Gerücht: Änderung des § 23 EStG zur Abschaffung von Steuerprivilegien

I. Einleitung

§ 23 EStG enthält Regelungen dazu, was private Veräußerungsgeschäfte sind. Das hat enorme Relevanz, denn private Veräußerungsgeschäfte im Sinne des Einkommensteuerrechts sind nach § 22 Nr. 2 EStG sonstige Einkünfte und unterliegen damit der Besteuerung. Im Volksmund wird daher im Zusammenhang mit § 23 EStG auch von der sog. „Spekulationsfrist“ gesprochen. Dabei sind insbesondere Immobilienverkäufe, die zehn Jahre oder länger nach Erwerb der Immobilie getätigt werden, von der Steuerpflicht ausgenommen. Dieses Steuerprivileg war seinerzeit unter anderem deshalb installiert worden, um Investitionen in den Wohnungsbau und die Instandhaltung von Wohnraum zu lenken.

Nun geht seit kurzem in Fachkreisen das Gerücht umher, der Gesetzgeber plane in der aktuellen Legislaturperiode eine Abschaffung ebendieses Steuerprivilegs. Zwar handelt es sich hierbei, das sei an dieser Stelle nochmals betont, bislang lediglich um ein Gerücht. Im Jahressteuergesetz 2022 taucht eine solche Änderung oder die Absicht dazu nicht auf. Die Tragweite einer solchen Änderung wäre jedoch erheblich. Insbesondere private Altersvorsorgen, die Immobilienveräußerungen vorsehen, wären davon massiv betroffen.

 

II. Substantiierung des Gerüchts

Die beiden Ampel-Koalitionäre SPD und GRÜNE haben sich in der Vergangenheit bereits häufiger mit dem Argument der Umverteilung für eine Abschaffung des Steuerprivilegs aus § 23 EStG ausgesprochen. In den Parteiprogrammen zur Bundestagswahl kommt dieser Wille klar zum Ausdruck. So heißt es im SPD Zukunftsprogramm auf Seite 37: „Wir werden die bislang nach einer Zehn-Jahres-Frist geltende Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne nicht selbst genutzter Grundstücke abschaffen und einen Planungswertausgleich einführen, um leistungslose Bodenwertgewinne der Allgemeinheit zukommen zu lassen.“ Und im Wahlprogramm der GRÜNEN auf Seite 92: „Wir werden die bislang nach einer Zehn-Jahres-Frist geltende Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne von Grundstücken und Immobilien abschaffen.“

Der aufgrund von Pandemie und Energiekrise finanzierungshungrige Bundeshaushalt könnte ebenfalls ein Motiv für die Gesetzesänderung sein, die erhebliche Steuermehreinkünfte mit sich bringen würde.

 

III. Anwendbarkeit auf bereits erworbene Objekte

Beruhigend dürfte sich jedoch für viele Immobilieneigentümer eine Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2010 auswirken (BVerfG. Beschl. v. 07. Juli 2010 - 2 BvL 14/02). Diese erging zum Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 und beschäftigte sich mit der Frage, inwiefern darin eine (verfassungswidrige) Rückwirkung des Gesetzes, das die Spekulationsfrist von zwei auf zehn Jahre verlängerte, enthalten sei.

Auf Objekte, die bereits seit (nach alter Rechtslage) mindestens zwei Jahren gehalten wurden, sei das Änderungsgesetz aufgrund der Verfassungswidrigkeit nicht anwendbar – und zwar auch dann, wenn diese noch nicht veräußert wurden (Rn. 65). Diese Verfassungswidrigkeit begründet das BVerfG sowohl mit einer Verletzung des Rückwirkungsverbots (aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG), als auch des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG. Bezüglich Immobilien, die bereits seit zwei Jahren oder länger gehalten werden, liege eine unechte Rückwirkung des Gesetzes vor, da in einen unabgeschlossenen Sachverhalt eingegriffen wird. Diese ist grundsätzlich zulässig, muss jedoch dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz hinreichend Rechnung tragen. Daran scheitert die Regelung laut BVerfG. Denn mit Ablauf der Spekulationsfrist erhalte der Eigentümer eine „konkret verfestigte Vermögensposition“ (Rn. 66). Der Eingriff in diese Rechtsposition ist so gewichtig, dass er nicht durch die Interessen der Allgemeinheit an der Steuererhebung im konkreten Fall gerechtfertigt werden kann. Außerdem verletze der Eingriff in diese vom Vertrauensschutz umfasste Rechtsposition das Gebot einer folgerichtigen Ausgestaltung der einkommensteuerrechtlichen Belastungsentscheidungen.

Die Entscheidung hat zwar inhaltlich einige Kritik erfahren und ist an einigen Stellen durchaus angreifbar. So hält das BVerfG zum Beispiel in Rn. 64 der Entscheidung selbst fest: „Die bloße Möglichkeit, Gewinne später steuerfrei vereinnahmen zu können, begründet keine (vertrauens-)rechtlich geschützte Position.“ Das widerspricht inhaltlich der in derselben Entscheidung vertretenen Auffassung, das Ablaufen der Spekulationsfrist (ohne Veräußerung) führe zu einer konkret verfestigten Vermögensposition, die dem Vertrauensschutz unterliegt.

Dennoch stammt die Entscheidung vom BVerfG und hat daher rechtlich einiges Gewicht.

 

IV. Fazit

Dass der Gesetzgeber sich auch im Falle einer Änderung des § 23 EStG an den Vorgaben des BVerfG aus dem Jahr 2010 orientieren wird, ist wahrscheinlich. Denn andernfalls würde die Änderung vom BVerfG gekippt werden. Eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls zeichnet sich aktuell nicht ab. Immobilien, die bereits jetzt steuerfrei veräußert werden können, unterliegen damit höchstwahrscheinlich nicht der Änderung des § 23 EStG (so sie denn kommt) und können auch künftig steuerfrei veräußert werden. Ein akuter Handlungsbedarf besteht für Eigentümer solcher Immobilien daher nicht.

 

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