Die Folgen des Brexit für britische Gesellschaften mit Sitz in Deutschland

Das Vereinigte Königreich ist mit Wirkung zum 01.02.2020 aus der Europäischen Union ausgetreten. Nach Art. 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. EU Nr. L 29/2020, 7) endete der Übergangszeitraum am 31.12.2020. Vorbehaltlich abweichender Regelungen galt das Unionsrecht gem. Art. 127 Abs. 1 des Abkommens während des Übergangszeitraums für das Vereinigte Königreich sowie im Vereinigten Königreich zunächst fort. Seit dem 01.01.2021 finden auf britische Gesellschaften jedoch nunmehr die Regelungen und Grundsätze über Drittstaatengesellschaften Anwendung.

Hierzu hat der BGH mit seiner Entscheidung vom 16.02.2021 (Az. II ZB 25/17) klar Stellung bezogen:

Nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und mit Ablauf des im Austrittsabkommens bestimmten Übergangszeitraums zum 31.12.2020 findet das Unionsrecht – weder in Gestalt des Primär- noch des Sekundärrechts - keine Anwendung mehr auf britische Gesellschaften. (amtl. Leitsatz)

 

Vor dem Brexit: Geltung der Gründungstheorie

Bis zum Ablauf des Übergangszeitraums am 31.12.2020 konnten sich britische Gesellschaften auf die in Art. 49, 54 AEUV geregelte Niederlassungsfreiheit berufen. Diese verwehrt es den Mitgliedstaaten, ausländischen Gesellschaften die Niederlassung im Inland etwa durch die Anordnung zusätzlicher Kapitalausstattung oder steuerrechtliche Regelungen zu erschweren. Für die Frage, nach welchem nationalen Sachrecht sich die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft (das sog. Gesellschaftsstatut) beurteilen, werden zwei kollisionsrechtliche Anknüpfungstheorien vertreten: die sog. Sitztheorie und die sog. Gründungstheorie.

Nach der Sitztheorie ist auf ausländische Gesellschaften das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz hat.

Nach der Gründungstheorie richtet sich das Gesellschaftsstatut nach den Bestimmungen des Staates, nach dessen Recht die Gesellschaft gegründet wurde.

Um die Jahrtausendwende erklärte der EuGH (vgl. Centros, EuGH, Urteil v. 09.03.1999; Überseering, EuGH, Urteil v. 05.11.2002; Inspire Art, EuGH, Urteil v. 30.09.2003) die Anwendung der Sitztheorie für unvereinbar mit der in Art. 49, 54 AEUV geregelten Niederlassungsfreiheit. Seither findet auf Auslandsgesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland, die in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR oder in einem mit diesen aufgrund eines völkerrechtlichen Abkommens in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit gleichgestellten Staat gegründet worden sind, die sog. Gründungstheorie Anwendung.

Der BGH schloss sich mit seiner berühmten Trabrennbahn-Entscheidung (v. 27.10.2008 – II ZR 158/06) der Rechtsprechung des EuGH und damit der Anwendung der Gründungstheorie auf mitgliedstaatliche Gesellschaften an.

Demnach richteten sich die Rechtsverhältnisse britischer Gesellschaften mit Sitz in Deutschland bislang nach englischem Recht, sodass unter anderem die Rechtsfähigkeit und Haftungsbeschränkung britischer Limiteds trotz fehlender Handelsregistereintragung gem. § 11 Abs. 1 GmbHG und mangelnder Kapitalausstattung nach § 5 Abs. 1 GmbHG in Deutschland anerkannt wurden.

Voraussetzung für die Geltendmachung der Niederlassungsfreiheit aus Art. 49, 54 AEUV und damit die Anwendung der Gründungstheorie ist, dass der Staat, nach dessen Recht die Gesellschaft gegründet wurde, im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit durch die Gesellschaft ein Mitgliedstaat der Europäischen Union bzw. des EWR ist (vgl. Schollmeyer, NZG 2021 sowie BGH v. 16.02.2021 – II ZB 25/17).

Nach Art. 50 Abs. 3 iVm. Art. 1 Abs. 3 EUV findet der AEU-Vertrag auf einen Mitgliedstaat, der aus der EU ausgetreten ist, ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder anderenfalls zwei Jahre nach der Rücktrittsmitteilung keine Anwendung mehr.

Aufgrund der Sonderregelung für die Dauer des Übergangszeitraums in Art. 126, 127 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU galt für britische Gesellschaften auch während des Übergangszeitraumes das Unionsrecht und damit die in Art. 49, 54 AEUV garantierte Niederlassungsfreiheit fort.

Darüber hinaus wird vereinzelt vertreten (u.a. J. Schmidt, GmbHR 2021, 229, 233 ff; zustimmend Otte-Gräbner, BB 2021, 771), dass die Niederlassungsfreiheit nach dem zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich unter Einbeziehung der Mitgliedstaaten der EU geschlossenen Freihandelsabkommen (EU-UK-TCA v. 24.12.2020, ABl. EU Nr. L 444/2020, 1) auch nach dem Ablauf des Übergangszeitraums für britische Gesellschaften gelten soll, jedoch findet sich hierzu in dem Abkommen, das vorrangig der Aufrechterhaltung des internationalen Handelsverkehrs zwischen der EU, ihren Mitgliedstaaten und dem Vereinigten Königreich dienen soll, keine ausdrückliche Regelung (hierzu ausführlicher: Knaier, GmbHR 2021, 486).

 

Nach dem Brexit: Rückkehr zur Sitztheorie?

Nach der jüngsten Entscheidung des BGH sollen britische Gesellschaften mit Ablauf des Übergangszeitraums vom Anwendungsbereich des Unionsrechts ausgeschlossen sein.
Dies könnte nach der insofern zum Ausdruck kommenden Tendenz der höchstrichterlichen Rechtsprechung für britische Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland die Rückkehr zur Sitztheorie bedeuten, was insbesondere für viele tausend Kapitalgesellschaften in der Rechtsform der private company limited by shares (kurz „Limited“) weitreichende haftungsrechtliche Folgen mit sich bringt, da sich die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse nunmehr nach deutschem Recht beurteilen.

Je nachdem, ob die Gesellschaft ein Handelsgewerbe betreibt, werden britische Limiteds fortan als GbR, OHG oder im Fall einer Einmann Ltd. als Einzelkaufmann behandelt. Hierdurch droht den Gesellschaftern nach § 128 HGB (analog) die persönliche und unbeschränkte Haftung für  Gesellschaftsverbindlichkeiten, die unter Umständen nach § 160 HGB auch Altverbindlichkeiten mit erfasst. Die zuvor anerkannte Haftungsbeschränkung entfällt mangels Eintragung im Handelsregister gem. § 11 Abs. 1 GmbHG und fehlender Mindestkapitalausstattung nach § 5 Abs. 1 GmbHG.

Zu beachten ist außerdem die Einzelvertretungsbefugnis nach § 125 Abs. 1 HGB im Fall der OHG, sofern im Gesellschaftsvertrag keine Gesamtvertretung vereinbart wurde.

 

Vertrauensschutz zugunsten britischer Gesellschaft in Deutschland?

Angesichts der gravierenden Rechtsfolgen wird mitunter die Frage aufgeworfen, ob das Gründungsstatut nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes für Bestandsgesellschaften über den Brexit hinaus, jedenfalls für einen gewissen Übergangszeitraum, fortgelten soll. Hierbei wird argumentiert, dass die Gründer vor dem Brexit in Ausübung ihrer Niederlassungsfreiheit und mit dem berechtigten Vertrauen darauf, dass ihre Rechtsformwahl in Deutschland anerkannt und durch das Unionsrecht geschützt wird, eine britische Rechtsform gewählt haben (u.a. Thölke, IWB 2021, 322).

Die Entscheidung des BGH deutet jedoch daraufhin, einem Sonderrecht und damit der Anerkennung eines Vertrauensschutzes zugunsten britischer Gesellschaften in Deutschland eine Absage zu erteilen.
Darüber hinaus hat sich auch der Gesetzgeber bewusst gegen die Regelung etwaiger Bestandsschutzmaßnahmen entschieden. Dies geht unter anderem aus dem Regierungsentwurf für ein Viertes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes (BT-Drs. 19/5463 v. 05.11.2018) hervor, dem die Annahme zugrunde liegt, dass nach dem Recht des Vereinigten Königreichs gegründete Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland mit dem Ende des Übergangszeitraums die Niederlassungsfreiheit verlieren.

 

Fazit

Nach dem aktuellem Stand von Rechtsprechung und Gesetzgebung ist davon auszugehen, dass sich britische Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland den Folgen des Brexit anpassen und angesichts der weitreichenden Rechtsfolgen, insbesondere der durch die Anwendung des deutschen Gesellschaftsrechts drohenden Haftungsrisiken, zügig handeln und ggf. entsprechende Umwandlungsmaßnahmen ergreifen sollten, um potentielle Nachteile zu vermeiden.

 

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