlen, sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte bei einer Subsumtion unter den § 179a AktG zu berücksichtigen. Zwar mag eine rein quantitative Beurteilung mehr Rechtssicherheit schaffen. Denn die in einer qualitativen Beurteilung enthaltene wertende Prognose wird selten zu einer abschließenden und nicht anzweifelbaren Antwort führen. Doch auch hier ist die Festlegung einer prozentualen Schwelle mit einer Wertung verbunden. Außerdem können sowohl qualitative als auch quantitative Veränderungen tiefgreifende Einschnitte in die Struktur des Gesellschaftsvermögens und in die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft nach sich ziehen und damit den Zweck des § 179a AktG berühren (vgl. zum Zweck BT-Drs. 12/6699, S. 177, „Änderung des Unternehmensgegenstands“, „faktische Satzungsänderung“).

 

3.    Anwendbarkeit im Liquidationsstadium

Nach Ansicht des BGH ist der § 179a Abs. 1 S. 1 AktG auch auf Aktiengesellschaften in Liquidation anzuwenden (BGH, Urt. vom 25.10.2002 - V ZR 243/01, NZG 2003, 532 (534)). Das erscheint fraglich, denn die Gesamtvermögensveräußerung ist nicht nur vom Abwicklungsauftrag gedeckt, sondern erfüllt diesen unmittelbar, sodass sie nicht gesondert zustimmungsbedürftig sein kann (Heckschen, AG 2019, 420 (421); vgl. auch Müller in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2022, § 70 Rn. 16). Zwar statuiert der § 262 AktG auch Auflösungsgründe, die nicht auf einer Willensbildung der Hauptversammlung beruhen, sodass sich argumentieren ließe, jedenfalls in diesen Fällen müsse § 179a AktG zum Aktionärsschutz auch in der Liquidation anwendbar bleiben. Doch gewichtet das Gesetz in diesen Fällen die Bedeutung des Aktionärsschutzes gerade niedriger als die Interessen des Rechtsverkehrs und ermöglicht deshalb eine Auflösung der Gesellschaft ohne Billigung durch die Aktionäre. Diese Interessengewichtung für die Durchführung der Auflösung (nämlich die Vermögensveräußerung) dann aufzugeben, erscheint widersprüchlich und der dem Gesetz zugrundeliegenden Wertung zuwider zu laufen.

Für die Praxis ist die anzuwendende Rechtsauffassung jedoch durch die eindeutige Positionierung des fünften Senats klar: § 179a Abs. 1 S. 1 AktG ist auch auf Aktiengesellschaften in Liquidation anzuwenden.

 

4.    Formbedürftigkeit des Übertragungsvertrags

Das schuldrechtliche Geschäft der Gesamtvermögensübertragung bedarf zu seiner Wirksamkeit der notariellen Beurkundung. Auf die umstrittene Frage, ob § 311b Abs. 3 BGB auf juristische Personen Anwendung findet, kommt es dabei nicht an. Das Formerfordernis kommt ungeschrieben aus § 179a AktG. Denn im Rahmen von dessen Gesetzgebungsverfahren wollte der Gesetzgeber das noch in der Vorgängernorm (§ 361 Abs. 1 S. 4 AktG aF) enthaltene Formerfordernis ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 12/6699, S. 177) gerade nicht abschaffen, sondern ging davon aus, dieses folge „bereits aus § 311 BGB [aF]“, und eine Aufnahme der Regelung in den § 179a AktG hätte keine zusätzliche Wirkung. Ein Aufflammen der Diskussion über die Anwendbarkeit des § 311b Abs. 3 BGB (§ 311 BGB aF) auf juristische Personen, sowie ein Auseinanderlaufen der quantitativen Anwendungsbereiche von § 311b Abs. 3 BGB und 179a AktG hatte er dabei offensichtlich nicht im Blick. Auch bei der Verschiebung des § 311 BGB aF in den § 311b Abs. 3 BGB ließ der Gesetzgeber den Wortlaut unangetastet und beabsichtigte keine Veränderung des Anwendungsbereichs. Der gesetzgeberische Wille zu § 179a AktG gilt daher weiterhin uneingeschränkt, sodass auch die Formbedürftigkeit der Gesamtvermögensübertragung weiterhin in § 179a AktG enthalten ist.

 

III.    GmbH

1.    § 179a AktG

Mit seinem Urteil vom 08.01.2019 hat der BGH die analoge Anwendbarkeit von § 179a AktG auf die GmbH verneint (BGH, Urt. v. 08.01.2019 – II ZR 364/18, NZG 2019, 505). Kernargument ist dabei das mangelnde Schutzbedürfnis der GmbH-Gesellschafter, die im Gegensatz zu Aktionären einer AG intensive Einflussnahmemöglichkeiten auf die Geschäftsführung haben und außerdem Mehrheitserfordernisse problemlos in der Satzung festlegen können. Daher ist die systemfremde, dem § 37 Abs. 2 GmbHG zuwiderlaufende Rechtsfolge des § 179a AktG dem Rechtsverkehr nicht zumutbar.

 

2.    § 49 Abs. 2 GmbHG

Damit richtet sich die Notwendigkeit eines Gesellschafterbeschlusses für Gesamtvermögensgeschäfte einer GmbH nach § 49 Abs. 2 GmbHG (sofern nicht schon die Satzung für bedeutsame Geschäfte einen Zustimmungsvorbehalt vorschreibt). Entscheidender Unterschied zu § 179a AktG ist die Rechtsfolge. § 49 Abs. 2 GmbHG verpflichtet den Geschäftsführer zur Einberufung der Gesellschafterversammlung und hat keine Außenwirkung.

Zur Erfüllung dieser Pflicht bedarf es einer wirksamen Einberufung der Versammlung. Telos ist es, den Gesellschaftern zu ermöglichen, über die vorgesehenen Maßnahmen zu beraten und gegebenenfalls Beschluss zu fassen. Daher sind den Gesellschaftern auch die zum Verständnis und zur Beratung notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen (je nach Komplexität und Bedeutung der Maßnahmen auch mit Vorlauf zur Versammlung, um eine fundierte Vorbereitung auf die Versammlung zu ermöglichen). Für besonders bedeutsame Geschäfte folgt laut BGH aus § 49 Abs. 2 GmbHG über den Wortlaut der Vorschrift hinaus, dass der Geschäftsführer nur soweit Geschäftsführungsbefugt ist, als er die Zustimmung der Gesellschafterversammlung einholt (BGH, Urt. v. 08.01.2019 – II ZR 364/18 Rz. 37, NZG 2019, 505 (509)). Die Geschäftsführungsbefugnis erstreckt sich hier also nicht, wie von § 37 Abs. 1 GmbHG im Grundsatz vorgesehen, auf alle Bereiche, in denen weder Gesetz, Satzung noch Gesellschafterbeschlüsse ein bestimmtes Verhalten vorschreiben. Sondern es besteht ein Zustimmungsvorbehalt, der die Geschäftsführungsbefugnis grundsätzlich beschränkt und nur im Falle der Zustimmung aufleben lässt.

Zu den Voraussetzungen des den Zustimmungsvorbehalt auslösenden besonders bedeutsamen Geschäfts hat der BGH dem Rechtsanwender bislang wenig Konturierung an die Hand gegeben. Zwar fallen Gesamtvermögensgeschäfte wohl unproblematisch darunter (BGH, Urt. v. 08.01.2019 – II ZR 364/18 Rz. 36, NZG 2019, 505 (509)), wann ein solches vorliegt ist jedoch umstritten. Dabei lässt sich argumentativ jedoch an die §§ 116 HGB und 179a AktG anknüpfen. Denn Zweck des aus § 49 Abs. 2 GmbHG abgeleiteten Zustimmungsvorbehalts ist es, den Gesellschaftern die Entscheidungskompetenz für Geschäfte mit besonderer Tragweite einzuräumen. Dabei muss nicht notwendigerweise ein bestimmter prozentualer Anteil des Gesellschaftsvermögens veräußert werden, um § 49 Abs. 2 GmbHG auszulösen. Gesamtvermögensgeschäfte erlangen ihre Bedeutung in dieser Hinsicht insbesondere durch ihre intensive Auswirkung auf die Struktur des Gesellschaftsvermögens und die Weiterführung der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft. Je größer die Bedeutung der veräußerten Vermögensgegenstände für die Geschäftstätigkeit und den Gesellschaftszweck ist, desto eher ist der Tatbestand des § 49 Abs. 2 GmbHG einschlägig. Gleichermaßen einen Zustimmungsvorbehalt auslösen können daher Maßnahmen, die eine außerordentliche strategische oder geschäftspolitische Dimension aufweisen (BGH, Urt. v. 25.02.1991 - II ZR 76/90, NJW 1991, 1681) oder mit außerordentlichen und für das Tagesgeschäft unüblichen Risiken verbunden sind (entscheidend ist hier insbesondere, wie sehr die Verwirklichung des Gesellschaftszwecks gefährdet wird).

Fraglich ist, welche Mehrheit für einen solchen Zustimmungsbeschluss notwendig ist. Richtigerweise ist dieser mit einfacher Mehrheit nach § 47 Abs. 1 GmbHG zu fassen. Zwar könnte man wegen der Vergleichbarkeit von besonders bedeutsamer Geschäften und Satzungsänderungen auch eine qualifizierte Mehrheit, für notwendig erachten, wie sie § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG statuiert. Doch läuft das der Systematik des Gesetzes zuwider. Deckt die Satzung die Maßnahme, greift die Argumentation mit der dem § 53 GmbHG vergleichbaren Lage nicht, da dann gerade keine Satzungsänderung vorliegt. Steht die Maßnahme im Widerspruch zur Satzung, dann ist ohnehin eine Satzungsänderung mit entsprechender Mehrheit notwendig.

Das dürfte auch der Rechtsansicht des BGH entsprechen. Dieser sieht den Zweck des Zustimmungsvorbehalts nämlich (neben dem allgemeinen Kontrollrecht der Gesellschafterversammlung in ihrer Gesamtheit) auch im Schutz des Minderheitsgesellschafters durch die Möglichkeit einen gefassten Beschluss hinsichtlich unangemessener Benachteiligungen durch gerichtlich überprüfen zu lassen (BGH, Urt. v. 08.01.2019 – II ZR 364/18 Rz. 38, NZG 2019, 505 (510)). Diese Möglichkeit besteht jedoch unabhängig von der für den Beschluss erforderlichen Mehrheit, sodass auch ein einfaches Mehrheitserfordernis diesen Zweck erfüllen kann.

Der BGH hat zwar lediglich eine analoge Anwendbarkeit des § 179a AktG auf die GmbH in seiner Gesamtheit verneint (also inklusive ¾-Mehrheit, Formerfordernis und Beschränkung der Vertretungsmacht des Vorstands). Gegen eine Anwendung lediglich der ¾-Mehrheit auf die GmbH sprechen aber gleichermaßen sowohl die strukturellen Unterschiede zwischen AG und GmbH als auch das mangelnde Schutzbedürfnis der Gesellschafter. Denn diese können – anders als Aktionäre einer AG – solche Mehrheitserfordernisse in der Satzung festlegen. Es fehlt daher jedenfalls an der vergleichbaren Interessenlage.

Wird gegen die Pflicht aus § 49 Abs. 2 GmbHG verstoßen, haftet der Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft auf Ersatz des Schadens, der aus dem Unterbleiben einer Möglichkeit der Gesellschafterversammlung, Maßnahmen zu ergreifen, resultiert. Für den Rechtsverkehr entstehen jedoch gemäß § 37 Abs. 2 S. 1 GmbHG keine unmittelbaren Folgen. Denn Geschäftsführungsbefugnis im Innenverhältnis und die organschaftliche Vertretungsmacht im Außenverhältnis laufen nicht gleich. Insbesondere wird die Wirksamkeit der vom Geschäftsführer unter Verstoß gegen die Einberufungspflicht durchgeführten Handlungen (zum Beispiel Vertragsschlüsse) nicht berührt.

 

3.    Missbrauch der Vertretungsmacht

Allerdings gelten neben § 49 Abs. 2 GmbHG unbeschadet die Grundsätze zum Missbrauch der Vertretungsmacht. Diese wiederum betreffen die Wirksamkeit von Geschäften im Verhältnis zu Dritten, denn Rechtsfolge eines Missbrauchs der Vertretungsmacht ist die Unwirksamkeit der vom Geschäftsführer für die Gesellschaft abgegebenen Willenserklärung (BGH, Urt. v. 08.01.2019 – II ZR 364/18 Rz. 40, NZG 2019, 505 (510)). Voraussetzungen des Rechtsinstituts sind, dass der Geschäftsführer im Rahmen von besonders bedeutsamen Geschäften die Grenzen seiner Geschäftsführungsbefugnis überschreitet und der Vertragspartner davon weiß oder es sich ihm den Umständen nach geradezu aufdrängen muss (BGH, Urt. v. 08.01.2019 – II ZR 364/18 Rz. 39 f., NZG 2019, 505 (510)). Besteht ein Zustimmungsvorbehalt, so muss der Vertragspartner folglich von der fehlenden Zustimmung Kenntnis haben (oder sich ihm diese aufdrängen). Je bedeutender das Geschäft ist (insbesondere also bei Gesamtvermögensgeschäften), desto eher kann den Vertragspartner in diesem Rahmen auch eine Erkundigungsobliegenheit treffen (BGH, Urt. v. 08.01.2019 – II ZR 364/18 Rz. 42, NZG 2019, 505 (510)).

 

4.    Faktische Satzungsänderung

Ein Beschluss nach § 53 GmbHG ist auch im Fall einer sog. faktischen Satzungsänderung herbeizuführen. Müller legt eine analoge Anwendung des § 53 GmbHG zugrunde (Müller, NZG 2019, 807 (812)). Das ist jedoch dogmatisch falsch, denn die Rechtsfolge des § 53 GmbHG ist nicht die Verpflichtung des Geschäftsführers, sondern die Regelung von Art und Weise der Fassung satzungsändernder Beschlüsse. Außerdem bedarf es der Analogie gar nicht, denn die Fallgruppe der faktischen Satzungsänderung beschreibt lediglich eine Überschreitung der Geschäftsführungsbefugnis durch den Geschäftsführer, zu deren Umgehung, er zunächst die Satzungsänderung herbeiführen muss. Diese Satzungsänderung ist dann aber eine ganz normale Satzungsänderung, sodass § 53 GmbHG direkt anzuwenden ist. Daneben sind in besonders drastischen Fällen der Zuwiderhandlung gegen den Satzungsmäßigen Geschäftsgegenstand wohl die §§ 75 GmbHG, 397, 398 FamFG analog anwendbar (Harbarth in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2022, § 53 Rn. 188 m.w.N.).

Unter die faktische Satzungsänderung sind solche Fälle zu subsumieren, in denen der Geschäftsführer eine Maßnahme ergreift, die vom Gesellschaftszweck gemäß der Satzung nicht getragen wird. Der häufig verwendete Begriff der Satzungsänderung ist dabei irreführend, da letztlich gerade keine Änderung der Satzung vorliegt (darin besteht schließlich das Problem), sondern deren Regelungen überschritten werden. Naheliegender wäre daher der Begriff der Satzungsüberschreitung.

Zur Feststellung, ob eine Maßnahme von der Satzung gedeckt ist, ist diese objektiv auszulegen. Ausdehnungen der Geschäftstätigkeit auf benachbarte Sachbereiche des Wirtschaftslebens sind dabei zulässig, sofern diese eine einen hinreichenden Sachbezug zur in der Satzung festgelegten Geschäftstätigkeit besitzen. Unzulässig hingegen sind Maßnahmen, die sich als aliud darstellen. In Bezug auf Gesamtvermögensgeschäfte wird das insbesondere dann der Fall sein, wenn die Satzung eine operative Tätigkeit vorsieht, welche durch die Veräußerung des Vermögens (faktisch) aufgegeben wird. Ist hingegen ein operativer Neustart nach der Veräußerung vorgesehen, lässt sich argumentieren, dass keine Aufgabe des operativen Geschäfts vorliegt (vgl. Dietlein/Klomfaß, NZG 2022, 339 (342)). Ob das jedoch praktisch vorkommt, ist fraglich, denn Unternehmenskaufverträge enthalten in der Regel Wettbewerbsverbote, die einen solchen operativen Neustart gerade unterbinden.

Eine Aufgabe der operativen Tätigkeit liegt auch dann vor, wenn das Vermögen auf eine Tochtergesellschaft ausgegliedert wird, sodass die Mutter von einer operativen Tätigkeit zu einer vermögensverwaltenden Holding-Tätigkeit übergeht. Anders ist die Rechtslage hingegen bei Holding-Gesellschaften, deren satzungsmäßiger Gesellschaftszweck gerade eine vermögensverwaltende Tätigkeit ist, die im Halten von Vermögen und nicht einer operativen Geschäftstätigkeit besteht. Wird Vermögen veräußert, dann wird lediglich unternehmerisches Vermögen in nicht-unternehmerisches Vermögen umgewandelt, sodass der satzungsmäßige Gesellschaftszweck weiterhin gewahrt ist (Dietlein/Klomfaß, NZG 2022, 339 (342)). Anders ist die Lage, wenn die Satzung einer Holding-Gesellschaft das Halten einer konkreten Beteiligung vorschreibt. Holding-Gesellschaften sollten daher nach Möglichkeit bei Gründung mit einem abstrakt formulierten Gesellschaftszweck versehen werden, der allgemein Vermögensverwaltung zum Gegenstand hat, sodass auch (weitreichende) Beteiligungsveräußerungen erfasst sind.

Die Vertretungsmacht und damit die Wirksamkeit der Maßnahme gegenüber Dritten wird von der Überschreitung der Geschäftsführungsbefugnis nicht berührt, § 37 Abs. 2 GmbHG. Der Geschäftsführer ist erst dann zur Durchführung der Maßnahme berechtigt, wenn die Satzung die beabsichtigte Maßnahme deckt. In § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG sind für den satzungsändernden Beschluss Beurkundungspflicht und ¾-Mehrheit in vorgeschrieben.

Auch im Rahmen von faktischen Satzungsänderungen spielen die Grundsätze zum Missbrauch der Vertretungsmacht eine wichtige Rolle. Denn wenn ein Geschäft außerhalb der Satzung liegt, dann hat der Vertragspartner Kenntnis hiervon: Die Satzung ist in das Handelsregister einzutragen (§§ 8 Abs. 1 Nr. 1, 54 Abs. 1 S. 1 GmbHG), und dem Rechtsverkehr damit bekannt, § 15 Abs. 2 S. 1 HGB.

 

IV. Kommanditgesellschaft

1.    § 179a AktG

Auf die KG findet § 179a AktG keine analoge Anwendung (BGH, Urt, v. 15.02.2022 – II ZR 235/20, NZG 2022, 706). Kernargument ist dabei das mangelnde Schutzbedürfnis von Gesellschaftern einer Gesellschaft mit Selbstorganschaft, die keinem Fremdeinfluss unterworfen sind. Über die §§ 164 S. 1 Hs. 2, 116 Abs. 2 S. 1 HGB besteht für außergewöhnliche Geschäfte ohnehin ein Zustimmungsvorbehalt. Gesamtvermögensgeschäfte, so stellt der BGH fest, werden diesen Tatbestand in aller Regel erfüllen (BGH, Urt. v. 15.02.2022 – II ZR 235/20 Rz. 28, NZG 2022, 706 (707)). Außerdem ist der Rechtsverkehr bei Personengesellschaften, die nur einer sehr eingeschränkten Bilanzpublizität unterliegen, nicht in der Lage, zu beurteilen, ob eine Gesamtvermögensgeschäft vorliegt, und ist daher besonders schutzbedürftig. § 179a AktG statuiert mit der Außenwirkung eine überaus weitreichende Rechtsfolge, welche für die KG überdies dem Grundsatz der Unbeschränkbarkeit organschaftlicher Vertretungsmacht zuwiderläuft (§§ 126 Abs. 2, 161 Abs. 2 HGB). Eine Anwendung auf die KG ist daher dem Rechtsverkehr nicht zumutbar.

 

2.    Zustimmungsvorbehalt der Gesellschafterversammlung

Für außergewöhnliche Geschäfte besteht nach §§ 164 S. 1 Hs. 2, 116 Abs. 2 S. 1 HGB ein Zustimmungsvorbehalt sämtlicher Gesellschafter. Ob der Zustimmungsvorbehalt für Grundlagengeschäfte aus § 114 HGB kommt, oder ob diese immer auch zugleich außergewöhnliche Geschäfte darstellen hat keine besondere praktische Relevanz. Jedenfalls besteht bezüglich beider Arten von Geschäften ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten der Gesellschafter (Komplementär(e) sowie Kommanditist(en)).

Außergewöhnliche Geschäfte sind solche, die nach ihrem Inhalt und Zweck oder nach ihrer Bedeutung und den mit ihnen verbundenen Gefahren über den gewöhnlichen Rahmen des Geschäftsbetriebs der Gesellschaft hinausgehen (BGH, Urt. v. 15.02.2022 – II ZR 235/20 Rz. 28, NZG 2022, 706 (707)). Entscheidend ist also wieder der satzungsmäßige Gesellschaftszweck. In aller Regel wird eine KG einen operativen Gesellschaftszweck verfolgen, sodass eine Gesamtvermögensveräußerung den Tatbestand erfüllt. Ist dieser hingegen bewusst offengehalten, wie oben für die Satzung einer Holding-Gesellschaft vorgeschlagen, wird kein Zustimmungsvorbehalt einschlägig sein (Ebbinghaus/Metzen, NZG 2022, 697 (701)).

§ 116 Abs. 2 S. 1 HGB schreibt die Zustimmung aller Gesellschafter vor. Die Satzung kann ausweislich der §§ 109, 163 HGB davon abweichende Regelungen treffen. Eine Beurkundungspflicht des Beschlusses oder der Zustimmung besteht nicht.

Die Vertretungsmacht und damit die Außenwirkung einer Maßnahme wird von einem Verstoß gegen das Zustimmungserfordernis, der sich als Überschreiten der Geschäftsführungsbefugnis darstellt, nicht beeinträchtigt, wie sich aus den §§ 126 Abs. 2, 161 Abs. 2 HGB ergibt.

 

3.    Missbrauch der Vertretungsmacht

Auch für die KG gelten jedoch die Grundsätze zum Missbrauch der Vertretungsmacht. Dabei besteht allerdings der entscheidende Unterschied zum Kapitalgesellschaftsrecht darin, dass die Satzung der KG nicht eintragungspflichtig ist und damit auch der Unternehmensgegenstand nicht von der Handelsregisterpublizität nach § 15 Abs. 2 S. 1 HGB erfasst ist. Zwar hat das Registergericht nach § 24 Abs. 4 HRV auf die Angabe des Unternehmensgegenstands bei der Anmeldung hinzuwirken, soweit dieser sich nicht aus der Firma ergibt. Doch dabei handelt es sich um eine lediglich eintragungsfähige Tatsache, die nach hM von der Publizitätswirkung des § 15 Abs. 2 S. 1 HGB nicht erfasst ist (zu § 15 Abs. 3 HGB, dessen Wortlaut ebenfalls an eine „einzutragende Tatsache“ anknüpft BGH, Versäumnisurt. v. 18.10.2016 – II ZR 314/15 Rz. 13, NZG 2017, 104 (105); vgl. auch BAG, Urt. v. 17.02.1987 - 3 AZR 197/85, NJW 1988, 222 (223)).

 

4.    Publikums-KG

Auch auf die Publikums-KG findet § 179a AktG keine analoge Anwendung. Die Argumentation des BGH in seinen Urteilen zur analogen Anwendbarkeit des § 179a AktG auf GmbH und KG würde zwar dem Grunde nach eine Geltung der Analogie auch für die Publikums-KG ermöglichen. Denn die Kommanditisten haben ähnlich der Aktionäre der AG nur eingeschränkte Kontroll- und Einflussnahmemöglichkeiten auf die Geschäftsführung, sodass die Schutzbedürfnis-Argumentation Geltung entfalten könnte. Doch ist in der KG über § 164 S. 1 Hs. 2 HGB der § 116 Abs. 2 S. 1 HGB anwendbar. Daher müssen bei außergewöhnlichen Geschäften auch die Kommanditisten zustimmen, sodass gerade kein Schutzbedürfnis besteht (BGH, Urt. v. 15.02.2022 – II ZR 235/20 Rz. 27 ff., NZG 2022, 706 (707 f.)). Ist das Zustimmungserfordernis der Kommanditisten in der Satzung abbedungen (wie häufig bei Publikums-KGs), dann besteht ebenfalls kein Schutzbedürfnis, denn dann haben die Kommanditisten privatautonom auf dieses Überwachungsrecht verzichtet (Ebbinghaus/Metzen, NZG 2022, 697 (701); vgl. zum Schutzbedürfnis auch Zintl/Singbartl, GWR 2015, 375 (376 f.)).

 

V.   Gesellschaft bürgerlichen Rechts und Offene Handelsgesellschaft

Die Gesellschafter von Personengesellschaften sind im Gegensatz zu Aktionären einer AG gar keinem Fremdeinfluss unterworfen, sodass eine analoge Anwendung des § 179a AktG ausscheidet. Das gilt für Gesellschafter von GbR und OHG im Gegensatz zu Kommanditisten einer KG ganz besonders. Zum Schutzbedürfnis des Rechtsverkehrs aufgrund eingeschränkter Bilanzpublizität von Personengesellschaften gilt das zur KG gesagte ebenfalls. Die o.g. BGH Urteile zu GmbH und KG unterstreichen dieses Ergebnis.

Für die OHG gilt § 116 HGB und damit das zum Zustimmungsvorbehalt in der KG ausgeführte entsprechend. Für die GbR gilt der noch weiter gehende § 709 Abs. 1 Hs. 2 BGB, der Gesamtgeschäftsführung anordnet, bzw. § 710 S. 1 BGB, der Einzelgeschäftsführung zulässt, sofern der Gesellschaftsvertrag sie bestimmt. Hier gilt wegen des privatautonomen Entschlusses der übrigen Gesellschafter ebenfalls das zur Schutzbedürftigkeit der Gesellschafter oben ausgeführte.

Die Vertretungsmacht und damit die Außenwirkung einer Maßnahme wird von einem Verstoß gegen das Zustimmungserfordernis, nicht beeinträchtigt, wie sich für die OHG aus § 126 Abs. 2 ergibt. Hier finden auch die oben dargelegten Grundsätze zum Missbrauch der Vertretungsmacht Anwendung. Die Vertretungsmacht des geschäftsführenden GbR-Gesellschafters hingegen kann nach hM ohnehin von den Gesellschaftern im Gesellschaftsvertrag beschränkt werden, wie sich schon aus der Zweifelsregel des § 714 BGB ergibt. Hier ist nur dann Raum für einen Missbrauch der Vertretungsmacht, wenn der GbR-Gesellschaftsvertrag einen unterschiedlichen Umfang von Vertretungsmacht und Geschäftsführungsbefugnis bestimmt.

 

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